# taz.de -- NSU-Untersuchungsausschuss Hessen: Versäumnisse und Vertuschung
       
       > Die Linkspartei zieht Bilanz aus dem hessischen NSU- Ausschuss. Den
       > Verfassungsschutz bezeichnet sie als Sicherheitslücke.
       
 (IMG) Bild: Temme war mindestens unmittelbar vor dem Mord im Internetcafe eingeloggt gewesen
       
       Wiesbaden taz | „Der hessische Verfassungsschutz hat keine, sondern ist
       eine Sicherheitslücke, wir sind für seine Auflösung,“ schlussfolgert die
       Fraktionsvorsitzende der Linken im hessischen Landtag, Janine Wissler, aus
       der [1][Arbeit im Wiesbadener NSU-Untersuchungsausschuss].
       
       Vier Jahre lang hat das Gremium das Versagen staatlicher Organe im
       Zusammenhang mit der Mordserie des rechtsterroristischen NSU durchleuchtet,
       dabei 100 Zeugen vernommen und 2000 Akten gesichtet. Jetzt wirft die linke
       Ausschussminderheit dem hessischen Verfassungsschutz, den
       Ermittlungsbehörden und der damaligen Landesregierung schwere Versäumnisse,
       Fehleinschätzungen und sogar Vertuschungsversuche vor.
       
       Nach dem Kassler NSU-Mord an Halit Yozgat am 6. April 2006 hätten sowohl
       seine Vorgesetzten als auch der damalige Innenminister den tatverdächtigen
       Verfassungsschützer Andreas Temme vor den Ermittlungen geschützt. Nach
       Überzeugung der Linken war Temme zur Tatzeit am Tatort, auch wenn er das
       bestreite.
       
       Inzwischen sei auch erwiesen, dass sich Temme vor den tödlichen Schüssen in
       Kassel dienstlich mit der Mordserie befasst war. Dass er sich nicht einmal
       bei der Polizei als Zeuge gemeldet seine Anwesenheit im Internet-Cafe
       später zu vertuschen versucht habe, rücke ihn ins Zwielicht.
       
       ## Kritik an ehemaligem Innenminister Bouffier
       
       Im Zentrum der Kritik steht für die Linken der damalige Innenminister und
       heutige Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU). Er hatte unmittelbar nach
       der Tat erfahren, dass Temme als Tatverdächtiger festgenommen worden war.
       Temme war mindestens unmittelbar vor dem Mord im Internetcafe eingeloggt
       gewesen. Dokumente, die auch der taz vorliegen, belegen, dass es in den
       folgenden Wochen einen heftigen internen Streit zwischen Ermittlern und
       Verfassungsschutz gab. Die Ermittler wollten die von Temme geführten
       V-Leute vernehmen, der Verfassungsschutz bestand auf deren Schutz.
       
       „Bouffier entschied sich trotz der Mordserie für den Quellenschutz und hat
       so die Ermittlungen behindert,“ klagen die Linken. Dass die Abgeordneten
       des Landtags von den brisanten Ermittlungen erst drei Monate später
       erfuhren – nach einer Veröffentlichung in der Bild-Zeitung –, nennen sie
       einen Skandal.
       
       „Der Minister hat das Parlament zu spät und nachweislich falsch
       unterrichtet“, sagte Wissler. Bouffier hatte im Juli 2006 vor dem
       Innenausschuss versichert „der Mann ist unschuldig“, obwohl ihn die
       Staatsanwaltschaft immer noch als tatverdächtig ansah. „Seine Vorgesetzten
       und Bouffier persönlich haben ihre schützende Hand über Temme gehalten und
       dafür gesorgt, dass das Disziplinarverfahren im Sande verlief,“ bilanzieren
       die Linken.
       
       Als „institutionellen Rassismus“ bezeichnen sie die Tatsache, dass die
       Familie des Opfers über Monate abgehört und mit verdeckten Ermittlern
       observiert wurde. Der, wie inzwischen feststeht, richtige Hinweis des
       Vaters Ismail Yozgat, dass die Täter im rechtsextremen, rassistischen
       Umfeld zu finden seien, sei dagegen ignoriert worden.
       
       ## Gefahr durch Rechtsextreme relativiert
       
       Als „desaströs“ bewertet die Linke insgesamt die Arbeit des hessischen
       Verfassungsschutzes. Systemtisch sei die Gefahr durch rechte Gewalt
       heruntergespielt worden, obwohl man es hätte besser wissen können, sagte
       Wissler. Sie zitierte den Verfassungsschutzbericht aus dem Jahr 2005: „Im
       Gegensatz zu Skinheads unterscheiden sich Neonazis vornehmlich dadurch,
       dass ihr Handeln durch den Willen zu politischen Aktivitäten geleitet wird.
       Gewalt gilt nicht als adäquates Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele.“
       
       Aus einem internen Bericht des Innenministeriums geht dagegen hervor, dass
       dem Amt seit 1992 jährlich durchschnittlich 20 Hinweise über Waffen und
       Sprengstoff in der rechten Szene zugegangen sind, „bei sehr wenigen
       Aktenstücken“ habe es auch direkte Hinweise auf die NSU-Terroristen
       gegeben.
       
       Die Linken plädieren dafür, auf V-Leute künftig ganz zu verzichten: „Es ist
       eine Illusion, zu glauben, dass überzeugte Rechtsextremisten dem Staat
       zutreffende Informationen liefern. Wenn man sie mit Geld unterstützt,
       fördert man gleichzeitig den Aufbau rechter Szenen,“ so Wissler.
       
       Vor allem für die Angehörigen bleibe unbefriedigend, dass vieles im
       Zusammenhang mit dem NSU nicht aufgeklärt sei, sagte Wissler. Kein
       Verständnis habe sie deshalb dafür, dass die hessische Landesregierung dem
       Ausschuss viele Akten nur widerwillig, teilweise mit großer Verspätung und
       dazu noch weitgehend geschwärzt zugestellt habe. So sei auch der interne
       Bericht des Verfassungsschutzes über frühe Hinweise auf rechte
       Machenschaften bis zum Jahr 2134 gesperrt worden.
       
       15 Aug 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Hessischer-NSU-Untersuchungsausschuss/!5460170
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christoph Schmidt-Lunau
       
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