# taz.de -- Spielweise bei der Fußball-WM: Das Bundesliga-Feeling
       
       > Hauptsache, drei Punkte und die Null steht. Warum bei der WM so gespielt
       > wird, als müssten die Teams samstags um 15.30 Uhr in Gelsenkirchen
       > antreten.
       
 (IMG) Bild: Deutschland 0, Mexiko 1: Die Favoriten werden auf die Flügel gedrängt, von wo aus sie ihr Flachpassspiel durchs Zentrum nicht anwenden können
       
       Weltklasseteams können einem leidtun. Ratlos schieben sich die
       Spitzenkicker bei dieser WM den Ball vor und zurück, kreisend wie Adler,
       denen die Sehkraft abhandengekommen ist. So erging es den Spaniern beim 1:0
       gegen den Iran – und jederzeit hätte ein iranischer Konter den Favoriten
       stürzen können. So quälten sich die französischen Künstler zu einem 2:1
       gegen Australien, Brasilien stolperte gegen die Schweiz zum 1:1,
       Argentinien schaffte ein 1:1 gegen Island, bis es sich 0:3 gegen Kroatien
       blamierte – und Deutschland, na ja, genau.
       
       Die Favoriten sind nicht gestorben, aber es geht ihnen auch nicht gut.
       Sagen wir mal: Favoritengrippe.
       
       Gibt es bei dieser WM also keine Kleinen mehr? Das wird mit einer
       prähistorischen Fußballfloskel gerade gerne behauptet. Weltweite
       Laptopvorbereitung, bessere Taktik, Sie wissen schon. Die Kleinen haben
       sich im defensiven Bereich massiv verbessert, das war schon bei der letzten
       EM zu beobachten. Jetzt haben sie das Konterspiel präzisiert; fast jeder,
       von Island bis Mexiko, kann einen schnellen Gegenangriff fahren. Aber ist
       das die Angleichung von Niveaus? Die Underdogs gestalten kaum, alle
       Verantwortung geben sie ab. Das ist taktisch nachvollziehbar, aber keine
       Angleichung. Das ist Bundesliga.
       
       „Wenn ich sehe, wie Leute Island langweilig und defensiv nennen, dann
       klingt das so, als ob wir absichtlich so spielen“, twitterte ein
       verärgerter Islandfan. „Unser Torwart dreht Filme, und unser
       Rechtsverteidiger hat einen Job, bei dem er Salz herstellt. Er hat für die
       WM freigenommen. Wenn ihr euch nicht für uns freuen könnt, springt in den
       verdammten Ozean.“ Er hat ja irgendwie recht.
       
       Kern des mittlerweile hunderttausendfach gelikten Tweets: Wir sind doch nur
       Island, was sollen wir denn sonst machen? Das erinnert an Schalke-Coach
       Domenico Tedesco, der die defensive Ausrichtung des Tabellenzweiten genauso
       verteidigte: Man ist ja nur Schalke, was soll man denn machen? Und Pál
       Dárdai, Trainer von Hertha BSC, empfahl einmal ernsthaft, sich doch lieber
       andere Partien anzugucken.
       
       ## Phänomen der „Darmstadtisierung“
       
       Dieses Phänomen nennt man „Darmstadtisierung“: Es meint eine Bundesliga, in
       der sich fast alle Teams nach dem Vorbild des SV Darmstadt 98 vor wenigen
       Jahren darauf fokussieren, bestmöglich das Spiel des Gegners zu zerstören.
       „Die meisten Mannschaften sind auf Sicherheit aus und darauf, Fehler zu
       vermeiden, statt zu agieren“, klagte İlkay Gündoğan jüngst aus der Ferne.
       
       Knappe Ergebnisse und Favoriten, die sich an Abwehrbollwerken alle Nägel
       kaputtkratzen: Wir erleben eine Bundesligarisierung der WM. Saudi-Arabien
       versuchte, konstruktiv Fußball zu spielen – und schied aus. Marokko?
       Ähnlich. Warum also abmühen? Schon die Vorrunde der vergangenen EM war von
       dieser Art Fußball gelähmt. Denn die Außenseiter verdichten das Mittelfeld
       und lassen das offensive Zentrum des Gegners veröden. Die Favoriten werden
       auf die Flügel gedrängt, von wo aus sie ihr Flachpassspiel durchs Zentrum
       nicht anwenden können.
       
       [1][Deutschland gegen Mexiko grüßt]. Tore fallen aus Halbfeldflanken,
       Einzelaktionen oder Standards. Und während der FC Bayern die Darmstadts
       lässig abschüttelt, finden die weniger variablen Nationalteams gegen die
       Winzlinge kaum Lösungen.
       
       ## Ein WM-Finale Australien gegen Island?
       
       Die Begeisterung für wackere Underdogs hat sich indes merklich gelegt. Bei
       aller Liebe möchte keiner wirklich ein WM-Finale Australien gegen Island
       sehen. Oder Iran gegen Tunesien. Es geht nur darum, wann die Künstler es
       schaffen, die Wadenbeißer endlich loszuwerden.
       
       Vielleicht wird bald alles besser. Schönheit und Zerstörung ringen im
       Fußball miteinander in einem nie endenden Kampf; die
       Flanke-Kopfball-Tor-Ästhetik der 2000er Jahre machte das wilde
       Kurzpassspiel nötig, das Kurzpassspiel produzierte die kompakten Bollwerke.
       
       Die Kleinen sollten sich besser Dortmund zum Vorbild nehmen, nicht Hertha.
       Und ein bisschen verantwortlich ist der Zuschauer auch: Wer guckt sich
       außerhalb der WM Uruguay gegen Saudi-Arabien an? Wer da einschaltet, ist
       selbst schuld. Eigentlich gab es bei dieser WM bislang nur ein Spiel, das
       im Kopf blieb. Das war das furiose [2][3:3 zwischen Spanien und Portugal].
       Ein Fest der Offensive, der Spritzigkeit, des Ideenreichtums. Und
       bezeichnenderweise die einzige Partie zweier gleichwertiger Gegner.
       
       23 Jun 2018
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Alina Schwermer
       
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