# taz.de -- Stimmen aus dem syrischen Idlib: „Wohin soll ich gehen?“
       
       > Ungewissheit, Angst, Fluchtpläne: So gehen Zivilisten in Idlib mit den
       > syrisch-russischen Drohungen um, die Region anzugreifen.
       
 (IMG) Bild: Protest gegen die erwartete Militäroffensive der syrischen Armee auf Idlib
       
       Hassan Tabajo (27): „Ich werde fliehen“ 
       
       Der Elektrotechniker floh aus Ost-Ghuta, das im Frühjahr dieses Jahres von
       Regimetruppen erobert wurde. Er lebt in Idlib-Stadt und arbeitet als
       Trainer für Datensicherheit. 
       
       Die Situation in Idlib ist angespannt. Wir wissen nicht genau, was der Plan
       des Regimes ist. Will es Idlib komplett zurück oder nur Teile davon?
       
       Die Lebensbedingungen in Idlib sind trotzdem normal. Die Schulen haben
       geöffnet, Waren sind verfügbar, die Preise bewegen sich im Rahmen des
       Akzeptablen.
       
       Wegen der hohen Bevölkerungsdichte stehen die Krankenhäuser aber unter
       Druck. Behandlungen sind sehr teuer. Meine Mutter braucht neue Gelenke, sie
       sagten mir, dass mich die Operation 4.000 US-Dollar kosten würde.
       
       Wenn irgendetwas darauf hinweist, dass die Schlacht beginnt, nehme ich
       meine Familie und gehe in die Gebiete, die de facto unter türkischer
       Kontrolle stehen: Afrin, Aazaz, Dscharabulus. Dort ist es sicher. Ich will
       nicht noch einmal Krieg erleben.
       
       Die Lage hier ist anders als in Ghuta. Die Flucht ist einfacher, weil Idlib
       ein großes Gebiet ist. Ghuta war klein und wurde belagert. Ich leide noch
       unter einem Trauma.
       
       Ich will in meinem Land bleiben, aber wenn ich das Geräusch eines
       Flugzeuges oder eine Explosion höre, sehe ich all diese Szenen wieder vor
       mir. Sieben Jahre in Ghuta waren genug. Ich möchte nicht, dass sich das
       Massaker wiederholt. Ghuta hat mich zu einem schwachen Menschen gemacht.
       
       Das einzige, was ich besitze, sind meine Tasche und meine Mutter. Ich werde
       sie mitnehmen und fliehen.
       
       ***
       
       Muawiya Abu Hussein (22): „Schulen werden das Ziel sein“ 
       
       Abu Hussein arbeitet als Lehrer an einer Grundschule in Idlib-Stadt. 
       
       „Ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn in Idlib etwas passiert. Ich bin
       verantwortlich für die Familie und muss eine Lösung finden. Ich denke
       darüber nach, ins nördliche Umland von Aleppo zu gehen, um dort einen
       sicheren Ort für meine Familie zu finden. Aber ich warte ab, was passiert,
       weil ich meine Schüler liebe. Sie sind wie meine Kinder und haben viel Zeit
       verloren. Ihr Bildungsniveau ist zur Zeit nicht gut.
       
       Die Schule, an der ich arbeitete, wurde von russischen und syrischen
       Flugzeugen bombardiert. Deshalb habe ich an eine andere Schule gewechselt.
       Es gibt keine Maßnahmen zum Schutz der Schüler im Falle einer
       Bombardierung.
       
       Den Schülern geht es psychisch schlecht, denn ihre Zukunft ist ungewiss.
       Mit Sicherheit werden die Bombardierungen die Schulen zum Ziel haben, d.h.
       dass die Schüler nicht mehr lernen können. Hinzu kommt, dass Unterstützung
       fehlt, um die zerstörten Schulen wieder aufzubauen.
       
       Ich lebe in heftiger Angst und einem dauernden Zustand des Abwartens.
       Gleichzeitig muss ich mich zusammenreißen und vor den Schülern stark sein.
       
       Ich lebe mit meiner Familie in Idlib. Unsere Wohnung wurde von Fassbomben
       getroffen. Wir sind nur mit Schwierigkeit aus den Trümmern heraus gekommen.
       Jetzt leben wir in einer anderen Wohnung unter schwierigen
       Lebensbedingungen.
       
       Wir sind kriegsmüde und haben haben die Angst satt. Viele Leute sind in
       sichere Länder geflohen. Ich kann das nicht, weil ich nicht genug Geld
       habe. Deshalb bleibe ich hier, bis ich sterbe oder bis der Krieg vorbei
       ist.
       
       ***
       
       Suad Jaber* (50): „Alle Grenzübergänge sind geschlossen“ 
       
       Suad Jaber arbeitet für eine humanitäre Organisation in den
       Flüchtlingslagern an der syrisch-türkischen Grenze. Sie lebt in Atmeh.
       
       „Wir wissen nicht, ob wir gehen sollen oder nicht. Die Türkei lässt die
       Menschen nicht hinein, alle Grenzübergänge sind geschlossen. Uns bleibt
       kein anderer Ort als das Gebiet unter türkischer Kontrolle. Aber wird es
       dort sicher bleiben? Wir wissen es nicht.
       
       Wenn wir uns entscheiden zu gehen, haben wir keine andere Wahl, als bei bei
       unseren Verwandten in anderen Orten zu bleiben. Ich habe Angst um meine
       Familie und meine Freunde. Wenn die Armee das Gebiet betritt, kann es sein,
       dass sie alle jungen Leute verhaftet oder tötet.
       
       Einige Familien hier leben vom Nötigsten. Es gibt viele Witwen und
       Waisenkinder, die ihre Ehemänner und ihre Familien verloren haben, außerdem
       Alte und Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Diese Menschen leben
       momentan in Frieden, aber wie werden sie leben, wenn der Krieg wieder
       ausbricht? Es ist wirklich tragisch!
       
       Ich hoffe, dass die Welt uns hört, mich und alle anderen Frauen in Idlib.
       Ich hoffe, dass die Politiker und die internationalen
       Menschenrechtsorganisationen uns hören. Ich bitte alle, uns zu beschützen,
       bevor es zu spät, damit es nicht zu einem neuen Massaker kommt.“
       
       * Der Name wurde auf Wunsch geändert.
       
       ***
       
       Saleh al-Aql (31): „Ich wüsste nicht, wohin ich gehen soll“ 
       
       Seit fünf Jahren arbeitet al-Aql für eine humanitäre Organisation in
       Idlib-Stadt. Er kommt aus Kafranbel. 
       
       „Ich weiß nicht, ob der drohende Vormarsch ein Gerücht oder eine Tatsache
       ist. Ich halte ihn für ein Gerücht. Ich bin zu 90 Prozent sicher, dass das
       nur psychologische Kriegsführung ist. Ich glaube nicht, dass die
       internationale Gemeinschaft dies zulassen wird.
       
       Ich arbeite täglich mit Kindern. Sie werden ihrer grundlegendsten Rechte
       beraubt: in Frieden und Sicherheit zu leben, zu lernen und zu spielen. Dass
       Kinder um ihre Bildung beraubt wurden, ist das Schlimmste, was in diesem
       Krieg passiert ist. Vor etwa sechs Jahren hörten Kinder auf, zur Schule zu
       gehen – in den meisten Fällen wegen der Sicherheitslage.
       
       Weil Schulen beschossen wurden, haben Eltern Angst, ihre Kinder wieder zur
       Schule zu schicken. Wir haben eine ganze Generation, die im Krieg
       aufgewachsen ist, ohne Bildung.
       
       In Idlib leben wir seit vier Monaten unter einer Waffenruhe, nachdem wir
       lange Zeit unter Bombardement und Zusammenstößen gelebt haben. Jetzt gibt
       es wieder Leben in Idlib, die Leute beginnen mit dem Wiederaufbau, die
       Kinder fangen an, in die Schulen zurückzukehren. Wir wollen nicht wieder im
       Krieg leben.
       
       Ich wüsste nicht, wohin ich gehen soll, wenn so was passiert. Denn wenn die
       Armee von Baschar al-Assad in Idlib eindringt, dann wären meiner Meinung
       nach auch die türkischen Gebiete unter seiner Kontrolle.“
       
       (Protokolle: Hiba Obaid, Übersetzung aus dem Arabischen: Hiba Obaid, Jannis
       Hagmann)
       
       8 Sep 2018
       
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 (DIR) Hiba Obaid
       
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