# taz.de -- Naturschutzamt zu EU-Agrarsubventionen: „Kein Geld mehr für Direktzahlungen“
       
       > Die Chefin des Bundesamts für Naturschutz fordert, die
       > Landwirtschaftssubventionen abzuschaffen, bei denen die Umwelt kaum eine
       > Rolle spielt.
       
 (IMG) Bild: Blühende Landschaften sind in der Regel eine gute Sache
       
       Frau Jessel, was ist wichtiger: Naturschutz oder unsere Ernährung, die
       durch die Landwirtschaft sichergestellt wird? 
       
       Beate Jessel: Das ist doch kein Gegensatz. Um langfristig Erträge zu
       liefern, muss die Landwirtschaft nachhaltig und [1][naturverträglich] sein.
       
       Aber wenn die Bauern mehr Umweltauflagen erfüllen müssen, sinken die
       Ernten, oder? 
       
       Ein Landwirt ernährt bei uns in Deutschland statistisch gesehen 140
       Menschen. Das ist schon sehr viel. Selbst wenn der Ertrag etwas niedriger
       wäre, würde hier niemand hungern – auch ohne zusätzliche Importe.
       
       Durch mehr Umweltschutz – etwa weniger Dünger und Pestizide – würde
       Ernährung teurer. Wie soll der Staat damit umgehen? 
       
       Das ist kein ökologisches, das ist ein sozialpolitisches Problem. Aber: Wir
       in Deutschland geben im Vergleich zu anderen Ländern nur einen geringen
       Anteil unseres Einkommens für Nahrungsmittel aus.
       
       Die EU diskutiert gerade darüber, wie die milliardenschweren
       Agrarsubventionen nach 2020 verteilt werden. Was empfehlen Sie der
       EU-Kommission? 
       
       Die [2][EU] sollte kein Geld mehr in die Direktzahlungen stecken, die nach
       dem Gießkannenprinzip je Hektar verteilt werden, weitgehend unabhängig
       davon, wie umweltfreundlich oder -schädlich er bewirtschaftet wird.
       Stattdessen müssten Leistungen für den Naturschutz stärker honoriert
       werden. Sei es, dass Blühstreifen angelegt werden, sei es dass die Bauern
       besonders viele Pflanzenarten auf einer Fläche nachweisen oder dass sie ihr
       Grünland nicht so häufig mähen oder düngen. Doch in ihrer Haushaltsplanung
       ab 2021 sieht die Kommission genau das Gegenteil vor: Der Etat für die
       Agrarumweltmaßnahmen soll viel stärker gekürzt werden als der für die
       Direktzahlungen. Das ist sehr bedauerlich und wird zulasten des
       Naturschutzes gehen.
       
       Was sagen Sie zur Kritik des Bauernverbands, dass diese Maßnahmen nicht
       unbedingt den Landwirten zugutekämen, sondern zum Beispiel
       Naturschutzverbänden? 
       
       Es hängt vom politischen Willen ab, Agrarumwelt- und Klimaschutzmaßnahmen
       so zu gestalten, dass die Landwirte daran teilnehmen und vor allem auch
       finanziell davon profitieren. Das geht.
       
       Die Kommission hat auch vorgeschlagen, dass die Mitgliedstaaten stärker
       selbst entscheiden, wer die Agrarsubventionen bekommt. Gute Idee? 
       
       Ich bezweifle, dass auf diese Weise das höhere Niveau an Umwelt- und
       Naturschutz erreicht wird, das die Kommission versprochen hat. Im
       Gegenteil, es ist zu befürchten, dass diese Belange nicht ausreichend
       gewürdigt werden.
       
       Wie schadet die Landwirtschaft der Natur? 
       
       Wir verzeichnen bei fast allen Artengruppen in der Agrarlandschaft starke
       Rückgänge, ob es sich nun um Agrarvögel, Insekten oder Ackerwildkräuter
       handelt. Der Rückgang von Insekten etwa ist ein gravierendes Problem, das
       auf die Landwirtschaft selbst zurückfällt. Wir brauchen Insekten zum
       Beispiel, um Nutzpflanzen wie Raps und Obstbäume zu bestäuben oder um
       Schädlinge zu reduzieren. Die Landwirtschaft verursacht vielfach auch eine
       hohe Erosion des Bodens. Außerdem ist die Agrarlandschaft monotoner
       geworden. Viele Wiesen wurden umgepflügt, Hecken entfernt. Das schädigt
       auch das Naturerleben, den Erholungsfaktor der Landschaft.
       
       Teile der Agrarbranche ziehen aber in Zweifel, dass es ein
       [3][Insektensterben] gibt. 
       
       Es ist ja nicht nur die berühmte Studie der Krefelder Insektenforscher, die
       belegt, dass über fast drei Jahrzehnte hinweg auf den dort untersuchten
       Flächen die Biomasse von Fluginsekten sehr stark zurückgegangen ist, zum
       Teil um mehr als 80 Prozent. Auch wir als Bundesamt für Naturschutz können
       mit unseren bundesweiten Roten Listen belegen: Viele Arten haben immer
       weniger Individuen, die Artenvielfalt geht zurück, während nur einige
       wenige Arten zulegen.
       
       Wer ist schuld daran? 
       
       Unsere Art der Landbewirtschaftung ist sicher ein Haupteinflussfaktor für
       den Insektenrückgang. Zentrale Ursachen sind die Anwendung von
       Pflanzenschutzmitteln, die abnehmende Vielfalt verschiedener Strukturen wie
       Brachflächen oder Blühstreifen in der Landschaft und dass sich zu viele
       Nährstoffe in Böden und Gewässern anreichern. Daneben dürfte die
       Lichtverschmutzung vor allem im Umfeld von Siedlungen ein weiterer durchaus
       relevanter Faktor sein. Eine einzige Straßenverkehrslampe, die nach oben
       strahlt, in der Nähe eines Gewässers, zieht über mehrere hundert Meter
       hinweg Insekten an, so dass sie verenden oder leicht gefressen werden
       können – wir sprechen hier von einem regelrechten Staubsaugereffekt.
       
       Aber die Krefelder Studie etwa vermutet nur, dass die Agrarbranche eine
       Ursache sei. 
       
       Die Landwirtschaft arbeitet auf 52 Prozent der Fläche Deutschlands. Wir
       können eindeutig den Rückgang der Strukturvielfalt sowie den zunehmenden
       Einsatz und vor allem die hohe Effektivität von Pflanzenschutzmitteln
       belegen. Einmal davon abgesehen, dass auch bei diesem Thema das
       Vorsorgeprinzip greift: Die Folgen des Insektenrückgangs sind so ernst,
       dass die Landwirtschaft auch dann handeln müsste, wenn sie noch nicht
       hundertprozentig als Hauptverursacher feststeht.
       
       Die Chemieindustrie wendet ein, dass der Pestizidmarkt in den letzten drei
       Jahren geschrumpft sei. Ist das Problem damit gelöst? 
       
       Das sind vorübergehende Rückgänge, die zum Beispiel von der Witterung oder
       den Preisen abhängen. Das Niveau ist mit über 40.000 Tonnen jährlich sehr
       hoch, davon müssen wir herunterkommen. 1994 lag der Absatz von
       Pflanzenschutzmitteln in Deutschland noch bei unter 30.000 Tonnen.
       
       Die EU hat gerade drei für Bienen gefährliche Insektenvernichtungsmittel
       aus der Gruppe der Neonikotinoide im Freiland verboten. Reicht das? 
       
       Nein. Wir befürchten, dass die Landwirtschaft nun noch giftigere Stoffe
       einsetzt, die weiterhin erlaubt sind. Gleiches gilt auch bei dem
       Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat. Auch hier ist es vorstellbar, dass die
       Anwender auf andere Mittel zurückgreifen, wenn Glyphosat jetzt untersagt
       würde. Hauptziel muss es sein, den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln
       insgesamt zu reduzieren.
       
       Was muss dafür passieren? 
       
       Auf Bundesebene sollte künftig bei der Zulassung eines
       Pflanzenschutzmittels vorgeschrieben werden, dass die Anwender ökologische
       Ausgleichsflächen anlegen. Wenn x Hektar eines Ackers gespritzt werden,
       müssen y Hektar ungespritzt bleiben. Diese Ausgleichsflächen könnten
       Brachen oder Blühstreifen sein, die ein bestimmtes Blütenangebot für
       Insekten aufweisen. Außerdem wollen wir, dass beispielsweise Naturschutz-
       und Wasserschutzgebiete ganz frei von Pestiziden bleiben. Landwirte sollten
       auch genauer dokumentieren müssen, wann sie ein Mittel auf welchem Feld
       eingesetzt haben. Das würde es sehr stark erleichtern, Spritzschäden in der
       Natur nachzuweisen.
       
       Eine gute Maßnahme für mehr Artenvielfalt ist die Haltung von Vieh auf der
       Weide. Doch nun setzt die von Ihnen befürwortete Rückkehr großer Raubtiere
       nach Deutschland die Weidehaltung noch stärker unter Druck. Wo soll das
       enden? Müssen wir auch mit dem Bären rechnen? 
       
       Sowohl der Wolf als auch der Bär sind nach der Europäischen
       Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie streng geschützt, und zwar zu Recht.
       Angesichts der Bärenpopulationen zum Beispiel in Norditalien oder in
       Slowenien ist es sehr wahrscheinlich, dass irgendwann auch Braunbären
       wieder nach Deutschland kommen werden.
       
       Bären können auch Weidetiere reißen. Aus Italien etwa wird über schwere
       Übergriffe auf Menschen berichtet. Ist es gerechtfertigt, dieses Risiko
       einzugehen? 
       
       Schäfer und Bauern müssen vom Staat genügend Geld bekommen, um Schafe und
       andere Weidetiere vor Übergriffen durch Wölfe oder dann eben Bären zu
       schützen. Es gibt immer ein Restrisiko bei wilden Tieren. Aber das muss man
       in Relation setzen zu anderen Gefahren, denen wir uns täglich aussetzen.
       Man muss sich alleine mal anschauen, wie viele Menschen in Deutschland
       durch Wildschweine oder Haushunde verletzt werden oder sogar zu Tode
       kommen. Die Wahrscheinlichkeit einer unangenehmen Begegnung mit einem Bären
       oder einem Wolf ist ausgesprochen gering. Wichtig ist, dass man in
       Gebieten, wo diese Tiere zuwandern, konsequent Maßnahmen zum Schutz der
       Weidetiere umsetzt und die Bevölkerung aufklärt, wie sie sich verhalten
       sollte.
       
       Wie denn? 
       
       Keinesfalls anlocken oder anfüttern, weil die Tiere dadurch gezielt die
       Nähe der Menschen suchen und dies zu gefährlichen Situationen führen kann.
       Es gibt genügend Länder in Europa oder in Nordamerika etwa, wo nicht nur
       Wölfe, sondern auch Bären schon sehr lange mit Menschen koexistieren. Sie
       zeigen, dass das möglich ist.
       
       31 May 2018
       
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