# taz.de -- Theaterstück „Öl-Fieber“: Bis auf den letzten Tropfen
       
       > In Wietze in der Lüneburger Heide gelang die erste Ölbohrung der Welt.
       > Daran erinnert nun das Schlosstheater Celle mit dem Stück „Öl-Fieber“.
       
 (IMG) Bild: Theater auf dem Gelände des Erdölmuseums – Musterproletarier inklusive
       
       BREMEN taz | Zähflüssig, tiefschwarz, fettig glänzend und so einen
       süßlichen Plastikgeruch verströmend. Erdöl ist keineswegs so attraktiv wie
       güldenes Metall, aber trotzdem nach ihm benannt: Das schwarze Gold hat
       Vinyl-LPs, PVC-Fußböden, styroporige Wärmedämmung, Nylonstrümpfe,
       Automobil- und Kriegsindustrie sowie mit Plastik vermüllte Weltmeere
       ermöglicht. Und der Menschen Sehnsüchte infiziert.
       
       Auch in der niedersächsischen Steppe. „Öl-Fieber“ betitelt Autor Andreas
       Döring, Intendant des Schlosstheaters Celle, den diesjährigen Versuch der
       Bühne, sich mit Regionalgeschichte auseinanderzusetzen. Dazu geht’s 20
       Kilometer westlich nach Wietze, um den Ruf des Ortes als deutsche
       Ölhauptstadt reanimieren.
       
       Schon im Mittelalter schöpften Bauern dort in Teerkuhlen aus dem Boden
       sickernden „Satansspeck“ ab und nutzten ihn als Heilsalbe, Wagenschmier-,
       Holzschutzmittel oder Dichtungsmaterial.
       
       Nach ersten Bohrungen sprudelten eruptiv die ergiebigen Quellen ab 1899.
       Das Ölfieber stieg. Spekulanten, Politiker, Unternehmer, Abenteurer
       befeuerten es. Aus dem 180-Seelen-Bauerdorf wurde ein Industriestandort.
       2.000 Türme bohrten Wietze nach oben. Jährlich flossen 100.000 Tonnen des
       Treibstoffs der Moderne aus dem Heideboden, sodass das Deutsche Reich
       keinen Tropfen zusätzlich importieren musste.
       
       Dem 1963 versiegten Boom wurde 1970 ein Museum gewidmet, das nun der
       Open-Air-Theater-Ort des „Öl-Fiebers“ ist. Vor Aufführungsbeginn ist noch
       ein Blick in die Dauerausstellung zu erhaschen – ein mit Stellwänden,
       Erklärtafeln und Krams nach Heimatmuseum-Art vollgestellter Saal. Im Foyer
       erklärt ein Wietzer Ölkonzernchef-Darsteller dem Publikum das Ende und die
       Geschichte der Förderung.
       
       ## Emphatische Sprüche der Arbeiterbewegung
       
       Gestört wird er von einem fortan immer wieder emphatisch Sprüche der
       Arbeiterbewegung skandierenden Musterproletarier-Darsteller. Er schimpft
       auf die Bonzen, die ihre Gewinne ins Trockene gebracht hätten und die dafür
       Tätigen nun arbeitslos zurücklassen. Damit ist der Tenor des Stücks
       vorgegeben. Die vom Ölfieber beförderte Skrupellosigkeit und Profitgier
       verweisen auf den Gründungsmythos des Kapitalismus: die Trennung von
       Kapital und Arbeit.
       
       Kaum noch präsent ist die Öl-Vergangenheit in Wietze. Neben idyllischen
       Heidedörfern wie dem benachbarten Jeversen wirkt es ziemlich abgerockt. Es
       gibt noch eine Raffineriestraße und die Kolonie Ölfeld. Statt Bohrtürmen
       aber nur Windräder. Eine Pferdekopfpumpe ruht unscheinbar am Wegesrand. An
       einst prunkvollen Immobilien nagen Wetter und Zeit. Der Hafen zur
       Verschiffung des Rohstoffs nach Bremen ist genauso verschwunden wie die
       Eisenbahnstrecke zum Transport nach Hamburg.
       
       Nun also Erinnerungstheater im Erdölmuseum. Es findet vor allem auf dem
       zwei Hektar großen Freigelände statt. Massive Gerätschaften der Ölförderung
       sind dort abgestellt und rosten vor sich hin. Ein Schrottplatz für
       Retrotechnik-Fans.
       
       ## Zugewucherte Gleise
       
       Zu bestaunen sind eine Bohrmeißelsammlung, Vibrator- und Messfahrzeug,
       Spülpumpen, Tiefpumpenantrieb, Winden, Tanks, Fässer aller Art sowie ein
       stolze 54 Meter hoher Bohrturm. Was davon noch funktioniert, ist in der
       Aufführung nicht zu erkennen. Der einst über die Ölfelder tuckernden
       Eisenbahn wurde ein niedlicher Freizeitpark-Rundkurs geschient, aber fahren
       kann sie längst nicht mehr über die zugewucherten Gleise.
       
       So beginnt „Öl-Fieber“ als Museumsführung zu den Objekten. Ein Schauspieler
       stellt sich davor und erklärt ein wenig. Dazwischen sind Szenen mit dem
       Ölmagnaten Hans Keyser zu sehen, der genauso egoistisch wie die Wietzer
       Landbesitzer über Förderrechte verhandelt.
       
       Die Figuren des Stücks sind recht klischeehaft angelegt – böser Ölbaron,
       glorios aufrührerischer Arbeiter – und werden im Sommertheatermodus
       dargestellt. Nur Felix Meyer gewinnt seinen Bösewicht-Rollen geradezu
       diabolische Präsenz ab. Das Publikum bummelt von Spielort zu Spielort und
       vergisst dabei das Picknicken nicht. „Das Ölgeschäft verlangt
       Beweglichkeit“, heißt es. Schließlich luchst Keyser verarmten Bauern ihr
       Land ab.
       
       ## Historische Wahrheit und literarische Erfindung
       
       Döring verknüpft fortan historische Wahrheit und literarische Erfindung,
       indem er recherchierte Fakten mit Motiven aus Upton Sinclairs
       Schlüsselroman „Öl“ anreichert. Keyser formuliert als Patriarch alter
       Schule die Beziehung zu seinem Sohn mit einem direkten Zitat aus dem
       700-Seiten-Wälzer: „Irgendwie habe ich ein mulmiges Gefühl, wenn ich
       tagaus, tagein Geld verdienen soll, mit dem du dann den jungen Leuten
       beibringst, dass ich kein Recht drauf hab!“ Denn der als Ölprinz gehandelte
       schnöselige Ausbeutersohn bändelt mit den Ausgebeuteten an, wechselt den
       Klassenstandpunkt.
       
       Dann geht alles seinen melodramatischen Gang. Der beste Freund von Keyser
       jr. wird als Vorkämpfer der proletarischen Weltrevolution von Schlägern der
       Ölbarone ermordet, seine Liebe zu dessen Schwester endet tödlich, im
       Hintergrund weht die rote Fahne, im Vordergrund werden die Zuschauer zum
       Mitklatschen animiert. Das Ensemble singt Berliner Nachtklub-Hits, ein
       Oldtimer rollt vorüber. Es singt der Männer- und Frauenchor Wietze. Das
       Publikum muss halt bei Laune gehalten werden.
       
       Denn unverblümt ist dann wieder Kapitalismus zu sehen: Mit Lug, Betrug und
       Bestechung werden Mensch und Natur bis auf den letzten Tropfen ausgepresst.
       Jeder darf dabei mitspielen, auch ein Showsternchen versucht es, aber wer
       die Raubtiermentalität nicht auf die Spitze treibt, steht am Ende ohne
       Reichtum da.
       
       Das wird – mutig! – am Beispiel der DEA (Deutsche Erdöl-AG) vorgeführt, die
       sich nach und nach die Wietzer Ölfirmen einverleibt, auch Gelände und
       Inventar des Erdölmuseums spendiert und mit einem Labor vor Ort noch ein
       paar Arbeitsplätze zurückgelassen hat. Sehr schön auf dem Museumsareal
       platziert sind diese Szenen, da der Leuchtschriftzug einer Drogeriefiliale
       aus Wietze herüberfunkelt und so auf eine andere Branche mit den gleichen
       Mechanismen verweist: die Konzentration des Marktes in der Hand weniger.
       
       8 Jun 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Fischer
       
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       viel zu holen.