# taz.de -- Eine Wahl ohne Kremlkritiker: Verliebt in den Sultan
       
       > Am Sonntag wählen die Moskauer erneut ihren Bürgermeister. Vertreter der
       > Opposition treten jedoch nicht an.
       
 (IMG) Bild: Amtsinhaber und Putin-Freund Sobjanin muss keinen ernsthaften Gegenkandidaten fürchten
       
       Moskau taz | „Ein großes Dankeschön an Sergej Sobjanin. Dem Bürgermeister
       ist es gelungen, meinen Blutdruck bei 125/84 zu stabilisieren“, freut sich
       Nutzer vs-demin in den sozialen Netzen. Tausende Bürger feixen in den
       sozialen Diensten über Elogen und Lobeshymnen, mit denen der Wahlkampfstab
       des „mers“ – des Bürgermeisters der russischen Hauptstadt Moskau – den Chef
       seit Wochen bedenkt.
       
       Besonders erfolgreich ist ein Clip mit gehauchten Liebesschwüren der
       vermeintlichen, deutlich jüngeren Geliebten des 60-Jährigen. Sie bedankt
       sich für Zuwendungen und Aufmerksamkeit, die der Ergraute ihr zukommen
       lässt. Auch der Altersunterschied wird nicht verschwiegen.
       
       In der Tat lässt sich der Moskauer Bürgermeister die kollektive Geliebte
       einiges kosten. Hinter ihr verbirgt sich Moskau, das unter Sobjanins
       Leitung seit 2010 60 neue Metrostationen erhielt. Neue Parks, Autobahnen
       und ansehnliche Wohnviertel entstanden unter seiner Ägide.
       
       Am Samstag, dem „Tag der Stille“, der einer Wahl in Russland immer
       vorausgeht, dürfen Wahlveranstaltungen nicht mehr stattfinden. Kandidat
       Sobjanin überbrückt die Ruhe, indem er Präsident Wladimir Putin und
       [1][Premierminister Dmitri Medwedjew] zur Eröffnung einer neuen
       Konzerthalle einlädt. Für Aufmerksamkeit und Fernsehbilder ist gesorgt.
       
       ## Etwas zu entspannt
       
       Herausforderer gibt es auch. Vier Konkurrenten wurden zugelassen, ein
       Millionär von den Kommunisten, der sich für gebührenfreies Parken in Moskau
       einsetzt. Ein Vertreter der rechtsradikalen Partei der Liberaldemokraten
       (LDPR), der Ex-Milliardär Michail Balakin von der Bürgerunion sowie ein
       Vertreter des Gerechten Russlands treten an.
       
       [2][Bewerber der nicht konformen Opposition scheiterten schon im Juli am
       Zulassungsverfahren.] Der frühere Duma-Abgeordnete Dmitrij Gudkow schaffte
       es nicht, die erforderlichen Unterschriften von 110 Abgeordneten zu seiner
       Unterstützung zu sammeln. Bei 76 Deputierten war Schluss. Ähnlich erging es
       auch dem Vorsitzenden des Bezirks Krasnoselski.
       
       Ilja Jaschin erhielt 2017 bei den Bezirkswahlen ein Mandat und wurde
       Vorsitzender der Bezirksversammlung. Mehr als 200 Oppositionelle schafften
       damals den Sprung in die Lokalpolitik. Das war eine Überraschung. Und der
       Kreml war alarmiert über die Vorgänge in den Niederungen. Diesmal baute er
       deshalb zusätzliche Filter ein.
       
       Bei den Wahlen 2013 gab sich die politische Führung noch gelassener. Putins
       Herausforderer Alexei Nawalny durfte sogar antreten. Allerdings hatte der
       Kreml nicht damit gerechnet, dass der Oppositionelle aus dem Stand 27
       Prozent der Stimmen einfahren würde. Sobjanin siegte, schlitterte mit 51
       Prozent aber knapp an einem zweiten Wahlgang vorbei. Wegen einer
       vermeintlichen Vorstrafe darf Nawalny nicht mehr bei Wahlen antreten.
       
       ## Putins Beispiel folgen
       
       Eine Wiederholung dieser Schmach will Sobjanin vermeiden und unter
       ähnlichen Bedingungen starten wie Präsident Putin, wenn auch eine Nummer
       kleiner. Seit [3][der Kremlchef die Anhebung des Rentenalters verkündete,]
       rutschten Putins Zustimmungswerte unter die 50-Prozent-Marke, auch die
       Regierungspartei Einiges Russland würde laut Umfrage-Institut FOM jetzt
       keine Mehrheit in der Duma mehr erhalten.
       
       Die Stimmung könnte sich auch auf die Bürgermeisterwahl auswirken, obwohl
       viele Moskauer mit den Errungenschaften des Stadtvorderen zufrieden sind.
       Gleichwohl fürchten die Verantwortlichen, die Wahlbeteiligung könnte unter
       30 Prozent bleiben.
       
       Sobjanin sei nicht der schlechteste Bürgermeister, aber er sei ein
       Technokrat und kein Politiker mit eigener Meinung, räumt Gudkow ein. „Nach
       außen sieht Moskau mit seinen breiten Trottoirs und neuen Bordsteinen
       jetzt wie eine europäische Stadt aus, im Innern ist es ein Sultanat
       geblieben“, meint Gudkow.
       
       7 Sep 2018
       
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