# taz.de -- Ein Jahr Prostituiertenschutzgesetz: Angst vor Datenlecks
       
       > Ein Jahr nach Inkrafttreten des Prostituiertenschutzgesetzes ist nur ein
       > Bruchteil aller Hamburger Sexarbeiter*innen angemeldet. Branchenkenner
       > sehen vor allem Nachteile.
       
 (IMG) Bild: So sieht die gesundheitliche Beratung für Prostituierte in Hamburg aus (gestellte Szene)
       
       HAMBURG taz | Tina Jung* ist seit fünf Jahren im Escortbusiness – aus
       Leidenschaft. Ihr Nebenberuf ist ihr kleines Geheimnis und so soll es auch
       bleiben. Deshalb hat die 30-Jährige sich nicht behördlich gemeldet, obwohl
       das Prostituiertenschutzgesetz das seit dem 1. Juli 2017 vorschreibt. Ihre
       Kunden findet die Sexarbeiterin über ein Onlineportal, das gesetzlich
       bislang nicht verpflichtet ist, Nutzer*innen auf ihre
       Anmeldebescheinigungen hin zu überprüfen.
       
       Viele Prostituierte wurden durch das neue Gesetz in die Illegalität
       gedrängt. Knapp ein Jahr nach Einführung des Gesetzes, dessen Ziel es
       offiziell ist, Prostituierte besser zu schützen, wurden laut Sozialbehörde
       bisher nur 479 Anmeldebescheinigungen ausgestellt. Dabei geht die Polizei
       von 2.200 bis 2.500 in Hamburg tätigen Sexarbeiter*innen aus.
       
       Diese Differenz erklärt Fabio Casagrande von der Sozialbehörde auch damit,
       dass es aktuell noch an Personal mangele. Weitere Sachbearbeiter*innen
       sollen in den nächsten Wochen eingestellt werden. Dadurch solle sich die
       aktuelle Wartezeit für Sexarbeiter*innen von etwa drei Wochen verkürzen,
       sagt er.
       
       Viele Frauen vermieden die behördliche Anmeldung und die vorhergehende
       verpflichtende Gesundheitsberatung aus Angst und Unwissenheit, meint Mehmet
       Simsit. In seiner Kneipe „Hansa-Treff“ am Hansaplatz in St. Georg hilft er
       Sexarbeiterinnen bei allerlei Fragen oder dem Wunsch, aus ihrem Beruf
       auszusteigen. „Viele Prostituierte aus den neuen EU-Ländern verstehen nicht
       genau, worum es geht. Sie haben Angst davor, dass ihre Daten an die
       Behörden ihrer Länder weitergeleitet werden, doch in ihrer Heimat darf
       niemand von ihrem Beruf erfahren“, sagt er.
       
       ## Klartext im Gewerbeschein
       
       Dass ihre Daten weitergegeben werden, fürchtet auch Tina Jung. „Mir ist
       unwohl bei dem Gedanken, mich zu registrieren, der potentielle Schaden ist
       einfach zu groß. Wenn mein Job herauskommt, kann das sehr gut zu Mobbing
       und Stigmatisierung führen.“
       
       Das Fachamt Beratungen, Erlaubnisse und Anmeldung ist nach dem
       Prostituiertenschutzgesetz dazu verpflichtet, Name, Geburtstag und -ort und
       Adresse der Sexarbeiter*innen an das Finanzamt weiterzuleiten. Konnten
       selbstständige Prostituierte im Bereich Escort zuvor auf dem Gewerbeschein
       ihre Situation noch mit dem Wort „Begleitservice“ umschreiben, ist nun
       eindeutig, in welchem Bereich sie tätig sind.
       
       Casagrande betont, die Sozialbehörde lösche die Daten spätestens drei
       Monate nach Abmeldung. Jede Anmelder*in wird darüber aufgeklärt, was mit
       ihren Daten geschehe. Kontrolliert werden die Anmeldebescheinigungen
       zurzeit noch nicht. Laut Casagrande seien einige Bundesländer noch in der
       Vorbereitung und man müsse zunächst warten, bis alle Länder auf dem
       gleichen Stand seien.
       
       ## Falsche Kontrolleure
       
       Doch auch ohne behördliche Kontrollen wirkt sich das Gesetz auf den Alltag
       vieler Sexarbeiter*innen aus. „Es kam schon vor, dass Männer sich als
       Kontrolleure ausgaben und Strafen verlangten, wenn die Damen keinen Pass
       vorzeigen konnten“, sagt Gudrun Greb, Geschäftsführerin von Ragazza, einer
       Anlaufstelle für drogenabhängige und sich prostituierende Frauen. Außerdem
       lehnten Vermieter von Wohnungen und Bordellen die betroffenen Frauen
       entweder ab oder verlangten mehr Geld von ihnen. Dadurch verstärke sich der
       Druck auf die Frauen, schnell Geschäfte mit ihren Freiern abzuschließen und
       der Kreislauf aus Kriminalisierung und Verelendung beschleunige sich.
       
       Tina Jung sagt, sie schließe sich derzeit selbst aus vielen Studios aus, da
       die Agenturen aus Angst vor finanziellen Sanktionen eine
       Anmeldebescheinigung verlangten. „Mein nächster Schritt wäre es gewesen,
       mich im Dominabereich auszuprobieren. Doch eben mal reinschnuppern ist
       jetzt nicht mehr.“
       
       Selbst die Polizei habe schon Frauen kontrolliert, obwohl dies nicht ihre
       Aufgabe sei, sagt Mehmet Simsit. Er sieht vor allem negative Auswirkungen
       des Prostituiertenschutzgesetzes. Viele Frauen hätten wegen anderer Delikte
       schon Schulden beim Staat. „Sie sagen mir, wenn das jetzt auch noch
       hinzukommt, dann sind wir wirklich Zwangsprostituierte. Sie arbeiten dann
       für die Stadt Hamburg, um die Bußgelder abzubezahlen.“
       
       ## Effekt unklar
       
       Casagrande von der Sozialbehörde erwidert darauf, immerhin seien in Hamburg
       – im Gegensatz zu anderen Ländern – die gesundheitliche Beratung und die
       Anmeldung kostenfrei.
       
       Ob das Gesetz wie beabsichtigt zu einem Rückgang von Menschenhandel und
       Gewalt gegen Prostituierte geführt hat, können bisher weder Sozialbehörde
       noch Polizei sagen. Auf die Frage, wie sich erkennen lasse, ob eine Frau
       unter Zwang arbeite, antwortet Casagrande: „Sie muss sich schon im Gespräch
       offenbaren. In dem Fall bieten wir Instrumente wie ein intensives Angebot
       und Vermittlung an.“ Bisher sei aber noch niemandem eine
       Anmeldebescheinigung verweigert worden.
       
       Tina Jung beeindruckt das wenig. Beratungsgespräche und Gesundheitstests
       nehme sie ohnehin alle drei Monate wahr, im Casa Blanca, einem Zentrum für
       sexuell übertragbare Krankheiten. Die seien anonym und kostenlos. „Wozu
       soll ich dann noch zur Anmeldebehörde?“
       
       *Name geändert
       
       28 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mareen Butter
       
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