# taz.de -- Kräuter des Mittelalters: Im Schatten der Paläste
       
       > Pastinaken, Zuckerwurzel, Meerkohl oder der Chenopode bon Henri – ein
       > Garten im französischen Uzès führt zu vergessenen Nutzpflanzen.
       
 (IMG) Bild: Das Zauberkraut, die Alraune
       
       In Uzès ist das Mittelalter gegenwärtig wie kaum irgendwo. Mächtige Paläste
       und die dazugehörenden Türme dominieren die historische Altstadt, die auf
       einem Hügel über der Eurequelle erbaut wurde. Nicht allzu leicht zu finden
       in den blitzblank geputzten Gassen ist ein kleines orangefarbenes Schild:
       „Jardin Médiéval“, mittelalterlicher Garten.
       
       Es weist in ein schmales Tor, durch das nur Fußgänger schlüpfen können.
       Dahinter führt eine ansteigende, von hohen Mauern begrenzte Gasse zu einem
       weiteren, halb verschlossenen Tor. Fast zögert man – da oben soll sich ein
       öffentlicher Garten verbergen? Und was für einer! Oben angekommen ist man
       sofort gefangen vom Zauber des Ortes. An einem Schattenpflanzenbeet vorbei
       geht es zu einem hölzernen und dicht mit wildem Wein bewachsenen Kiosk, wo
       man eine Infobroschüre seiner Landessprache mit durchnummeriertem Plan in
       die Hand gedrückt bekommt.
       
       Doch erst muss man innehalten. An den unglaublich hohen Bauwerken
       hochschauen, die den Garten fast rundherum umgeben. Die Stille genießen,
       die es zulässt, dass man nichts als Vögel zwitschern, Zikaden schmettern
       und Brunnen plätschern hört, übertönt allenfalls von seinen eigenen
       Schritten im Kies.
       
       ## Zu erst das Herbularius
       
       Wohltuend auch der Schatten, der hier von morgens bis abends von einer der
       alten Steinmauern fällt und angenehme Kühle spendet. Der Plan beginnt mit
       dem „Herbularius“, dem Kräutergarten. Mächtige Rosmarinbüsche, Lavendel,
       Salbei, Kümmel, Safran, Meerrettich – alles Pflanzen, die bereits in der
       mittelalterlichen südfranzösischen Küche zu einer leichteren Verdauung und
       selbstverständlich auch als Würze der Speisen eingesetzt wurden, woran sich
       nichts geändert hat.
       
       An einem mit Wasserpflanzen bestückten und einer großen Wandkeramik
       verzierten Brunnen vorbei geht es zur Tour du Roi, dem Königsturm, erbaut
       im 11. und 12. Jahrhundert, und den sich daneben befindenden Palasträumen,
       wo wechselnde Ausstellungen moderner Kunst gezeigt werden.
       
       Längs ehemaliger Klosterzellen führt ein kleiner Gang in einen weiteren
       Hof, der von einer Kapelle, dem Bischofsturm und weiteren ehemals
       klerikalen Bauten umfasst wird. Hier ist der „Hortus“ angelegt, der
       Gemüsegarten.
       
       Mannshohe Artischocken locken mit ihren violetten Blüten die Bienen an.
       Darunter, was früher zum ganz normalen Speiseplan gehörte, heute aber
       weitgehend in Vergessenheit geraten ist: Pastinaken, Zuckerwurzel, Meerkohl
       oder der Chenopode bon Henri, womit ein wilder Spinat bezeichnet wird.
       
       Eine Weinlaube trennt vom nächsten Bereich. Unter den medizinischen
       Pflanzen finden sich Malve, Beinwell und Arnika, zur magischen Sammlung
       gehören Alraune, Bilsenkraut und Stechapfel. Das Pflücken oder Naschen
       verbietet sich ohnehin von selbst. Aber rote Punkte signalisieren
       vorsichtshalber noch mal, dass die jeweiligen Blumen oder Kräuter giftig
       sind.
       
       ## Pflanzen der Liebe und der Religon
       
       Eine wichtige Rolle in diesem botanischen Kleinod spielen Rosen und Lilien,
       die einen als Symbol der Liebe, die anderen der Religion. Man findet sie an
       den Mauern und im Garten verstreut. Kleine, gefüllte weiße Kletterrosen
       leisten sogar den mit Trauben behangenen Reben auf dem Laubengestänge
       Gesellschaft. Mitten im Bischofshof ist ein Nutzpflanzenbeet mit kleinen
       Wasserläufen angelegt. Hier findet sich das zu den Nelkengewächsen
       gehörende Seifenkraut, dessen schäumende und damit reinigende Wirkung im
       Mittelalter zum Beispiel zum Waschen der Schafwolle sehr geschätzt wurde.
       Gleich daneben Pflanzen, die man, bevor es chemische Farben gab, zum
       Einfärben von Stoffen verwendet hat und heute teilweise wiederentdeckt,
       etwa das Pastell für Blau, das Krapprot oder Reseda für gelbe Töne.
       
       Wieder zurück im schmalen Durchlass geht es noch in zwei Zellen, die von
       hier aus zu betreten sind. Wandtafeln erläutern die für Uzès traditionelle
       Lakritzherstellung – und selbstverständlich die Réglisse, auf Deutsch das
       Süßholz, das in der Gegend gedeiht und die Basis der Lakritzleckereien
       darstellt.
       
       Im schattigen Hof unter dem Königsturm kommt man zu einem Getreidefeld en
       miniature mit einigen Weizenähren, Dinkel, Hafer – uralte Sorten. Auch
       Sarrazin ist dabei, Buchweizen, der keine Getreideart, sondern ein
       Knöterichgewächs ist. Unverzichtbar für einen Garten des Mittelalters – auf
       den Äckern der modernen Landwirtschaft nicht mehr auszumachen – die blaue
       Kornblume; der knallrote Klatschmohn, die violette Kuhschelle oder die
       rosafarbene Kornrade.
       
       28 May 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Gudrun Mangold
       
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