# taz.de -- Ein Stopp im südlichen Rhonetal: Kräutergarten der Provence
       
       > An La Garde-Adhémar fahren die meisten vorbei – zum Glück für die
       > wenigen, die anhalten. Es ist eines der schönsten Dörfer Frankreichs.
       
 (IMG) Bild: Der Kräutergarten von La Garde-Adhémar
       
       Wer durch das südliche Rhonetal fährt, egal ob mit der Bahn oder mit dem
       Auto, der erhascht vielleicht einen Blick auf das exponierte Bergdorf über
       dem linken Ufer des hier bereits recht breiten Flusses. Keck und dominiert
       von einer stattlichen Kirche, sitzt das mittelalterliche Ensemble auf dem
       oberen Ende eines steil abfallenden Kamms. Der Name weist die ursprüngliche
       Funktion des Ortes aus: La Garde-Adhémar, der Wachposten der Familie
       Adhémar. Dieses Adelsgeschlecht gab auch dem nahen Montélimar seinen Namen,
       der Hügel der Adhémars, bekannt als Nougatstadt.
       
       An La Garde-Adhémar reisen oder vielmehr rasen die allermeisten Touristen
       vorbei, ohne haltzumachen. Zum Glück für die paar wenigen, die den steilen
       Weg hoch zu dem Adlernest nehmen. Die mächtige Außenmauer wirkt abweisend,
       wie es sich für ein Wehrdorf gehört. Bis ins 19. Jahrhundert hatte man nur
       durch zwei Pforten Zutritt, die Port d’Amont im Norden und die Porte de la
       Fontaine im Südosten. Letztere ist gleich neben dem einzigen Brunnen, der
       außerhalb der Mauer liegt und wo sich die Bewohner mit frischem Wasser
       versorgten.
       
       Ist man aber erst einmal im Inneren der rund angelegten Siedlung
       angekommen, fühlt man sich nicht nur geborgen, sondern auch der Welt
       enthoben. Bis auf ein paar grellbunte Sonnenschirme vor dem Lokal Absinth
       scheint sich hier seit dem Mittelalter nicht viel verändert zu haben.
       Auffällig ist der achteckige Glockenturm der romanischen Kirche St. Michel,
       der im 14 Jahrhundert aufgestockt wurde. Wie bei vielen Kirchen der
       Provence befinden sich in der Nordwand keine Fensteröffnungen wegen des
       Mistrals, der oft eisig ist und nicht selten Sturmstärke erreicht. Seltsam
       ist der kleine Nymphenaltar im Eingangsbereich.
       
       Direkt vor der Apsis steht man nun auf der westlichen, senkrecht
       abfallenden und sich mit dem Fels verbindenden Mauer. Von der Brüstung aus
       sieht man hinab auf weitläufige Terrassen, die an den Fuß der Mauer grenzen
       und auf denen sich großflächig bunt blühende Ornamente mit streng
       grafischen Mustern ausbreiten. Es ist der „Jardin des Herbes“, der Garten
       der Kräuter, den die Gemeinde 1990 hier anlegen ließ.
       
       ## Ein duftendes Pflanzenmosaik
       
       „Jardin ouvert – entrée libre“ steht auf dem Blechschild an dem zierlichen
       Eisentor, Garten geöffnet – Eintritt frei. Das Gatter klemmt zwar, gibt
       aber nach einigem Rütteln dann doch den Weg frei. Über grob gehauene Stufen
       geht es hinab zu dem duftenden Pflanzenmosaik, das zusammengefügt ist aus
       unzähligen, mit niedrigen Buchshecken akribisch eingefassten Beeten.
       Zwischen allen Segmenten erlauben winzige Wege den direkten Zugang zu den
       sorgfältig mit Namensschildchen versehenen Blumen und Kräutern wie
       Lavendel, Thymian und Salbei – von dem zählt man hier zwanzig verschiedenen
       Sorten! Insgesamt sind es über vierhundert Heilpflanzen und Küchenkräuter,
       die im Jardin des Herbes entdeckt werden wollen.
       
       Die erste Terrasse ist eine Art Ur-Apotheke. Hier versammelt Danielle
       Acucci, die Gestalterin der Anlage, die medizinischen Pflanzen und
       präsentiert sie in rautenförmigen und dazwischen dreieckigen Beeten. All
       die Heilpflanzen sind nach ihrer Wirkweise angeordnet, wie eine
       übersichtliche Tafel informiert. So simpel wie genial ist hierbei der code
       couleur, der die einzelnen Bereiche aufschlüsselt: Die verschiedenen Farben
       der Schildchen symbolisieren jeweils Organe. Es gibt also eine Gruppe, die
       den Atemwegen guttut, eine andere dient der Stärkung der Nerven, für Leben
       und Galle gibt es eine Abteilung, ebenso für Herz und Kreislauf und eine
       für Magen und Darm. Entwurmungspflanzen können auch studiert werden.
       
       Rosenlauben ranken hinten an der Mauer zum Berg, vorne geht es wieder steil
       bergab zu weiteren, sicher uralten Terrassen, teils aufgelassen, teils mit
       Weinstöcken bepflanzt, teils anderweitig landwirtschaftlich genutzt.
       Zwischen den beiden Hauptebenen des Gartens, der sich im Sommer sehr
       aufheizen kann, bietet ein mit Bäumen und Büschen bestandener Übergang
       erholsamen Schatten. Frische spenden an diesem lauschigen Plätzchen zudem
       die sanft plätschernden Rinnsale, die zuerst die an der Felswand wachsenden
       Moose benetzen, bevor sie in ein steinernes Becken fallen, in dem ein paar
       Wasserpflanzen gedeihen. In den kleinen Einbuchtungen des Felsens über dem
       kühlenden Brunnen verschlafen Tauben die brütende Mittagshitze.
       
       Weitere Stufen führen auf die zweite, tiefer liegende Terrasse. Hier ist
       das Prunkstück des Gartens. Eine asymmetrisch platzierte Rosette, wiederum
       zusammengefügt aus akkurat mit Buchs eingefassten Beeten, erstreckt sich
       strahlenförmig über die ganze Ebene. In den Karrees wachsen kräftig
       blühende Pflanzen, die kontrastreich aufeinander abgestimmt sind. Beinwell
       ist dabei, Schafgarbe und Heiligenkraut. Kein Mensch außer uns ist da. Nur
       eine Katze rekelt sich zwischen Blumenpracht und Grün.
       
       ## Ein Atomkraftwerk in Sichtweite
       
       Weit unten im Tal fließt die von Montélimar herkommende Rhone, daneben ihr
       parallel verlaufender Kanal. Das Wasser beider glitzert herauf. Ein TGV,
       ein französischer Hochgeschwindigkeitszug, zischt auf seiner direkt neben
       dem Kanal verlaufenden Trasse vorbei. Wie Spielzeuge schieben sich zahllose
       Lastwagen auf der ebenfalls parallel verlaufenden Autobahn vorwärts.
       Gegenüber, auf der anderen Seite des Tals, erheben sich die Berge der
       Ardèche. Nicht zu übersehen sind allerdings auch die Kühltürme der nahen
       Nuklearanlage Tricastin, einer der größten der Welt.
       
       La Garde-Adhémar, das auf einem Kalkplateau erbaut ist, genießt die
       offizielle Auszeichnung, zu den schönsten Dörfern Frankreichs gezählt zu
       werden. Es gehört zum südlichsten, bereits provenzalischen Teil des
       Departements Drôme. Nicht erst seit der Adhémar-Dynastie war dieser Platz
       von strategischer Bedeutung. Bereits für die Römer war das Rhonetal,
       insbesondere die fast kerzengerade Nord-Süd-Achse ab Lyon eine immens
       wichtige Route. Überreste der bis nach Marseille führenden Via Agrippa kann
       man noch am Fuß des Hügels unterhalb von La Garde finden.
       
       Bergabwärts in Richtung Osten, etwa anderthalb Kilometer entfernt, kommt
       man in das Val des Nymphes, ins Tal der Nymphen. Zwischen trockenen
       KalkhügeIn stößt man auf eine Aue mit saftigen Wiesen und Obstbäumen. Um
       die Quelle, die hier entspringt, bestand zwischen dem 5. und dem 12.
       Jahrhundert eine bedeutende Siedlung, wie man archäologisch nachweisen
       konnte. Man vermutet, dass das Dorf im Tal damals wegen eines
       Sarazenen-Einfalls aufgegeben wurde und seine Bewohner auf den steinigen
       Bergrücken flohen. Von den insgesamt vier sehr kleinen Kirchlein ist
       Notre-Dame erhalten. Den Nymphenaltar, der oben in St. Michel von La
       Garde-Adhémar aufbewahrt wird, hat man in der Nähe der Quelle gefunden.
       
       25 Aug 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gudrun Mangold
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Schwerpunkt Frankreich
 (DIR) Kräutergarten
 (DIR) Garten
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kräuter des Mittelalters: Im Schatten der Paläste
       
       Pastinaken, Zuckerwurzel, Meerkohl oder der Chenopode bon Henri – ein
       Garten im französischen Uzès führt zu vergessenen Nutzpflanzen.