# taz.de -- Elfmeterschießen bei der WM: Wie Paradiesvögel beim Balztanz
       
       > Endlich ist es wieder so weit. Die Achtelfinals Kroatien-Dänemark und
       > Spanien-Russland wurden im Elfmeterschießen entschieden. Wunderbar.
       
 (IMG) Bild: Hält den Elfer des Spaniers Aspas: Igor Akinfeew bei der Arbeit
       
       Endlich wieder Verlängerung! Müde Männer schleppen sich über das weiten
       Feld, das von Minute zu Minute länger wird, die Luft wird dicker, die Sonne
       kommt immer näher. Manchmal fällt einer um, einfach so, als hätte man ihn
       kürzlich angesägt und ein kleiner Wind habe ihn nun erwischt. Er hält sich
       die Wade: ein Krampf. Das Fernsehen zoomt auf sein Gesicht, immer zeigt er
       seine Zähne, immer beißt er sie zusammen. Ein anderer kommt hinzu und
       drückt ihm den Fuß, häufig genug in unterschiedlichfarbigem Trikot, oft ist
       es genau der Gegenspieler, der den darniederliegenden Körper über die
       letzten zwei Stunden aufs Unbarmherzigste beharkt hat.
       
       So stehen und liegen sie da, ein Moment der Zärtlichkeit, eine Skulptur
       gewordene Anklage geschundener Körper gegen das Publikum, das sie gezwungen
       hat, über ihre Kräfte hinauszugehen; eine seltene Geste der Solidarität.
       
       Endlich wieder Verlängerung! Kein Pass kommt mehr vernünftig an. Die
       ausgelaugten Körper, kaum noch im Gleichgewicht, rennen den krummen Bällen
       hinterher. Der Ball kommt zum Torwart, der überlegt geht nicht erst: er
       holt den Driver raus und holzt das Ding nach vorne; da stöhnt schon
       Stürmer: noch zwanzig Schritte, noch ein Sprint. Der Verteidiger erläuft
       vor ihm den Ball und schlägt ihn weit zurück: seine Mannschaftskameraden
       jubeln ihm zu, es wird sich abgeklatscht, Grimm und Wille steht in den
       Gesichtern.
       
       Endlich wieder Verlängerung! Manchmal, ganz selten, passiert doch noch
       etwas: ein Pass, der ankommt, eine Gelegenheit zum Schuss; aber es ist
       selten, dass sich das mögliche Ereignis konkretisiert. Das Spiel ist im
       Fluss, es ändert seine Richtung nur noch sehr selten. Dann der
       Schlusspfiff, alles legt sich nieder; erleichtert darüber, dass das
       Schlimmste jetzt noch kommt.
       
       Endlich wieder Elfmeterschießen! Jetzt wird beraten im Kreis: Wer kann noch
       stehen? Die Spieler liegen da, ihnen werden die Beine geschüttelt, und
       irgendwer redet auf sie ein; sie nicken, wie in Trance. Die Seiten werden
       gewählt; die Torhüter hüpfen, breiten die Arme aus, machen sich groß, wie
       Paradiesvögel beim Balztanz. Der Spieler geht den langen Weg vom
       Mittelkreis zum Strafraum, er weiß wohl, dass dies ein Abend ist, an den er
       sich sein ganzes Leben wird erinnern – können oder müssen, das ist noch
       nicht klar. Als wäre das ein Western, und er selbst ist sich noch nicht
       gewiss, ob er im Lager der Bösen oder der Helden steckt.
       
       ## Ein Kind, das sehr viel Zucker aß
       
       Endlich wieder Elfmeterschießen! Der Schütze legt den Ball auf den Punkt,
       er geht zurück, die Augen zu Boden, dann ein kurzer Blick zum
       Schiedsrichter, der gibt den Ball frei, ein Anlauf, und dann… Einer dreht
       grußlos ab, man sieht nur am leichteren Schritt, dass er getroffen hat;
       einer klatscht ins Publikum, er schreit etwas, es soll entschlossen wirken;
       einer ballt die Faust, einer reist sie hoch.
       
       Einer springt ins richtige Eck, einer hat den Fuß am Ball, einer steht auf
       und hüpft hoch und rennt zur Seite und kuckt ganz wild, die Augen groß, der
       Mund entzückt, ein Kind, das sehr viel Zucker aß; dann kommen die anderen,
       umarmen ihn, bringen ihn zu Fall mit ihrer Liebe und Zuneigung, hüpfen
       obendrauf, drumherum das Toben der Fans, die auch dazuwollen, man sieht es,
       wie sie über die Absperrung schreien und winken, sie sind jetzt Teil eines
       größeren, ein Rausch, ein…
       
       Einer steht, das Gesicht im Trikot vergraben; einer schaut ratlos in den
       leeren Himmel; einer, die Hände in der Hüfte, betrachtet kopfschüttelnd den
       Boden unter seinen Füßen. Einer sitzt verloren im Mittelkreis, er fragt
       sich etwas, ohne zu wissen, was es ist.
       
       Endlich wieder Elfmeterschießen!
       
       2 Jul 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frederic Valin
       
       ## TAGS
       
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