# taz.de -- Bird-Watching in Berlin: Da oben! Da oben!
       
       > Mauersegler machen fast alles im Fliegen, sogar schlafen. Die taz hat
       > unter fachkundiger Anleitung einen Blick auf Berlins größtes Flugwunder
       > geworfen.
       
 (IMG) Bild: Werden bald nur noch in der Luft kuscheln: Mauersegler-Küken
       
       Wer eine Mauersegler-Führung mit Derk Ehlert bucht, müsste eigentlich
       vorher eine Einverständniserklärung unterzeichnen: Sind Sie damit
       einverstanden, dass Sie ab sofort jeden Sommer die schrillen Rufe von apus
       apus hören werden? Dass Sie in keinem Park, auf keinem Balkon mehr sitzen
       können, ohne diesen Vögeln nachzuschauen, wie sie ihre Luftakrobatik
       absolvieren? Verzichten Sie auf Haftungsansprüche wegen eventuell
       eintretender Nackenstarre? All das passiert nämlich beinahe zwangsläufig,
       wenn man an eine Mausersegler-Führung mit Derk Ehlert bucht.
       
       Die zwölf Vogelinteressierten, die sich an einem lauen Juliabend vor dem
       Schloss Charlottenburg versammelt haben, ahnen das noch nicht. Das heißt,
       manche vielleicht schon, denn Derk Ehlert hat Fans, die regelmäßig an
       seinen über die Berliner Volkshochschulen organisierten Touren teilnehmen.
       Sie wissen, was sie erwartet, und sie freuen sich darauf.
       
       Ehlert, 51, schlank, schmales Gesicht mit angegrautem Haar und dunklen
       Augen, ist im Birdwatcher-Outfit erschienen: Jeanshemd, Outdoor-Rucksack
       und um den Hals ein großes Fernglas. Während er Ausdrucke von Artikeln aus
       ornithologischen Zeitschriften an die TeilnehmerInnen verteilt, macht sich
       unter denen die Vorfreude Luft: „Ich bin schon ganz gespannt“, vertraut ihm
       eine ältere Dame an. „Das sollten sie auch“, antwortet Ehlert und grinst,
       „dieser Vogel ist der Hammer!“
       
       Dass die Führung durch den Charlottenburger Schlosspark geht, hat einen
       Grund: Hier sammeln sich viele der in den umliegenden Altbauquartieren
       brütenden Mauersegler und jagen gemeinsam durch den Abendhimmel, durch die
       weite Sicht lassen sie sich besser beobachten als in den Straßenschluchten
       der Stadt. Allzu schlechte Augen sollte man nicht haben, denn den Vogel, um
       den es hier geht, kann man als Laie fast ausschließlich beim Fliegen
       beobachten – und Mauersegler fliegen schnell. Wenn es sein muss, mit mehr
       als 200 Stundenkilometern.
       
       Das und noch sehr viel mehr erfährt die Gruppe in den anschließenden zwei
       Stunden von Ehlert: dass Mauersegler nicht mit Schwalben verwandt sind,
       obwohl sie von Unkundigen oft dafür gehalten werden. Dass die Füße des
       Mauerseglers so verkümmert sind, dass er sich kaum damit fortbewegen kann,
       und dass sein wissenschaftlicher lateinischer Name nicht von ungefähr „der
       Beinlose“ bedeutet. Dass das dem Mauersegler eigentlich egal ist, weil er
       ohnehin so gut wie nie, nämlich ausschließlich zum Brüten, landet. Dass er
       folgerichtig im Fliegen jagt, frisst, sich paart und sogar schläft – auch
       wenn seine Vorstellung von Schlaf mit der eines Menschen herzlich wenig zu
       tun hat.
       
       ## Schlafen im Fallen
       
       Denn der Mauersegler, das hat die Mauerseglerforschung ergeben, knipst bei
       Müdigkeit einfach abwechselnd die Hirnhälften aus: „Nach 2,3 bis 2,6
       Sekunden ist der ausgeschlafen“, erklärt Ehlert, wobei auch Phasen
       kompletten Tiefschlafs zu beobachten seien, die vier Sekunden dauerten. „In
       dieser Zeit fliegt der Mauersegler nicht, er fällt wie ein Stein.“ Auch
       hier habe die Mauerseglerforschung Kurioses beobachtet, so Ehlert:
       „Anscheinend machen sie das synchron mit anderen. Warum sie das tun und wie
       sie sich abstimmen, wissen wir aber noch nicht.“
       
       Aber kann ja noch kommen: Die Mauerseglerforschung hat in den vergangenen
       zwanzig Jahren enorme Fortschritte gemacht, was vor allem an der
       Miniaturisierung der Mess- und Sendetechnologie liegt. Heute können
       WissenschaftlerInnen einzelne Tiere mit stecknadelkopfgroßen „Geolokatoren“
       bestücken, die über längere Zeiträume die Position des Vogels und somit
       sein Zugverhalten in die afrikanischen Winterquartiere aufzeichnen. Für
       kürzere Zeiträume werden ebenso winzige Transponder angebracht, die auch
       Daten wie Flughöhe und Temperatur registrieren. Ehlert: „Dass der
       Mauersegler ein interessantes Leben führt, war schon immer klar, aber
       nicht, dass es so interessant ist.“
       
       Man merkt schnell, dass der Mann fasziniert ist von Vögeln und von dieser
       Art ganz besonders. Seit zwei Jahrzehnten ist der studierte
       Landschaftsplaner als Wildtierexperte und mittlerweile auch Pressesprecher
       für die Umweltverwaltung des Senats tätig, aber schon seit 30 Jahren klärt
       der Hobbyornithologe Ehlert als Volkshochschuldozent über Mauersegler auf.
       Mit Leidenschaft: „Da oben! Da oben!“, ruft er mehr als einmal, und seine
       Adepten im Schlosspark legen die Köpfe in den Nacken. „Was für ein
       Kraftbolzen!“ Seine dunklen Augen funkeln vor Begeisterung.
       
       Auf den Stufen zum Schlossteich, wo Schwäne, Enten und Blässhühner nach
       Brotkrümeln suchen und im Vergleich zum Vogel des Abends recht
       entschleunigt wirken, zeigt Ehlert, wie Mauersegler trinken (oder, wie er
       fachsprachlich sagt: saufen). Im flachen Winkel nähern sie sich dem Wasser
       – manchmal brauchen sie mehrere Versuche –, um dann mit geöffnetem Schnabel
       einen Tropfen abzugreifen. „Jahaaa, jetzt kommt er…“ – Ehlert ist
       regelrecht euphorisiert – „Achtung … zack! Jetzt hat er gesoffen! Und noch
       einer! Und noch einer! Das ist ein Mauersegler-Massensaufen!“ Wie Steinchen
       titschen die Vögel über das Wasser und hinterlassen kleine helle Kratzer
       auf der dunklen Oberfläche.
       
       Der Höhepunkt der Tour folgt aber noch: „Einen habe ich Ihnen mitgebracht“,
       verkündet Ehlert und kramt eine Tupperdose aus dem Outdoor-Rucksack. Darin:
       ein gar nicht so richtig tot aussehendes Exemplar, das Ehlert gefunden hat.
       Das ist auch gar nicht so selten: Wenn die Jungtiere flügge werden, lassen
       sie sich aus dem meist in Hausdächern oder hinter Regenrinnen versteckten
       Nest fallen und starten durch, um von da an für drei Jahre – bis zur ersten
       Brut – in der Luft zu bleiben. In diesem kritischen Moment kann leicht
       etwas schief gehen, der Jungvogel landet auf einem Balkon oder fliegt in
       ein geöffnetes Fenster. Aus eigener Kraft kann er dann nicht mehr abheben.
       Wenn das Tier nicht zu sehr geschwächt oder gar verletzt ist, kann man es
       vorsichtig zur Balkonbrüstung tragen. Der Mauersegler wird dann seine
       zweite Startchance nutzen.
       
       Ob der Mauerseglerbestand durch das Insektensterben dezimiert werde, will
       ein Führungsteilnehmer wissen. Ergebnisse von Zählungen, sagt Ehlert, lägen
       jetzt noch nicht vor, Anfang August sei man schlauer. Dann haben die
       letzten Exemplare Berlin Richtung Afrika verlassen.
       
       ## Nichts übrig für Neubauten
       
       Möglicherweise fällt dieser Faktor auch nicht so ins Gewicht. Nicht, weil
       die winzigen Flugspinnen, die ganz oben auf dem Mauerseglerspeiseplan
       stehen, taxonomisch betrachtet keine Insekten sind, sondern weil das
       Habitat der Vögel – die Stadt – viel weniger vom Insektenschwund betroffen
       ist als das platte Land mit seinen agrarindustriellen Flächen.
       Problematischer ist da die Sanierung von Altbauten, bei der keine Rücksicht
       auf die Nistbedürfnisse genommen wird, auch aufgrund von Ignoranz.
       Neubauten aus Glas uns Stahl, sagt Ehlert, seien für Mauersegler ohnehin
       komplett uninteressant.
       
       Viele Alt- und Jungtiere haben die Stadt Ende Juli schon verlassen. Noch
       ein paar Wochen, dann ist das hohe „Sriiii Sriiii“ in der Luft – für Derk
       Ehlert ein klassisches Sommergeräusch – verstummt. Bis Mitte April. Dann
       kommen sie wieder, um nach tausenden Kilometern Reise punktgenau ihr Nest
       wiederzufinden. Vielleicht reicht die Zeit ja noch, um eine
       Mauersegler-Tour mit Derk Ehlert im kommenden Jahr zu buchen.
       
       24 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Claudius Prößer
       
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