# taz.de -- Chronik der Hambacher-Forst-Räumung: Das Schreien im Walde
       
       > Seit über einer Woche räumt die Polizei die Baumhäuser im Hambacher
       > Forst. Impressionen und Soundschnipsel aus einem umkämpften Stück Wald.
       
 (IMG) Bild: Noch ist es still: Morgenstimmung im Hambacher Forst
       
       Am Donnerstag ist es still im Hambacher Forst, zum ersten Mal seit Langem.
       Das kleine Stück Wald, das im kommenden Jahr gerodet werden soll, um den
       Hambacher Braunkohletagebau zu erweitern, war eine Woche Schauplatz von
       Protesten, Polizeieinsätzen, Demonstrationen. Bis am Mittwoch ein Mensch
       [1][bei einem Unfall ums Leben kam]. Nun ruht die Räumung, vorerst. Ein
       Überblick über das, was war.
       
       ## Donnerstag, 13. 9.
       
       Die Räumung beginnt im Osten des Hambacher Forsts. Am Waldrand halten die
       AktivistInnen Blockaden besetzt, Verzögerungsbauten, die den
       Baumhausdörfern ein wenig weitere Zeit sichern sollen. Auf einem sitzt ein
       Mann, er zupft Blätter vom Baum. „Der Wald bleibt, der Wald geht“, sagt er,
       wie beim Liebesabzählreim mit den Gänseblümchen, und lässt das Laub von
       seiner Hochsitzblockade segeln. [2][„Der Wald bleibt, der Wald geht.“]
       
       Es nieselt, und alles blickt zum Räumgerät: BesetzerInnen und
       PolizistInnen, Protestierende und Sicherheitsleute, Augen und Kameras.
       Behelmte PolizistInnen bilden Ketten, um den Sicherheitsbereich
       durchzusetzen, in dem ihre KollegInnen und die – laut Polizei von RWE –
       beauftragten Sicherheitsleute daran arbeiten, Menschen zu „räumen“. Als
       Letztes wird eine kleine Gruppe Menschen, größtenteils PfarrerInnen, aus
       dem Sicherheitsbereich getragen. Kameras klickern.
       
       Am Ende des Tages ist der östliche Zugang geräumt. Draußen auf den Feldern
       haben sich Hunderte BürgerInnen versammelt, wollen in den Wald, aber dürfen
       nicht und demonstrieren friedlich. Laut Polizei flogen abends Steine und
       Stahlkugeln aus Schleudern auf Beamte, außerdem zwei Molotowcocktails auf
       ein Polizeiauto. Eine weitere derartige Meldung wird es in den weiteren
       Tagen der Räumung nicht noch einmal geben.
       
       ## Freitag, 14. 9.
       
       Der Klang des Waldes ist Sägen, Piepen und Rangieren. Sicherheitsleute
       fällen Bäume und schneiden Äste ab, um Schneisen für die Räumfahrzeuge der
       Polizei zu schaffen. Als sie sich Oaktown nähern – einem der
       Baumhausdörfer, in dem die BesetzerInnen zum Teil seit Jahren ausharren –,
       erklingt aus den Bäumen eine Durchsage: „Durch Ihre Maschinen gefährden Sie
       Menschen, die sich unter dieser Hütte im Boden befinden.“ BeamtInnen
       erklimmen die Hütte, unter der der Schacht sein soll, werfen Solarzellen
       vom Dach, schlagen ein Fenster ein. Schon sind sie drin.
       
       ## Samstag, 15. 9.
       
       Jetzt ist gewiss: Zwei Menschen befinden sich in einem Schacht unter der
       Hütte in Oaktown. Ein Sprecher der Feuerwehr Kerpen spricht von „akuter
       Einsturzgefahr“. Man bemühe sich, die beiden herauszuholen. Über Länge und
       Verlauf des Schachtes wisse man nichts. Trotzdem wird in der Nähe der Hütte
       schweres Gerät eingesetzt.
       
       Nachmittags geleiten PolizistInnen eine Gruppe SpaziergängerInnen nach
       Oaktown, wo sie friedlich demonstriert. Nachts versperrt eine Sitzblockade
       eine Straße vor dem Wald. „Wir sind friedlich, was seid ihr?“, rufen etwa
       100 Menschen. Die Polizei räumt grob. Danach steht man sich gegenüber.
       „Eu-re Kin-der werden so wie wir!“, schallt über die Felder. Nicht zum
       letzten Mal.
       
       ## Sonntag, 16. 9.
       
       Am diesem Morgen [3][kommen die beiden Menschen aus freien Stücken aus dem
       Schacht], einer aus vier, einer aus elf Metern Tiefe.
       
       An einem „Waldspaziergang“ nehmen laut WDR bis zu 14.000 Menschen teil.
       Familien sind da mit Kindern, RentnerInnen neben jungen Leuten in
       HipHop-Kluft und Dreadlocks. Die Leute tragen Transparente, Trompeten,
       Trommeln, manche auch Bäumchen, die sie pflanzen wollen.
       
       „Wir hoffen auf ein deutliches Zeichen dafür, dass es viele Menschen gibt,
       die diese Art des Wirtschaftens nicht mehr mittragen“, sagt einer der
       Pfarrer, die am Donnerstag geräumt wurden. Eine Frau mit Familie sagt: „Ich
       bin hier für die Zukunft meiner Kinder.“
       
       Eine wohl vierstellige Zahl Menschen verlässt die offizielle Demoroute,
       steht vor dem Wald einer Unterzahl an PolizistInnen gegenüber. „Wir warten
       darauf, dass so viele gleichzeitig losgehen, dass die Polizei uns nicht
       aufhalten kann“, sagt eine Frau mit Kindern. Aber das passiert nicht.
       Trotzdem gelangen Hunderte in den Wald. „Ham-bi bleibt! Ham-bi bleibt!“,
       dröhnt es aus allen Richtungen wie in einem Fußballstadion.
       
       Viele versuchen, in den Sicherheitsbereich nach Oaktown zu kommen. Die
       PolizistInnen haben Schlagstöcke gezückt und Pfefferspray, schauen
       gestresst auf die vielen Kinder in der Menge. Im Nachhinein berichten viele
       BesucherInnen der friedlichen Demo von Polizeigewalt, auch die der
       offiziellen Route.
       
       ## Montag, 17. 9.
       
       Routine kehrt ein. Die Polizei ist wieder in der Überzahl. Im Baumhausdorf
       Gallien beginnt sägend das Lied der Räumung, genau wie auch in Cosytown,
       hier zum Cellospiel einer Musikerin. Wieder sind BürgerInnen unterwegs;
       wieder schaffen es nur wenige in den Wald. Am Ende des Tages: Halbzeit. 28
       von etwa 50 Baumhausstrukturen sind geräumt.
       
       ## Dienstag, 18. 9.
       
       Nachdem in Oaktown der letzte Besetzer aufgegeben hat, erzählt in Beechtown
       ein anderer, wegen der Räumung habe „halb Oaktown“ hier „Asyl“ gefunden.
       Ein Journalist wird am nächsten Tag erklären, dass Beechtown für so viele
       Menschen eigentlich nicht ausgelegt sei.
       
       Im Baumhausdorf Gallien kommt es am späten Nachmittag fast zur Eskalation.
       Ein junger Mann harrt in einer Baumkrone aus, die Menschen am Boden sind
       außer sich.
       
       Sie seien gebeten worden, sich wegen Suizidgefahr leise zu verhalten, doch
       währenddessen wird in unmittelbarer Nähe ein Baumhaus abgerissen, es
       knallt und rattert, Planken fallen. „Dass RWE das seit einer halben Stunde
       weitergehen lässt, während Polizei und Feuerwehr um das Leben dieses
       Menschen kämpfen, finde ich unfassbar“, sagt eine Frau.
       
       Die Polizei habe versucht, das zu unterbinden, sagt ein Mann. Trotzdem
       schreien Chöre die PolizistInnen an: „Schämt euch, schämt euch, schämt
       euch!“ Ein Anwohner, der die Besetzung unterstützt, sagt: „Die Polizisten
       müssen auslöffeln, was die Politik ihnen eingebrockt hat. Die stehen in
       einem wahnsinnigen Spagat.“
       
       Als der Besetzer sicher am Boden ist, klatscht niemand. Doch stundenlang,
       bis tief in die Nacht, stehen BürgerInnen und PolizistInnen am Absperrband
       zusammen und reden.
       
       ## Mittwoch, 19. 9.
       
       In Beechtown beginnt die Räumung zum Klang von Violine und Querflöte. Das
       erste Baumhaus ist geräumt, als um 15.46 Uhr der [4][Journalist Steffen
       Meyn] durch eine Holzbrücke bricht und 15 bis 20 Meter tief stürzt.
       Sanitäter sind binnen Sekunden da, kämpfen um sein Leben. Doch er überlebt
       nicht.
       
       Minuten nach dem Sturz nähert sich eine Menschenmenge dem
       Sicherheitsbereich. Die Polizei bildet eine Kette. Die Menschenmenge
       schreit: „Mörder!“ Einige BeamtInnen wirken, als würden ihnen gleich die
       Tränen kommen. Als klar wird, dass der Absturz nicht direkt von der Polizei
       verursacht worden sei, sinken die AktivistInnen zu Boden. In der Stille
       klingt jedes Schluchzen wie ein Schuss.
       
       Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) gibt später
       bekannt, die Räumung sei ausgesetzt, vorerst.
       
       ## Donnerstag, 20. 9.
       
       Für 15.45 Uhr ist eine Schweigeminute für Steffen Meyn angesetzt. Die
       Polizei lässt Menschen frei in den Wald, unter Angabe der Personalien.
       Hunderte kommen. Doch die Schweigeminute muss warten: In Beechtown wird
       eine Besetzerin abgeführt, die – laut mehreren ZeugInnen – heruntergekommen
       war, um sich zu beteiligen.
       
       Sie bettelt, fleht und weint, aber vergebens: Die Polizei nimmt ihre
       Personalien auf und erteilt ihr einen Platzverweis. Ihr Klettergurt wird
       konfisziert. Das sei Routine, sagt ein Polizeisprecher. Eine Bürgerin gibt
       der Polizei die Schuld, dass in den Bäumen so viele ungesichert seien.
       
       ## Freitag, 21. 9.
       
       Nur zwei Tage nach dem Tod von Steffen Meyn ist die Polizei wieder mit
       Räummaschinen in der Nähe von BesetzerInnen im Einsatz, beseitigt
       Barrikaden, geht gegen AktivistInnen vor.
       
       Für Sonntag ist ein Waldspaziergang zum Gedenken angesetzt.
       
       22 Sep 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Toedlicher-Sturz/!5537191
 (DIR) [2] /Raeumung-im-Hambacher-Forst/!5533563
 (DIR) [3] /Tunnelbesetzer-am-Hambacher-Forst/!5535899
 (DIR) [4] /Tod-im-Hambacher-Forst/!5534584
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anett Selle
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Baumhäuser
 (DIR) Protest
 (DIR) Aktivismus
 (DIR) Schwerpunkt Hambacher Forst
 (DIR) Braunkohletagebau
 (DIR) Braunkohle
 (DIR) Schwerpunkt Hambacher Forst
 (DIR) Schwerpunkt Hambacher Forst
 (DIR) Schwerpunkt Hambacher Forst
 (DIR) Schwerpunkt Hambacher Forst
 (DIR) Schwerpunkt Hambacher Forst
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kommentar Rodung für RWE: Verdächtige Eile im Hambacher Forst
       
       Neue Untersuchungen zeigen, dass die Rodung im Hambacher Forst nicht nötig
       ist. Das vor weiteren Aktionen zu überprüfen, wäre angebracht.
       
 (DIR) Proteste im Hambacher Forst: Räumungen starten wieder
       
       Die Polizei legt im Hambacher Forst wieder los: Nach vier Tagen Pause soll
       es nun schnell gehen. Journalisten dürfen nicht in Sichtweite.
       
 (DIR) Proteste im Hambacher Forst: Tausende trotzen Matsch und Regen
       
       Etwa 7.000 Menschen trauern im Hambacher Wald um den verunglückten
       Journalisten – und protestieren weiter gegen die Rodung.
       
 (DIR) Konflikt im Hambacher Forst: Polizei beseitigt Blockaden
       
       Die Räumung der Baumhäuser ist ausgesetzt. Am Freitag machte sich die
       Polizei daran, Wege freizuräumen. Sie stieß auf Widerstand.
       
 (DIR) Kommentar Todesfall Hambacher Wald: Kommt jetzt mal runter
       
       Der Unfall im Hambacher Wald muss eine Pause bewirken. Und zwar bei allen
       Beteiligten: Aktivisten, Polizisten, Politikern – und bei RWE.
       
 (DIR) Tod im Hambacher Forst: Vom Beobachter zum Freund
       
       Der verunglückte Steffen Meyn arbeitete an einer Langzeitdokumentation über
       den Hambacher Wald. Er wollte zeigen, was dort passiert.