# taz.de -- Tödliche Schlangenbisse: Die vergessene Krankheit
       
       > Rund 150.000 Menschen pro Jahr kommen durch einen Schlangenbiss ums
       > Leben. Die meisten von ihnen könnten gerettet werden.
       
 (IMG) Bild: Francis Ngombo, ein ehemaliger Mitarbeiter von der Bio-Ken-Schlangenfarm, wurde schon mehrmals gebissen
       
       Watamu taz | Behutsam und dennoch selbstsicher fast Boniface Momanyi die
       Puffotter hinter den Kopf. Das Reptil zappelt, aber wird mit der anderen
       Hand unter Kontrolle gehalten. Das offene Maul mit den beeindruckenden
       Zähnen wird auf Kunststofffolie gepresst, die über ein Glas gespannt ist.
       Einen Moment später rieselt eine winzige Menge Gift in das Glas, genug, um
       vier oder fünf Menschen zu töten. „Aber dieses Gift wird verwendet um
       Menschenleben zu retten“, sagt Momanyi, Vorarbeiter der [1][Schlangenfarm
       Bio-Ken] im kenianischen Ferienort Watamu. „Schließlich wird Antiserum aus
       Schlangengift hergestellt.“
       
       In Dutzenden von Terrarien unter schattigen Bäumen ist eine große Vielfalt
       an Schlangen zu sehen. Einige sind harmlos, aber viele auch giftig. Die
       Schlangenfarm ist mehr als ein Ort, an dem Touristen erschaudern können an
       der Speikobra, der Baumschlange, der Schwarzen und Grünen Mamba. Hier
       werden Schlangen gemolken und das Gift wird nach Südafrika verschickt, wo
       es für die Anfertigung von Antiseren benutzt wird. „Menschen töten oft
       Schlangen, weil es viel Ignoranz und Aberglaube gibt. Schlangen sind ein
       Teil der Natur, und die giftigen sind nützlich für Antiseren, an denen es
       einen riesen Mangel gibt.“
       
       Grob geschätzt sterben weltweit etwa 150.000 Menschen an Schlangenbissen
       pro Jahr, und mehr als doppelt so viele Menschen bleiben behindert. In
       Afrika südlich der Sahara führen mindestens 32.000 Bisse zum Tod.
       
       Die [2][Weltgesundheitsorganisation WHO] hat kürzlich Schlangenbisse als
       vernachlässigte tropische „Krankheit“ eingestuft. Damit hofft die WHO, dass
       mehr Antiseren produziert werden, um den Mangel an Gegengiften zu
       bekämpfen.
       
       Bisse von Giftschlangen können überlebt werden, wenn es das Gegengift gibt,
       aber die meisten staatlichen Krankenhäuser in Kenia und in anderen
       afrikanischen Ländern haben keine bezahlbaren und gut wirksamen Antiseren
       vorrätig. Gutes Gegengift ist teuer. Infolgedessen sind Schlangenbisse
       hauptsächlich eine tödliche Krankheit für die Armen.
       
       ## Krankenhausrechnung jahrelang abbezahlt
       
       Mensa Benjamin (19) kann darüber mitreden. „Vor sechs Jahren hat mich, als
       ich Cashewnüsse gepflückt habe, eine Schwarze Mamba gebissen. Ich bin nach
       Hause gerannt, und meine Familie hat einen traditionellen Heiler geholt,
       der einen schwarzen Stein auf die Wunde gelegt hat. Aber es hat nicht
       geholfen. Danach weiß ich nichts mehr. „Er verlor das Bewusstsein und wurde
       schließlich zu Bio-Ken gebracht, wo es Serum gegen Mamba-Bisse gab. Danach
       wurde er zur Beobachtung ins Krankenhaus gebracht. Benjamins Eltern sind
       arme Bauern, die noch jahrelang seine Krankenhausrechnung abbezahlen
       mussten. Das teure Serum bei Bio-Ken hingegen kostete nichts.
       
       Die Narbe des Bisses ist kaum sichtbar am Bein des Teenagers, der jetzt auf
       der Schlangenfarm arbeitet. Eine bemerkenswerte Berufsentscheidung. „Die
       Leute und die Arbeit hier haben mich gerettet. Ich arbeite gerne hier und
       habe keine Angst vor Schlangen“, sagt Benjamin. Er weiß, dass Antiseren da
       sind im Falle eines Bisses.
       
       Francis Ngombo (50), ein ehemaliger Mitarbeiter von Bio-Ken, hat davon
       reichlich Gebrauch gemacht. „Ich bin fünf Mal gebissen worden in meiner
       20-jährigen Karriere hier. Ich war gut in meiner Arbeit, hatte aber ein
       paar Mal Pech. Es war immer ein beruhigender Gedanke, dass es Antiseren
       hier gibt.“ Das Einzige, was noch an seine Begegnungen mit Gift erinnert,
       ist ein krummer Finger. Jetzt ist er pensioniert und lebt auf einer kleinen
       Insel, auf der er täglich nach Schlangen sucht. Wird er fündig, bringt er
       sie zu Bio-Kent. „Ich mag die Tiere gern. Es ist wichtig, sie zu schützen,
       andere bringen sie nur um.“
       
       Bio-Ken arbeitet mit [3][Health Action International (HAI)] zusammen, einer
       NGO in Amsterdam, die mit niederländischen Regierungsgeldern ein Projekt
       leitet, um Schlangenbisse auf die internationale Agenda zu setzen. „Malaria
       und HIV bekommen zum Beispiel viel Aufmerksamkeit, aber Schlangenbisse sind
       wirklich eine vergessene Krankheit“, bemerkt Ben Waldmann von HAI.
       
       Die Organisation sammelt Daten in Kenia, Uganda und Sambia und informiert
       Bevölkerung und medizinisches Personal über Schlangenbisse. „Natürlich ist
       auch eine Massenproduktion von bezahlbaren und gut funktionierenden
       Antiseren nötig, damit wird es schließlich eine gut behandelbare
       Krankheit“, sagt Waldmann bei einem Besuch auf der Schlangenfarm.
       
       Gegengift wird seit langer Zeit auf gleicher Weise hergestellt. Eine
       geringe Menge Gift wird gesunden Pferden injiziert, diese produzieren
       Antikörper. Aus Pferdeblut wird dann im Labor das Antiserum produziert. „Es
       schadet den Pferden nicht“, versichert Waldmann. Das Serum muss gekühlt
       aufbewahrt werden. Es hat nur eine begrenzte Haltbarkeit.
       
       ## Vipern und Nattern
       
       In Afrika sind es vor allem zwei Schlangenfamilien die gefährliche Bisse
       abgeben: Giftnattern (Elapidae) und Vipern, die auch als Ottern bezeichnet
       werden (Viperidae). Das Gift von beiden Familien ist sehr unterschiedlich.
       Das Gift der Nattern verursacht Symptome im gesamten Körper. Lähmungen
       entstehen, weil das Neurotoxin verhindert, dass Muskeln Signale von den
       Nerven bekommen. Das Vipern-Gift hingegen zerstört das Gewebe und
       verhindert die Blutgerinnung.
       
       Es gibt zwei Arten von Seren. Das sogenannte polyvalente – damit können
       Bisse von verschiedenen Schlangen behandelt werden. Das monovalente Serum
       wirkt nur gegen das Gift einer Schlangenart oder nahe verwandter Tiere. Es
       ist noch nicht möglich, Antiseren künstlich herzustellen.
       
       Die Kilifi-Region, in der sich Watamu befindet, gehört zu den Gebieten in
       Kenia, in denen die meisten Schlangen vorkommen. Das warme Küstenklima und
       die üppig wachsenden Sträucher bilden einen günstigen Lebensraum für
       Schlangen. Es ist auch eine Region, in der Menschen unter schlechten
       Bedingungen leben. HAI empfehlt, Gras und Büsche rund um das Haus zu
       entfernen und das Bett auf Beine zu stellen, anstatt auf einer Matratze auf
       dem Boden zu schlafen. Aber vor allem ist es geboten, nicht zu einem
       billigen traditionellen Heiler, sondern in ein Krankenhaus zu gehen.
       
       ## Ärzte müssen besser informiert werden
       
       In der kleinen Klinik des Arztes Eugene Erulu in Watamu wartet nur ein
       Patient auf einer Holzbank. Die Apothekerin ist beschäftigt mit ihrem
       Handy. In seinem übervollen Zimmer erzählt Doktor Erulu: „Wir bekommen zwei
       oder drei Schlangenbisse pro Monat, aber das Regierungskrankenhaus in
       Malindi bekommt die gleiche Anzahl pro Woche.“
       
       Durch zusätzliche Studien und die Zusammenarbeit mit der nahegelegenen
       Schlangenfarm und HAI ist er ein Experte auf dem Gebiet der Schlangen und
       deren Bissen. „Viele Ärzte haben wenig Ahnung von Schlangenbissen, weil es
       kein separater Teil des Studiums ist. Es ist wirklich wichtig, dass Ärzte
       besser Bescheid wissen. Vor allem, wenn sie in Gebieten arbeiten, wo es
       viele Schlangen gibt“, meint der Arzt.
       
       Er ist sehr kritisch hinsichtlich der Antiseren, die auf dem Markt sind.
       Manche sind nicht geeignet für Afrika. Andere wirken kaum, wenn sie
       verabreicht werden. „Es ist jetzt wichtig für die WHO, zu testen, welche
       Antiseren gut funktionieren und welche in den Mülleimer gehören.“
       
       Hat er Angst vor Schlangen? Er schüttelt lachend den Kopf. „Wenn man sofort
       nach dem Biss ins Krankenhaus geht und das richtige Gegenmittel bekommt,
       steht man am nächsten Tag wieder auf. Bisse giftiger Schlangen brauchen
       überhaupt nicht tödlich zu sein.“
       
       29 Aug 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] http://www.bio-ken.com/
 (DIR) [2] http://www.who.int/snakebites/en/
 (DIR) [3] http://haiweb.org/work-area/neglected-tropical-diseases/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ilona Eveleens
       
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