# taz.de -- Eurovisão am Tejo, Folge 6: Der ESC wird zur Champions League
       
       > Beim Eurovision Song Contest liegen am Ende oft die gleichen Länder vorn.
       > Vor dem ersten Halbfinale am Dienstag ist das noch anders.
       
 (IMG) Bild: Am Ende siegt ein Lied? Von wegen
       
       LISSABON taz | Zu den hartnäckigsten Irrtümern in Sachen ESC zählt, dass es
       sich um einen Musikwettbewerb handelt, an dessen Ende ein Lied siegt –
       belohnt werde also eine Komposition mit einem passenden Text. Wenn es so
       wäre, hätte 1974 das deutsche Duo Cindy & Bert mit Abbas „Waterloo“
       gewinnen müssen, was eine überirdische Instanz immerhin verhindert hat: Die
       Schweden gewannen, wie alle ESC-Triumphator*innen, dank einer brillanten
       Inszenierung, außerdem sahen sie gut und stimmig aus. Beim ESC liegt am
       weitesten vorne, wer Musik, Text samt Performance und Dekoration auf der
       Bühne zu einem Paket schnürt, an dem die Sänger*innen nicht ersticken,
       sondern wachsen.
       
       Aber dass es so kommen kann, das wird man auch beim heutigen ersten
       Semifinale sehen, ist auch eine Sache des Geldes. Der ESC wird mehr und
       mehr, so lässt sich nicht nur vermuten, eine Entwicklung nehmen wie im
       Fußball die Champions League: Am Ende liegen die immer gleichen
       Mannschaften bzw. ESC-Länder vorn. Aserbaidschan muss sich heute für das
       Grand Final qualifizieren und wird es gewiss auch, denn das Lied „X My
       Heart“ ist von ödester Pop-Konfektion, aber es ist professionell gemacht.
       
       Der Isländer Ari Ólafsson hingegen hat nichts als seine schöne
       Dutzend-Stimme, entsprechend sieht seine Show aus: konfirmandenhaft brav.
       Was die Budgets anbetrifft, liegt Schweden immer vorn, aber deren Kandidat
       Benjamin Ingrosso ist erst am Donnerstag bei der zweiten Vorrunde dran –
       seine Nummer „Dance You Off“, ohnehin mit der Kompetenz der schwedischen
       Popindustrie gefertigt, ist in Los Angeles mit letztem Schliff versehen
       worden.
       
       Außenseiter mit geringem Geld haben es schwer, aber unmöglich ist es nicht,
       die Geldsäcke des ESC (auch: Norwegen, Bulgarien, Israel, Russland,
       Frankreich, Spanien und Italien) auszustechen. Die moldawische Nummer
       DoReDoS handelt von heterosexuellen Umtrieben, und das ausgesprochen
       fröhlich und lustig.
       
       Die Nummer kostet inklusive aller Gagen, Reisespesen und
       Produktionsaufwände 50.000 Euro – und das ist ausgesprochen wenig für eine
       professionell überzeugende ESC-Nummer. Dass die Truppe aus Chișinău mit
       Herz und Charme auf der Bühne zu Werke geht, spricht für ihre Leidenschaft,
       es mit dem großen Geld aufzunehmen. Sie zählen zu den sicheren Kandidaten
       des an untragischen Liedern nicht gerade reich gesegneten 63. ESC in
       Lissabon.
       
       ## „Achtung, künstlerisch“
       
       Augenfällig ist auch die georgische Formation Iriao, die eine jazzige
       Nummer vortragen – und mit starker Wahrscheinlichkeit am Mittwochmorgen
       nach Tiflis zurück reisen dürfen: Solche künstlerischen
       Künstlerliedgeschichten voller „Anspruch“ (und manche sagen: mit
       wichtigtuerischem Fluidum) hätten früher beim Grand Prix Eurovision
       klassischer Art eine Chance auf die Top 10 gehabt, nicht jedoch heute, wo
       das Publikum gar nicht schätzt, wenn ein Lied „Achtung, künstlerisch“ zu
       verströmen scheint.
       
       P.S.: Netta Barzilai liegt nicht mehr, wie seit vielen Wochen,
       unangefochten bei den Buchmachern vorn. Sie war gestern Abend bei der
       Generalprobe für die erste der zwei Vorrunden okay, aber ohne Glanz. Vorne
       liegt [1][jetzt] liegt die Zypriotin Eleni Foureira mit „Fuego“ (Feuer) –
       mit ihren Backgroundsängerinnen war sie wirklich ein glamouröses Feuer.
       
       8 May 2018
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://eurovisionworld.com/odds/eurovision
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan Feddersen
       
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