# taz.de -- Kolumne Blind mit Kind: „Sie Arme, schaffen Sie das?“
       
       > Schwanger. Und jetzt? Ich bin blind, mein Mann ist blind – würde unser
       > Nachwuchs auch nicht sehen können? Teil eins der neuen Kolumne.
       
 (IMG) Bild: Da ist der Kopf. Vermutlich. Das Ultraschallbild eines (natürlich noch ungeborenen) Babys
       
       Es erwischte mich unverhofft: schwanger! Gerade hatte ich noch an meiner
       Uni-Karriere herumgewerkelt, mein Baby war meine Doktorarbeit, mein Mann
       hatte nie ernsthaft über Kinder nachgedacht. Und dann hagelte es statt
       Glückwünschen auch noch skeptische Fragen.
       
       „Haben Sie eine Ganztagsbetreuung?“, fragte die hilfsbereite Ärztin in der
       Pränataldiagnostikpraxis. Gott sei Dank nicht, dachte ich und fühlte mich
       angesichts unseres recht assistenzfreien Alltags kurz auf den Schlips
       getreten. „Aber jemanden, der dafür sorgt, dass das Kind keine
       Entwicklungsdefizite erleidet?“ Keine Ahnung, brauche ich den? „Wird das
       Kind auch blind sein?“, fragte sie weiter. Vor dem Hintergrund drohender
       Blindheit verblassten kurzfristig sogar etwaige Herzfehler und Trisomien.
       „Sie Arme, glauben Sie, Sie schaffen das?“
       
       Ich wusste es doch auch nicht. Aber welche werdende Mutter weiß schon
       vorher, wie es ihr nach der Geburt mit dem Baby gehen wird? Dass wir das
       krabbelnde Kind aus Versehen platt treten würden, wie einige unkten, schien
       uns unwahrscheinlich – das war uns auch bei unserem Führhund nie gelungen.
       Es in der Wohnung nicht wiederfinden? Unwahrscheinlich, anders als
       Hausschlüssel oder Stock schreien Babys doch! Aber da waren tausend Fragen,
       die wir nicht beantworten konnten: Wie würden wir die zarten Fingernägel
       des Neugeborenen schneiden? Wie sollten wir unser Kind später vor
       heranrasenden Radfahrern schützen? Und: Würde das Kind selbst blind werden?
       
       Ich habe einen vermutlich genetischen Netzhautdefekt und bin seit Geburt
       blind. Mein Mann erblindete mit 29 Jahren aus ungeklärten Gründen nach
       einer Netzhautablösung. Ob unser Kind sehen können würde, konnte auch die
       Pränataldiagnostik nicht klären. Sollten wir also doch besser kinderlos
       bleiben? Schwierig! Mit den munteren Herztönen der Ultraschalluntersuchung
       noch im Ohr, wollten wir uns nicht mehr in den Abgrund einer ethischen
       Grundsatzdiskussion über die Weitergabe defizitärer Gene begeben. Doch wer
       wünscht seinem Kind schon eine Behinderung? Es ist eine Sache, zufällig
       oder später blind zu werden, und eine andere, jemanden sehenden Auges
       (haha!) ins Unglück zu gebären.
       
       In dieser Unsicherheit half es, uns das drohende Unglück einmal genau
       auszumalen: Würde unser Kind ein freudloses Dasein im Dunkeln fristen, am
       Rande der Gesellschaft, ewig mit seiner Behinderung kämpfend – ungefähr so
       wie wir? Das klang verantwortbar! Wer, wenn nicht wir, könnte einem blinden
       Kind zeigen, mit dieser Behinderung glücklich zu leben!
       
       Unsere Tochter kam, sah – und besiegte in den letzten dreieinhalb Jahren so
       manchen Zweifel! Unser Alltag mit Kind läuft nicht grundsätzlich anders ab
       als der von sehenden Eltern, aber er ist auf jeden Fall ein Abenteuer mit
       speziellen Herausforderungen, über die ich ab jetzt an dieser Stelle
       regelmäßig berichten möchte.
       
       11 Sep 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannah Reuter
       
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