# taz.de -- Regierungspartei FPÖ und die Arbeiter: Sie wollen spalten
       
       > Die Arbeitszeithöchstgrenze in Österreich steigt. Die FPÖ aber gibt sich
       > als Partei der kleinen Leute. Zu Besuch in einem Wiener
       > Arbeiterstadtteil.
       
 (IMG) Bild: Weder 12 noch 60: Protest in Wien
       
       Wien taz | Es ist ein schönes Haus, in dem Paul Stadler sein Büro hat: ein
       dreistöckiger, weiß verputzter Altbau, Geranien vor den Fenstern,
       Stuckelemente. „Amtshaus für den 11. Bezirk“ steht in großen roten Lettern
       daran geschrieben.
       
       Paul Stadler ist aber nicht viel dort, in seinem Büro. „70 Prozent meiner
       Tätigkeit bin ich auf der Straße“, sagt der 61-Jährige. Denn Paul Stadler
       ist FPÖ-Bezirksvorsteher in Wien. Der erste, und der einzige. Ausgerechnet
       den [1][Arbeiterbezirk Simmering], jahrzehntelang Hochburg der Roten,
       knöpfte er 2015 bei den letzten Bezirkswahlen der SPÖ ab. Und wenn es eines
       gibt, was Stadler wichtig ist, dann das: Die SPÖ habe Simmering verloren,
       weil sie „zu weit weg war von den Menschen“. Er hingegen will ganz nah dran
       sein: „Die Bevölkerung ist mein Informant. Nur dort höre ich, wo der Schuh
       drückt.“
       
       In den letzten Monaten gibt es allerdings ein Problem. Denn jetzt drückt
       der Schuh bei den Simmeringern ausgerechnet wegen Stadlers eigener Partei,
       die seit letztem Herbst in einer Koalition mit der ÖVP das Land regiert. Im
       Juni wurde bekannt, dass die Regierung die Arbeitszeithöchstgrenze anheben
       will. Und im Juli erklärte die FPÖ-Sozialministerin Beate Hartinger-Klein,
       wer die Miete vom Amt bezahlt bekomme, der könne doch von 150 Euro im Monat
       leben.
       
       „Da war die Aufregung groß“, sagt Stadler. Aus seiner Sicht sind daran die
       Medien schuld, die Opposition und die Gewerkschaften: „Die Sachen werden
       nicht richtig kommuniziert, es werden Fehlbehauptungen in die Welt gesetzt,
       und dann sind die Leute verunsichert.“ Die sozialen Medien würden das
       zusätzlich verstärken.
       
       Alles Falschinformationen und Irrtümer? Wer sich anschaut, was die
       türkis-blaue Regierung in den letzten Monaten für sozialpolitische Reformen
       auf den Weg gebracht hat, kann das nicht bestätigen. Eine Maßnahme nach der
       anderen trifft vor allem Menschen, die ohnehin schon wenig verdienen.
       Diejenigen also, die insbesondere der FPÖ ihre Stimme gaben: Unter den
       Arbeitern erreichten die Blauen bei der Wahl einen Anteil von fast 60
       Prozent.
       
       ## Der Zwölf-Stunden-Tag
       
       Da ist der 12-Stunden-Tag, der bereits an diesem Samstag eingeführt wird:
       Österreichische Chefs können künftig anordnen, dass 12 Stunden am Tag und
       60 Stunden die Woche gearbeitet werden muss. Bislang war das nur unter
       Auflagen möglich: Die Unternehmen mussten nachweisen, dass ihnen sonst
       wirtschaftlicher Schaden droht, der Betriebsrat musste zustimmen.
       Eingeschränkt wird die Neuregelung nur durch eine EU-Vorgabe, nach der die
       durchschnittliche Arbeitszeit in einem Zeitraum von 17 Wochen 48 Stunden
       nicht überschreiten darf.
       
       Das Vorhaben wurde im Koalitionsvertrag vereinbart, die Formulierung fast
       wortgleich aus dem Programm der österreichischen Industriellenvereinigung
       übernommen. Das hat sich auch in Simmering herumgesprochen. „Die
       Großunternehmen wollten das schon immer, und jetzt haben sie es bekommen“,
       sagt Robert Hofer. Mit zwei Kollegen trinkt der Dachdecker an diesem
       Montag ein Feierabendbier in einem Lokal an der Simmeringer Hauptstraße.
       Nagelstudios reihen sich hier an Handyshops, Wettbüros an Friseursalons.
       
       „Fix a Katastrophe“, sei das mit dem 12-Stunden-Tag, sagt Hofer. Zwar
       glaubt er nicht, dass er selbst betroffen sein wird: „Auf dem Bau, da geht
       das nicht, kein Mensch kann da zwölf Stunden lang gute Arbeit bringen, das
       weiß auch der Chef.“ Er glaubt, dass es vor allem Angestellte in der
       Gastronomie treffen wird, im Tourismus und in der Reinigungsbranche. Die
       österreichische Arbeiterkammer und die Gewerkschaften sehen das ähnlich.
       
       ## Abstimmung im Eilverfahren
       
       100.000 Menschen [2][protestierten Ende Juni in Wien] gegen das neue
       Gesetz, eine nicht nur für österreichische Verhältnisse herausragende Zahl.
       Es rumorte aber auch innerhalb der FPÖ und ihrer Wählerschaft: Aus Protest
       gegen die neue Regelung verließen zwei FPÖ-Politiker ihre Partei, darunter
       der Chef der Freiheitlichen Arbeitnehmer in der Arbeiterkammer. Auf der
       Facebook-Seite des österreichischen Vizekanzlers Hans-Christian Strache
       ging ein Shitstorm wütender FPÖ-Wähler nieder. „Was ihre Partei jetzt
       betreibt, ist doch die reine Verarsche am Arbeitnehmer“ ist noch einer der
       netteren Kommentare.
       
       Die österreichische Regierung tat daraufhin zweierlei: Sie änderte den
       Gesetzentwurf dahin gehend ab, dass Arbeitnehmer nun formal das Recht
       haben, die Mehrarbeit abzulehnen. Arbeitsrechtsexperten sehen darin kaum
       eine Verbesserung – mit der Freiwilligkeit ist es in einem abhängigen
       Beschäftigungsverhältnis schließlich so eine Sache. Und sie zog die
       Verabschiedung des Gesetzes kurzerhand vor: Anfang Juli wurde es im
       Eilverfahren durchs Parlament gebracht, eigentlich war die Abstimmung für
       Dezember vorgesehen.
       
       Dem Protest wurde mit diesem Schachzug offenbar der Wind aus den Segeln
       genommen: Jetzt ist es stiller geworden um den 12-Stunden-Tag. Doch die
       „Arbeitszeitflexibilisierung“, wie die Regelung im Regierungssprech heißt,
       ist bei Weitem nicht die einzige Maßnahme der neuen Regierung, die vor
       allem die sogenannten kleinen Leute trifft, als deren Vertretung die FPÖ zu
       den Wahlen angetreten war.
       
       Im Januar wurde quasi über Nacht ein Programm eingestampft, mit dem 20.000
       neue Jobs für Langzeitarbeitslose geschaffen werden sollten. Im Mai einigte
       sich die Regierung auf eine neue Regelung zur Mindestsicherung, der
       österreichischen Sozialhilfe: Um diese in voller Höhe beziehen zu können,
       müssen künftig Deutschkenntnisse auf B1-Niveau nachgewiesen werden. Eine
       Regelung, die gegen Migranten gerichtet ist, aber auch 60.000 Österreicher
       ohne Pflichtschulabschluss betrifft. Zugleich wird gekürzt: Bei NGOs,
       Familienberatungsstellen, Frauenhäusern.
       
       „Die Politik der aktuellen österreichischen Regierung richtet sich gegen
       die drei unteren Zehntel der Gesellschaft“, sagt Martin Schenk. Er ist
       stellvertretender Direktor der Diakonie Österreich und Armutsforscher. „Der
       Sozialstaat hat in Österreich immer noch ein recht hohes Ansehen – um ihn
       abschaffen zu können, muss die Regierung das ändern, indem sie die unteren
       Teile der Gesellschaft gegeneinander aufbringt“, sagt Schenk. Das sei,
       neben der Spaltung in Österreicher und Ausländer, das wichtigste Projekt
       der türkis-blauen Koalition.
       
       ## Vorbild: das deutsche Hartz-IV-System
       
       Ein Projekt, das sich bislang im Stillen vollzieht, von den Protesten gegen
       den 12-Stunden-Tag einmal abgesehen. „Die Regierung ist sehr geschickt
       darin, von unpopulären sozialpolitischen Maßnahmen abzulenken, indem sie
       die Diskussion auf Asylpolitik lenkt“, sagt Schenk. Tatsächlich ließ sich
       das auch beim 12-Stunden-Tag beobachten: Als die Debatte auf dem Höhepunkt
       war, preschte die Regierung mit dem Vorschlag vor, künftig sollten auf
       europäischem Boden keine Asylanträge mehr gestellt werden können. „Über
       Arbeitszeiten redet da keiner mehr“, sagt Schenk.
       
       Noch scheint das Kalkül aufzugehen: Zwar hat die FPÖ laut
       Umfrageergebnissen gegenüber dem Wahlergebnis leicht an Zustimmung
       verloren, insgesamt sitzt die Regierung aber nach wie vor fest im Sattel.
       Doch während die Mehrheit der Österreicher angibt, mit dem
       Regierungsprogramm bezüglich Migration zufrieden zu sein, bekommt die
       Koalition für ihre Sozialpolitik schlechte Noten.
       
       Für Paul Stadler, den FPÖ-Mann in Wien-Simmering, ist klar: „Die FPÖ ist
       die Partei der kleinen Leute.“ Dafür stehe er und das verstünden die Leute
       auch, wenn er mit ihnen spreche. Tatsächlich aber vereint die FPÖ, ähnlich
       wie die AfD, widersprüchliche wirtschaftspolitische Ansätze von
       sozialnational bis unternehmernah und neoliberal – wobei der letztgenannte
       Flügel es in der aktuellen Koalition deutlich leichter haben dürfte, sich
       durchzusetzen.
       
       Der Streit darüber dürfte in den nächsten Monaten nicht abebben. Denn die
       ganz große Änderung in der Sozialpolitik steht Österreich noch bevor: Die
       Regierung hat angekündigt, die Arbeitslosenhilfe zu reformieren. Vorbild:
       das deutsche Hartz-IV-System. Noch in diesem Jahr soll ein Gesetzentwurf
       vorgelegt werden.
       
       31 Aug 2018
       
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