# taz.de -- Schwangerschaftsabbruch in Argentinien: Liberalisierung scheint möglich
       
       > Hunderttausende illegale Abtreibungen werden jährlich in Argentinien
       > durchgeführt. Nun stimmt das Parlament über eine Lockerung des Verbots
       > ab.
       
 (IMG) Bild: Das grüne Halstuch – das Symbol der Kampagne für das Abtreibungsrecht
       
       BUENOS AIRES taz | In der vergangenen Woche erlebte Argentinien eine der
       größten Frauenmobilisierungen aller Zeiten – und an diesem Mittwoch werden
       Argentiniens Abgeordnete erstmals über eine Lockerung des strikten
       Abtreibungsverbots entscheiden. Die Organisatorinnen des Protestmarschs
       gegen Gewalt gegen Frauen, der unter dem Kampagnenmotto „Ni una menos –
       Nicht eine weniger“ stattfand, hatten den Marsch unter die
       Liberalisierungsforderung gestellt. Vor allem junge Frauen waren im kalten
       Herbstregen zu Zehntausenden von der Plaza de Mayo auf den Platz vor dem
       Kongress gezogen. Dort hielten sie die grünen Halstücher hoch, das Emblem
       der Kampagne für das Abtreibungsrecht. „Der Zwang zur illegalen Abtreibung
       und die Gewalt gegen Frauen haben einen gemeinsame Wurzel, den Machismus,“
       so die 18-jährige Trini Fernández.
       
       Doch auch die GegnerInnen aus dem konservativen und katholischen Spektrum
       machen mobil. Ihr Emblem ist ein hellblaues Kopftuch. Zwar sind ihre
       „Märsche für das Leben“ weniger gut besucht, ihr Engagement in den sozialen
       Medien jedoch umso erfolgreicher. Dort sammelten sie in wenigen Tagen über
       400.000 Unterschriften gegen eine Lockerung, die sie vor wenigen Tagen dem
       Kongress übergaben.
       
       Ihr Diskurs über das ungeborene Leben und das Beharren auf den Status quo
       prallt jedoch gegen den realen Alltag, der Tausende von ungewollt
       Schwangeren, zur illegalen Abtreibung zwingt. Dabei führten von den seit
       2011 bis 2016 gerade einmal 167 angezeigten Fällen einer gesetzwidrigen
       Abtreibung nur zwei zu einer Verurteilung, teilte die staatliche
       Ombudsbehörde Defensoría General de la Nación vor wenigen Tagen mit. Das
       legt nahe, dass Behörden, Justiz und Polizei entweder wegschauen oder
       ebenso die Hand aufhalten wie Kurpfuscher und Ärzte. Aber auch, dass
       Abtreibungen längst zum gesellschaftlichen Konsens gehören.
       
       In allen Meinungsumfragen liegt die Zustimmung der Bevölkerung für eine
       Lockerung über 50 Prozent. Die Chancen auf die Anpassung der Gesetze an die
       Realität stehen nicht schlecht, ist aber keinesfalls sicher. Quer durch die
       Parteien haben bereits 112 MandatsträgerInnen ihre Zustimmung bekanntgeben.
       Ihnen stehen 114 erklärte Nein-Stimmen gegenüber. Gerungen wird um die noch
       31 Unentschlossenen, die am Ende den Ausschlag geben werden.
       
       ## Tausende tote Frauen
       
       Sechsmal hatte es der Kongress zuvor abgelehnt, sich mit der
       Liberalisierung zu befassen. Im März wurde sie endlich angenommen, nachdem
       Ex-Präsidentin und Abtreibungsgegnerin Cristina Kirchner ihre eigenen Leute
       nicht mehr unter Druck setzen konnte.
       
       Abgestimmt wird nun darüber, ob jede Frau zukünftig selbst über einen
       Abbruch während der ersten 14 Wochen der Schwangerschaft entscheiden kann.
       Danach soll eine Abtreibung im Fall einer Vergewaltigung, bei Gefahr für
       das Leben der Frau und bei schwerwiegenden Missbildungen beim Fötus erlaubt
       sein. In allen Fällen sollen die Kosten von den staatlichen
       Gesundheitseinrichtungen oder den öffentlichen und privaten Krankenkassen
       getragen werden.
       
       Gegenwärtig ist ein Abbruch nur in zwei Ausnahmefällen erlaubt: Wenn das
       Leben der Frau bedroht ist oder, wenn die Schwangerschaft Folge einer
       Vergewaltigung ist. In beiden Fällen muss eine richterliche Bestätigung
       eingeholt werden. Diese Bestimmung gilt seit Anfang der 1920er Jahre. Jeder
       andere Abbruch kann mit bis zu vier Jahren Haft bestraft werden.
       
       Die Dunkelziffer der sogenannten illegalen Abtreibungen liegt nach
       unterschiedlichen Schätzungen zwischen 300.000 und 500.000 im Jahr. Nach
       Angaben der „Kampagne für das Recht auf eine legale, sichere und kostenlose
       Abtreibung“ sind seit 1983 über 3.000 Frauen an den Folgen eines
       klandestinen Abbruchs gestorben.
       
       13 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Vogt
       
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