# taz.de -- Neues Album von Dota: Ewige Realpräsenz des Guten
       
       > Die Berliner Songwriterin Dota ist da, wo der Kampf für eine bessere Welt
       > ist. Aktuelle Pop-Entwürfe ignoriert sie – auch auf ihrem neuen Album.
       
 (IMG) Bild: Sie spielten gerade erst bei den Protesten im Hambacher Wald: Dota Kehr und ihre Band​
       
       „Wir haben versucht, in den Wald reinzukommen, das hat nicht geklappt. Die
       waren ziemlich auf Zack, die Polizisten. Dann haben wir eben draußen, vor
       der Mahnwache, wo auch viele von den Unterstützern und Aktivisten warten,
       gesungen.“
       
       Dota ist unterwegs auf der Autobahn, die Tour zum neuen Album „Die
       Freiheit“ hat gerade begonnen, aber natürlich nahm sie sich zuvor noch Zeit
       für einen Abstecher zu den WaldbesetzerInnen im Hambacher Forst.
       Selbstverständlich ist die 39-jährige Sängerin da, wenn die Kohleindustrie
       Tatsachen schafft. Genauso, wie sie da war, vor wenigen Wochen, als die
       Seebrücke für sichere Fluchtwege demonstrierte, oder bei der Demo für faire
       Mieten.
       
       Vor allem ist die Berliner Liedermacherin Dota seit fast eineinhalb
       Jahrzehnten präsent und zwar dort, wo Musik intensiv gehört und verehrt
       wird, ohne, dass die Musik es dem Publikum wirklich dankte: In den kleinen
       Städten mit den großen Unis, den selbstverwalteten Jugendzentren und den
       Wiesen am Fluss, wo die Frühzwanziger Händchenhalten, und weiter hinten bei
       den Büschen eine Studentin mit Dreads ihre Akustikgitarre in die Hand nimmt
       und drauf los spielt.
       
       So war es 2003, und so wird es 2023 vermutlich immer noch sein, und auch
       Dota wird vermutlich alle paar Monate einmal vorbeischauen, um davon zu
       singen, wie schön diese Menschen eigentlich sind.
       
       ## Punk oder Hippie?
       
       Ist das noch Punk oder ist das einfach nur hippiesk? Das Weitermachen,
       Weiterspielen, das Dranbleiben? Die ewige Realpräsenz des Guten? Da gibt es
       wunderschöne Liebeslieder, aber auch den Eindruck einer konsequent die Welt
       verspielenden Naivität.
       
       „Alles du, alles Dur“ heißt ein Lied aus jener Frühphase, es ist zum
       Zerfließen schön: Noch immer werden Bänder an den Lenker geflochten,
       Goldpapier funkelt auf dem Seegrund. Die Metaphern erschlaffen am Altern,
       Dota altert mit ihrem Publikum. Ist das zeitlos oder eskapistisch? Wie viel
       Wahrheit steckt in einem Vers wie dem, dass die Hoffnung der Welt auf
       „schwangeren Frauen im Baumarkt“ beruht?
       
       Dota Kehr brachte sich als Jugendliche das Gitarrespielen selbst bei,
       begann rasch, eigene Songs zu komponieren. Unter dem Namen
       Kleingeldprinzessin machte sie Anfang der nuller Jahre Straßenmusik. „Ich
       wollte sehen, wie Leute auf meine Lieder reagieren“, sagt sie.
       
       „Bei aller Befindlichkeit, wo es um das Bespiegeln des eigenen Innenlebens
       geht – hauptsächlich komponiere ich doch Lieder, bei denen Zuhörer sich
       wiederfinden können. Das gehört zu einem guten Lied: Dass es
       allgemeingültig ist, dass es mit Bildern Gefühle auslöst, ohne die zu
       benennen und vorzuschreiben.“
       
       ## Das Konkrete und das Poetische
       
       2003 erscheint ihr Debütalbum, während ihres Auslandsstudium in Brasilien
       entsteht kurz darauf ein gemeinsames Album mit dem brasilianischen
       Komponisten Danilo Guilherme. Bossa-Einflüsse und das Akustische ihres
       Sounds werden im Laufe der zehner Jahre durch einen immer volleren
       Band-Sound ersetzt. Bass und Keyboard machen das Soundbild elektrischer,
       aber auch verschwommener. Die allgemeine politische Lage lässt Dota
       hingegen immer deutlicher politische Positionen beziehen.
       
       War das Politische oft eine Frage des Privaten, lugte persönliche
       Verantwortung und Mut durch Erzählungen aus dem Alltag, gibt es auf dem
       neuen Album „Die Freiheit“ nun konkrete Bösewichte: schlimme Faschisten,
       eklige Sexisten.
       
       „Ich mag es gerne, wenn es Brüche gibt zwischen dem Fantastischem und dem
       Realen, dem Konkreten und dem Poetischen. Das Vokabular, das man als
       Textdichterin zulässt, entscheidet den Stil, den Fingerabdruck. Ich habe
       mein eigenes Wörterbuch. Ich mag auch einen Dichter wie Gottfried Benn:
       Technische Sprache, die sich mit poetischer Sprache vermischt.“
       
       Zwei Träume, zwei Ideale bestimmten Kehrs Karriere: Einerseits der Wunsch,
       von der Musik leben zu können – ein Wunsch, der sich erstaunlich schnell
       erfüllte für die studierte Medizinerin, einerseits. Andererseits, und das
       ist eine laufende Aufgabe: Die Suche nach dem perfekten, „nein, dem
       allerbesten Lied. Ich versuche, so zu komponieren, als ob das allerbeste
       Lied immer noch vor mir liegt.“
       
       Sind da Kandidaten auf dem aktuellen Album? Der besonders auf der Bühne
       überzeugend gebrachte Song über einen rassistischen Witz, der verstummen
       und unsicher werden lässt: „Zwei im Bus“ und „Internetshop“, eine
       schwärmerische Geschichte darüber, wie etwas beginnen kann, wenn eine
       Königin der Nacht beim Späti steht und zwei Stockwerke höher eine Zigarette
       glimmt? Der klassisch akustische Dota-Track „Bunt und hell“?
       
       „Die introspektive Forschungsarbeit der Gefühlslagen, da gibt es eine
       Präzision, die gut ist im Songtext, aber natürlich darf man nicht den
       Zustand der Welt vernachlässigen, der schwingt immer mit. Popmusik, die
       immer nur ich und du besingt, die ist sehr schön, und ich schreibe auch
       solche Lieder, aber mir reicht das nicht. Das ist die viel beschriebene
       affirmative Wirkung von Pop. Das lassen die Zustände in der Welt nicht zu.
       Wenn ich versuche das perfekte Lied zu komponieren, weiß ich nicht, ob das
       nach innen oder nach außen schaut.“
       
       ## Aus dem Raster fallen
       
       Wenn man ein Problem um diese Musikerin und ihre leuchtende Welt
       konstruieren wollte, wäre das, dass ihre Musik für zumindest eine, eher
       zwei Generationen junger Menschen prägend und identitätsstiftend wurde,
       ohne jedoch, dass Presse und sonstige Pop-Influencer ihr dabei eine Rolle
       zusprachen, die dem gerecht werden konnte.
       
       Es gab im Rahmen des offiziösen Pop-Diskurs nie einen wahrnehmbaren,
       überregionalen Diskurs um die Liedermacherin Kehr. Was es gab, waren
       Konzerte, Alben und Abende in WGs, bei denen ihre Songs auf der Akustischen
       nachgespielt wurden. Es sind Konzepte von Pop, die so weitab dessen liegen,
       was sich seit den Achtzigern als Blaupause für ernstzunehmenden Pop
       herausgebildet hat, dass Dota, ihrer Bekanntheit und ästhetischer
       Anschlussfähigkeit zum Trotz, einfach aus dem Raster fallen musste.
       
       Zynisch könnte man auch sagen: Eine Frau an der Gitarre, die weder queer
       noch Artschool ist, sondern die weißbrotmäßig-straighte Ich-Du-Mitte
       bespielt, hat es noch immer schwerer, künstlerisch wahrgenommen zu werden
       als ein heterosexueller weißer Mann an der Gitarre, politische
       Positionierung hin oder her.
       
       Könnte man für die Kleingeldprinzessin-Phase, wo sie sich auf PJ Harvey
       oder Gustav beruft, einen anderen Ernst der Rezeption einfordern? Oder
       würden die Songs von Dota dann doch daran zerbrechen, weil sie nur
       außerhalb des Hipness-Radars funktionieren – obwohl sie regelmäßig ganz
       nach vorne in die Charts katapultiert wird?
       
       Schön und merkwürdig zugleich ist, dass solche Fragen Dota Kehr vollkommen
       egal sind. Die Künstlerin kann noch zu allen Liedern stehen, die sie
       komponiert hat in den letzten beiden Jahrzehnten, erfreut sich ihrer
       Karriere und ihrer Musik und wirkt im Gespräch nicht weniger aufrichtig,
       als in ihrer Musik; enervierend aufrichtig, sicher, aber enervierend nur,
       weil der eigene Zynismus dadurch Risse bekommt.
       
       „Es kratzt mich nicht, weil ich finde, dass es für mich super läuft. Manche
       Türen gehen zwar nicht richtig auf, das stimmt schon. Aber das eine ist,
       was die Presse meint, das andere ist die Hörerschaft, und das passiert“,
       sagt Kehr, während sie Richtung Basel fährt, das Telefonat noch vor der
       Grenze, später wird es schließlich zu teuer, wie sie scherzt.
       
       „Ich weiß nicht, ob ich das einfach so behaupten darf. Aber ich glaube,
       dass es keine Band gibt, die so unabhängig ist wie wir. Und ich genieße das
       sehr. Unabhängig von Strukturen des Musikgeschäfts zu sein.“ Und so wird
       sie in den nächsten Monaten wieder in Osnabrück, Göttingen und Marburg
       aussteigen, spontan die eine oder andere Demo unterstützen, die Welt
       verändern und Situationen – ein bisschen Punk, ein bisschen hippiesk. Aber
       es ist ihr egal.
       
       25 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Steffen Greiner
       
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