# taz.de -- Radfahrerinnen auf Frankreichrundfahrt: Tour des femmes
       
       > Weil es keine Tour de France der Frauen gibt, haben sie ihre eigene
       > organisiert: 13 Radlerinnen fahren die Etappen einen Tag vor den Männern.
       
 (IMG) Bild: Teilnehmerinnen von „Le projet Donnons des elles au vélo“
       
       Lore schiebt Greg die letzten Meter bis auf den Gipfel des Col du Portet.
       Der liegt, 2.215 Meter hoch, mitten in den französischen Pyrenäen, Spanien
       ist nah und ein paar Schippen Schnee hat es hier auch noch.
       
       Am baumlosen Wegesrand muhen Kühe, Greg Cohen-Coudar sieht bleich aus. Es
       ist der erste Gipfel seines Lebens, den er mit dem Rad erklimmen will. Lore
       Le Pabic radelt verglichen mit Greg um einiges frischer daher. „Allez,
       Greg!“, „auf geht’s!“, ruft die 28-jährige Bretonin, und dann ist der
       Pariser über der Ziellinie. Greg ist am Ende. Für Lore ist es der 17. Tag
       einer Tour, die ein paar belgischen Herren beim zweiten Bier unten im Tal
       ein ungläubiges Kopfschütteln entlockt hat.
       
       13 Frauen fahren die Strecke der Tour de France, die am Sonntag auf dem
       Champs-Elysées enden wird. 21 Etappen, jeweils einen Tag vor den Männern –
       für die wird die Strecke abgesperrt, für die Frauen nicht. Sie schlängeln
       sich durch den Verkehr. 3.351 Kilometer, 26 Gipfel in den französischen
       Alpen und den Pyrenäen.
       
       Die Frauen haben vier Begleitfahrzeuge dabei, sehr viele Gummibärchen und
       Apfelsaft. Alle sind Amateurinnen, die Jüngste ist 28, die Älteste 44. Sie
       sind Chemieingenieurinnen, Lehrerinnen oder Unternehmensberaterinnen. Sie
       führen ein Restaurant, sie haben Kinder und Männer, und vor allem sind sie
       zäh. Sie wollen, dass es wieder, wie schon mal in den 1980er Jahren, eine
       ausgedehnte Tour für Frauen gibt, nicht nur einen Renntag wie derzeit. Sie
       wollen mehr Anerkennung im Radsport – den Männer lange Zeit, und besonders
       in Frankreich, ziemlich unter sich ausgemacht haben.
       
       Sie heißen Anna, Aodez oder Marine, und sie strampeln sich ab für ihre
       internationalen Profikolleginnen, die Frauenrennen weltweit in der UCI
       Women’s World Tour bestreiten. Die Tour de France gehört nicht zu dieser
       Rennserie, Frauen kommen bei ihr eigentlich nur als Garnitur vor. Als
       wegweisende Hostessen in knappen Bleistiftröcken und mit schmuckem
       Halstuch, als Hostessen, die am Siegertreppchen hübsch lächeln, oder
       einfach als die sexy Begleitung von dem und dem.
       
       13 Frauen sind es, die gerade unterwegs sind und die keine Lust mehr haben
       auf Stereotype. Die keine Lust mehr haben auf die alte Machofrage, ob sie
       im Röckchen oder in Shorts in die Pedale treten. Ihren Protest nennen sie
       „Donnons des elles au vélo“, was so viel heißt wie „Rauf aufs Rad mit
       ihnen“, ein französisches Wortspiel: „Elles“ hört sich ähnlich an wie
       „ailes“, die Flügel.
       
       Greg, der Gipfelerklimmer, begleitet die Gruppe als einer von drei
       Physiotherapeut*innen. Er wollte es mal am eigenen Körper spüren, „dieses
       Gefühl am Berg. Jetzt erst kapier ich erst, was die hier leisten.“ Dieses
       Gefühl am Berg – für Claire Floret, die Hauptorganisatorin der Frauentour,
       hat es erst mit Mitte 20 klick gemacht auf dem Rad. Als Sportlehrerin an
       einem Lycée beschäftigt, kletterte Claire begeistert. Dann brachte sie ihr
       Freund und heutiger Mitorganisator Mathieu Istil auf den Geschmack. So
       sehr, dass Claire einen offiziellen Radsportclub nur für Frauen gründete,
       den einzigen im Pariser Raum. Er steht hinter der Frauen-Tour-de-France,
       die es jetzt zum vierten Mal gibt.
       
       ## „Hey, wir wollen sie am besten alle aufs Rad kriegen“
       
       Claires „Club Omnisports de Courcouronnes“ liegt in einer sozial gemischten
       und teilweise problematischen Banlieue, ein Ziel des Vereins ist die
       sportliche Förderung von benachteiligten Frauen und Mädchen. „Hey, wir
       wollen sie am besten alle aufs Rad kriegen“, sagt Claire mit ihrer kehlig
       fröhlichen Stimme oben auf dem zugigen Col du Portet, dem höchsten Gipfel
       der diesjährigen Tour. Sie nimmt ihren Helm ab, lässt Wasser über die
       dunkelblonden, leicht verwuschelten Haare tropfen. „Es ist egal, ob die
       Mädels sportlich sind oder wenig Ehrgeiz haben, ob sie dick oder dünn sind,
       ob sie sich als Amazone oder Dornröschen sehen. Es muss sich ja nicht jede
       so abmühen wie wir auf dieser Tour.“ Rund 50 Frauen treffen sich regelmäßig
       zum Trainieren, zum Spaß haben. Anerkannt ist der Club vom offiziellen
       französischen Radfahrerverband, bei dem nur 10 Prozent der Mitglieder
       Frauen sind.
       
       Letztes Jahr war eine Mädchengruppe aus der Banlieue beim Start der Tour de
       France der Frauen in der Normandie dabei. 15 Kilometer sind die Mädels
       mitgeradelt. „Es war ein Mini-Anfang, aber einige waren gleich angefixt“,
       sagt Claire. Dann schnappt sie sich Chips und tätschelt kurz ihren
       anatomisch perfekten Rennsattel. Auf dem Pyrenäengipfel ist es frisch,
       nicht so schwül und gewittrig wie im Tal. Keine Spur vom großen Regen von
       heute Mittag, der den 13 bereits schlitterignasse, heikle Abfahrten
       bereitet hat.
       
       In der Früh sind sie beklatscht und angefeuert worden, nicht von
       Menschenmassen wie bei der Männertour, aber von ein paar gutgelaunten
       Wohnwagenbesitzern. Die kampieren teils zu Dutzenden an der Strecke, viele
       Familien, Großfamilien auch. Da sind Omis, die den Daumen recken für die 13
       – Omis aus Katalonien, die gerade noch Topflappen gehäkelt haben oder Omis
       aus Krefeld, die mit Liebfrauenmilch anstoßen. Und es gibt kleine Mädchen
       aus Marseille auf grell pinkfarbenen „Girl’s Bikes“, die johlen und winken,
       wenn das Peloton, der Tross, auftaucht.
       
       Dessen Größe variiert täglich, jede und jeder kann für einen oder mehrere
       Tage auf eigene Kosten mitfahren. „Es geht uns um eine gute soziale
       Mischung“, sagt Claire. Aber ihr ist auch klar, dass Rennradfahren bis
       heute eben meistens ein Sport finanziell privilegierter Menschen ist. Bis
       zu 100 Leute sind manchmal auf der Strecke dabei, die Kommunikation läuft
       über soziale Netzwerke. Florence Payot aus Nantes hat sich temporär
       angeschlossen, zu Hause ist sie die einzige Frau in ihrem Radclub. „Es
       läuft schon manchmal zackig bei uns“, sagt die 54-Jährige, „ich muss mich
       richtig durchsetzen auf der Straße.“ Das bestätigt auch Julie Dubosc, die,
       fast 16 Jahre alt, auf dem Weg ist, Profirennradfahrerin zu werden. Sie
       bezeichnet sich selbst als ehrgeizig, „aber ich kann auch loslassen. Bei
       den Jungs geht es schon beim ganz normalen Training fast immer nur um den
       Wettbewerb, um das Stärkersein.“
       
       Bei der ersten Tour 2015 startete „Donnons des elles au vélo“ nur mit zwei
       Radlerinnen. „Eine junge Belgierin stieß noch mittendrin dazu“, erinnert
       sich Claire, auf die jetzt, kurz vor der Abfahrt zum heutigen Schlafplatz,
       eine Herde Schafe zuläuft. „Donnons des elles au vélo“ hatte damals fast
       keine Sponsor*innen, es gab keine Massagen, keine acht Leute als
       Begleitteam wie dieses Jahr, keine Hotels. Es gab nur den Unterschlupf bei
       Freund*innen und Unterstützer*innen. „Es war ein kompletter, aber toller
       Wahnsinn, so an die eigenen Grenzen zu gehen, logistisch wie körperlich“,
       sagt Claire. Im letzten Jahr radelten bereits 10 Frauen die gesamte Runde
       mit – die Hälfte davon Wiederholerinnen. Eine Rollstuhlfahrerin war als Fan
       im Begleitbus dabei.
       
       Auch 2018 ist aus 35 Bewerberinnen so ausgewählt worden, dass die Chemie,
       so Claire, „für eine derartige Tour de Force möglichst stimmt“. Der
       Gruppenmix scheint zu passen, und „an den Renntagen ist jede so unter
       Strom, da bleibt sowieso keine Zeit für Hickhack“. Nur die wenigen Ruhetage
       rissen raus aus dem Adrenalinkick, „da gerät man dann schon mal
       aneinander“. Aber letztlich gäbe es immer eine große Solidarität – auch im
       Schmerz scheinen die 13 vereint. In den vier Jahren passierte
       glücklicherweise nur ein schwerer Sturz. 35 Meter Tapeband haben sie auf
       der aktuellen Tour für wehe Gelenke gebraucht.
       
       ## Keine Zeitfahrten und keine Sprints
       
       Die größten Hürden so weit? Claire überlegt kurz. „2016 hat uns ein Paar
       aus dem Begleitteam einfach mittendrin verlassen. Sie kamen nicht damit
       klar, dass sie immer nur im Hintergrund für uns da waren und wir Mädels die
       Show hatten.“ Letztes Jahr gab der Mechaniker der Gruppe kurz vor dem Start
       den Laufpass. Jetzt macht Alex aus Kiew den Job.
       
       Die Gruppe will auch in Zukunft Männer im Team dabei haben. „Das macht uns
       als Ganzes lockerer“, sagt Tetiana Kalachova ein paar Stunden später beim
       Abendessen. Das findet in Puydarrieux statt, lauschig unter einem großen
       Baum am langen Holztisch. Im Garten sind die Massagebänke verteilt, eine
       Katze hat es sich auf einer schon mal gemütlich gemacht. Die Gruppe schläft
       jeden Abend woanders – dieses Mal ist sie in einer Art Jugendherberge
       untergekommen, aus der Kantine kommt beste französische Küche.
       
       Tetiana stammt wie Alex aus der Ukraine. Sie hat in Paris ihren Master in
       Biologie gemacht, forscht jetzt an einem Prager Institut. „Für mich war das
       Rad von Anfang an, auch in meiner Heimat, ein Schlüssel zur
       Unabhängigkeit“, sagt die 30-Jährige. Sie ist kräftig und groß, hat einen
       extrem wachen Blick und ist der schönste Beweis dafür, dass man keine
       Gazelle sein muss, um sich an der Grenze zum Extremsport zu tummeln. Die
       meisten von Tetianas Verwandten in Kiew finden es „ziemlich seltsam“, was
       sie in Frankreich gerade veranstaltet. „Radeln hat in der Ukraine keine
       Tradition, und bin ich mal zu Hause, werde ich eher gefragt, warum ich denn
       noch keine Kinder habe.“
       
       Vermisst sie was während der Tour? Sie schüttelt schmunzelnd den Kopf. „Du
       vergisst einfach, dass es so was wie Zeithaben oder Ausschlafen gibt. Du
       bist voll im Modus.“ Dieser Modus hat nichts mit Wettbewerb zu tun. Die
       derzeitige Tour de France der Frauen kennt kein Zeitfahren und keine
       Sprints. Durchschnittlich sind sie mit 25 Stundenkilometern unterwegs.
       Bergwärts zieht jede ihren eigenen Rhythmus durch. „Im Flachland aber“,
       sagt Tetiana, „versuchen wir als rasanter Pulk zusammenzubleiben.“ Sie ist
       das erste Mal dabei. Fast ein Jahr lang hat sie mindestens fünfmal pro
       Woche für diesen Juli ihres Lebens trainiert. „Ich glaube, meine
       Verwandtschaft wird weiter viel Freude an mir haben“, sagt sie
       augenzwinkernd, bevor sich die Osteopathin der Gruppe ihr im warmen
       Abendlicht widmet.
       
       Verglichen mit der millionenschweren Tour de France kommt „Donnons des
       elles au vélo“ mit einem Minibudget von rund 75.000 Euro aus. Die Gruppe
       zahlt nicht mehr drauf, hat Sponsoren gefunden, für ihre Räder und die
       Begleitautos – und für alles, was man eben so braucht, wenn man sich zu
       dreizehnt mit dem Rad aufmacht. Auch für die Trikots, auf denen die
       Silhouette einer Frau mit Flügeln prangt. Soll das sexy sein? Claire, die
       Organisatorin, hat sich eigentlich für dieses Jahr ein neutraleres Logo
       gewünscht, „aber das war halt von Anfang an unser Markenzeichen“. Jetzt
       sehen sie es gelassen, „sollen die Leute doch denken, was sie wollen“. Froh
       ist sie allerdings, mitverhindert zu haben, dass die Farbe Pink noch
       stärker auf dem Trikot auftaucht. „Es reicht schon“, echauffiert sie sich
       belustigt, „dass das große italienische Frauenrennen Giro Rosa heißt!“
       
       ## Ein Sponsor würde gern groß einsteigen
       
       Warum ziehen die Veranstalter der Tour de France der Männer nicht mit bei
       einer großangelegten weiblichen Rundfahrt? Es ist die familiengeführte
       französische Amaury-Gruppe, die unter dem Namen ASO die höchst lukrativen
       Rechte an der Tour hält. Mehr als 200 Millionen Euro setzt sie jährlich
       beim drittgrößten Sportereignis der Welt um, das in mehr als 200 Länder
       übertragen wird. ASO glaubt, logistisch und sponsorentechnisch nicht zwei
       Touren gleichzeitig erfolgreich ausrichten zu können. Weitere Äußerungen
       dazu – Fehlanzeige. Dabei würde einer der Hauptsponsoren von Claire und
       ihrer Equipe, die nationale Lotteriegesellschaft FDJ, gern im großen Stil
       einsteigen. Sie finanziert auch „La Course“, den eintägigen Renntag der
       Profifrauen.
       
       Stéphane Pallez, Chefin von FDJ, findet, die Zeit sei mehr als reif für
       eine Wiederauflage. Damit wäre ein großes Ziel von „Donnons des elles au
       vélo“ erreicht: Sie setzen sich für ein Format von sieben bis zehn Tagen
       ein, „das entspricht aus unserer Sicht weiblichen Radprofis am besten“,
       sagt Claire. Wenn es wieder eine längere Tour de France der Profidamen
       gäbe, hätte sich ihre Idee dann nicht selbst überflüssig gemacht? Claire
       giggelt, genehmigt sich an diesem lauen Abend noch ein großes Eis und sagt:
       „Nein, Radeln ist nie überflüssig. Wir machen dann hoffentlich weiter eine
       landesweite Tour für Amateurinnen.“
       
       Am nächsten Morgen hat es die Sonne gerade über den Marktplatz von
       Trie-sur-Baïse geschafft, einem mittelalterlich geprägten Örtchen mit rund
       1.000 EinwohnerInnen in den saftigen Ausläufern der Pyrenäen.
       Trie-sur-Baïse hat es hingekriegt, dass die Tour der Herren das erste Mal
       in ihrer 115-jährigen Geschichte hier eine Abfahrt macht. Dafür hat die
       Kommune rund 70.000 Euro an ASO gezahlt, worüber in der traditionsreichen
       Bar des Sports unter der Markise kontrovers diskutiert wird. Vor der Bar
       ist der Treffpunkt für die Tour der Frauen, mehr als 50 Mitradler*innen
       schließen sich den 13 an diesem Tag an.
       
       Barbesitzer Jean-Claude schenkt zu diesem Anlass ein paar Kaffees aus, und
       Annie Mailho vom regionalen Radclub „Cyclo Roue Libre“ stöckelt mit ihren
       Rennradschuhen freudig hin und her. Ja, auch auf solchen Schuhen können
       Frauen stöckeln, „das ist vielleicht zu viel für manche Männer“, witzelt
       sie und läuft weiter. Die Schuhe klackern. Annie ist 64, ihr Club hat
       bereits mehr als 30 Prozent weibliche Mitglieder. „Wir sind eine Ausnahme
       in dieser Ecke“, sagt die drahtige Jungrentnerin und steigt auf ihr
       Gefährt, dann dreht sie sich noch mal um: „Wir haben das Jahr 2018, und wir
       Frauen müssen weiter am Rad drehen. Die Männer tun’s nicht für uns.“
       
       28 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Harriet Wolff
       
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