# taz.de -- Urteil im Wehrhahn-Prozess: Angeklagter kommt frei
       
       > Bei dem Anschlag am Düsseldorfer S-Bahnhof Wehrhahn waren vor 18 Jahren
       > mehrere Menschen verletzt worden. Das Gericht sprach nun den Angeklagten
       > frei.
       
 (IMG) Bild: Seine Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert: Ralf S., hier im Saal des Landgerichts
       
       Düsseldorf taz | Das Landgericht Düsseldorf hat am Dienstag den Angeklagten
       Ralf S. im sogenannten Wehrhahn-Prozess freigesprochen. Zudem hat das
       Gericht festgelegt, S. sei aus der Staatskasse zu entschädigen, unter
       anderem für die zurückliegende knapp eineinhalbjährige Untersuchungshaft,
       aus der er im Mai 2018 [1][entlassen wurde]. Staatsanwaltschaft und
       NebenklägerInnen hatten eine lebenslängliche Freiheitsstrafe für den
       52-Jährigen wegen versuchten Mordes in zwölf Fällen [2][gefordert].
       
       Der Wehrhahn-Prozess sollte einen 18 Jahre zurückliegenden Anschlag an der
       gleichnamigen Düsseldorfer S-Bahnstation aufarbeiten: Am 27. Juli 2000 war
       eine Gruppe von zwölf AussiedlerInnen aus ehemaligen Sowjetstaaten – sechs
       von ihnen jüdischen Glaubens – auf dem Rückweg von ihrem Sprachkurs. Als
       sie die S-Bahnstation Düsseldorf-Wehrhahn passierten, zündete jemand per
       Fernzünder eine Rohrbombe. Der Sprengsatz explodierte, Bombensplitter
       flogen, zehn AussiedlerInnen wurden verletzt, einige lebensgefährlich. Ein
       Splitter traf eine 26-jährige Schwangere, ihr Kind starb in ihrem Bauch.
       Der Vater des Kindes ist einer der NebenklägerInnen im Prozess.
       
       Für ein Urteil reicht es nicht: „Die Kammer konnte nicht die für eine
       Verurteilung erforderliche Überzeugung gewinnen“, sagt Richter Rainer
       Drees. Die Beweisanzeichen seien nicht ausreichend, um den Angeklagten zu
       überführen. Selbst in Summe komme man „nicht über Vermutungen hinaus“.
       ZeugInnenberichte darüber, dass der Angeklagte die Tat in Gesprächen
       gestanden haben soll, seien keine Basis für einen Schuldspruch. „Manche
       Zeugen präsentierten Angaben, die ihren früheren Antworten diametral
       entgegenstanden“, so Drees. Warum, das hätten die ZeugInnen selbst nicht
       erklären können.
       
       Auch Mitschnitte aus Telefonaten des Angeklagten, in denen er sich selbst
       belastet hatte, seien wenig zuverlässig. Der Angeklagte habe im gesamten
       Verfahren durchweg gelogen: Daher sei für die Kammer schwer einzuordnen,
       welche Tragfähigkeit seine Aussagen in anderen Situationen hätten. Da S.
       eine „Neigung zur Selbstinszenierung“ habe, prahle er gerne und habe die
       Tat wenn, dann fälschlicherweise gestanden.
       
       Dass das Gericht den Angeklagten für einen chronischen Lügner zu halten
       scheint, dürfte auch ein Erfolg der Verteidigung sein: Fußte doch ein
       wichtiger Teil ihrer Strategie darauf, S. als Spinner darzustellen, der
       zwar fremdenfeindlich und narzisstisch auftritt, prahlt und lügt – aber
       unschuldig ist.
       
       Die Spur zu S. war die einzige nach dem Wehrhahn-Anschlag. S. hatte einen
       Militarialaden gegenüber der Sprachschule, war bekannt für seinen Hass auf
       AusländerInnen und soll mit SprachschülerInnen wie jenen, auf die der
       Anschlag verübt wurde, aneinandergeraten sein. Am Tag der Tat, so hatte S.
       ausgesagt, sei er von der Arbeit nach Hause gekommen, habe geschlafen und
       Musik gehört. Tatsächlich sei er krank geschrieben gewesen, hatte
       Oberstaatsanwalt Ralf Herrenbrück widersprochen. Zudem hatte eine Zeugin
       angegeben, beim Knall aus dem Fenster geschaut und einen Mann auf einem
       Stromkasten gesehen zu haben, mit direkter Sicht auf den Tatort. Dieser
       Mann habe eine weinrote Mütze mit Nieten getragen: Eine Mütze, wie sie S.
       nach Aussage anderer ZeugInnen besaß. Doch auch das ist kein Beweis, nur
       ein Indiz.
       
       „Wir haben es uns nicht leicht gemacht“, sagt Drees. „Wir haben genau
       abgewogen, was für und was gegen den Angeklagten spricht.“ Da S. sich in
       der Vergangenheit über die Anschlagsopfer und alle anderen AusländerInnen
       „zynisch verachtend“ geäußert hätte, sei ein fremdenfeindlicher Anschlag
       „keinesfalls persönlichkeitsfremd“. Doch Rassismus sei kein Schuldbeweis –
       ebensowenig wie der Mitschnitt eines Telefonats, in dem der Angeklagte im
       Bezug auf den Anschlag gesagt hat: „Was ich da gemacht habe… Gemacht haben
       soll.“ Man dürfe nun nicht nach SiegerInnen oder VerliererInnen
       unterscheiden, erklärt der Richter. Der Freispruch sei keine Niederlage der
       Staatsanwaltschaft, sondern lediglich das Ergebnis rechtsstaatlicher
       Prinzipien.
       
       31 Jul 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Wende-im-Wehrhahn-Prozess/!5504061
 (DIR) [2] /Plaedoyers-im-Wehrhahn-Prozess/!5523613
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Anett Selle
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Rechtsextremismus
 (DIR) Düsseldorf
 (DIR) Schwerpunkt Rechter Terror
 (DIR) Schwerpunkt Rechter Terror
 (DIR) Schwerpunkt Rechter Terror
 (DIR) Rechtsextremismus
 (DIR) Schwerpunkt Neonazis
 (DIR) Schwerpunkt Rechter Terror
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Mutmaßlich rechter Terror im Jahr 2000: Wehrhahn-Anschlag bleibt ungesühnt
       
       20 Jahre nach dem Attentat in Düsseldorf hat der BGH den Freispruch für
       einen Nazi bestätigt. Zwölf Menschen wurden damals teils schwer verletzt.
       
 (DIR) Jahrestag Wehrhahn-Anschlag: 20 Jahre ohne Klarheit
       
       Am 27. Juli 2000 verletzt in Düsseldorf eine Bombe zehn Menschen, darunter
       viele Juden. Ein ungeborenes Baby stirbt. Verurteilt wurde dafür bis heute
       niemand.
       
 (DIR) Linkenpolitiker zum Wehrhahn-Urteil: „Das ist Schlamperei“
       
       Mit dem Freispruch für Ralf S. endet die einzige Spur nach dem
       Bombenanschlag in Düsseldorf in einer Sackgasse. Frank Laubenburg bemängelt
       Polizeipannen.
       
 (DIR) Plädoyers im Wehrhahn-Prozess: Noch immer keine Gewissheit
       
       Die Staatsanwaltschaft fordert „lebenslänglich“ für den rechtsextremen
       Angeklagten. Die Verteidigung will für ihren Mandanten einen Freispruch.
       
 (DIR) Wende im Wehrhahn-Prozess: Mutmaßlicher Attentäter kommt frei
       
       Prozess in Düsseldorf: Der Haftbefehl gegen Neonazi Ralf S., mutmaßlicher
       Täter des Bombenanschlags von Wehrhahn, ist aufgehoben.
       
 (DIR) Prozess zum Anschlag in Wehrhahn: Ein Neonazi gibt das Opfer
       
       17 Jahre nach dem Anschlag auf eine Düsseldorfer S-Bahn-Station steht ein
       Rechtsextremer vor Gericht. Und erklärt sich für unschuldig.