# taz.de -- Historische Sportzeitungen entdeckt: Zabels Vermächtnis
       
       > In Geesthacht sind über tausend Arbeitersportzeitungen aus den 1920er
       > Jahren zum Vorschein gekommen. Historiker wollen sie nun im Netz
       > veröffentlichen.
       
 (IMG) Bild: Originaltitel der Wochenzeitung Nordsport aus dem Jahr 1928
       
       HAMBURG taz | Friedrich Zabel hat Geesthacht etwas vermacht. Etwas, was
       erst kürzlich durch Zufall auftauchte und vor allem Sporthistoriker ganz
       kirre macht. Zabel war 1947 einer der Gründer der Volkshochschule
       Geesthacht und ab dann auch deren erster Leiter. Im Jahr 2007 hat die
       30.000-Einwohner Stadt Geesthacht eine Straße in einem Neubaugebiet am
       Ortsrand nach ihm benannt. Mit dem Friedrich-Zabel-Ring würdigte man ihn
       für seine Leistungen für die örtliche Erwachsenenbildung.
       
       Eine Reihe von Sporthistorikern würde sagen, dass es Zabel noch aus ganz
       anderen Gründen verdient gehabt hat. Zabel hat Geesthacht historisches
       Material vererbt, welches Experten in den kommenden Jahren beschäftigen
       wird. Der sogenannte Paderborner Kreis, der sich 2013 in der Nähe von
       Paderborn gründete, hat eine sehr hohe Meinung von Zabel. Die Vereinigung
       von Sporthistorikern beschäftigt sich mit der Geschichte des linken
       Arbeitersports, der einst in Abgrenzung vom sogenannten bürgerlichen
       Sportbetrieb eigene Meisterschaften und Wettbewerbe organisierte (siehe
       Kasten).
       
       Zabel, 1886 geboren, war Redaktionsleiter und Verleger der Wochenzeitung
       Nordsport, die er in seinem Wohnhaus, einer 1903 erbauten Jugendstilvilla
       in der Bogenstraße im Geesthachter Ortsteil Oberstadt, produziert hat. Der
       Nordsport war gewissermaßen das Zentralorgan des 3. Kreises des
       Arbeiter-Turn- und Sportbunds (ATSB), in dem Vereine aus Hamburg,
       Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern organisiert waren
       
       Das ehemalige Redaktionsgebäude gehört heute Michèl Löffler. Er hat das
       Haus Anfang der Nullerjahre gekauft. Im Herbst vergangenen Jahres hat er
       begonnen, den Wintergarten zu renovieren. Als er die alte Decke
       herunterriss, entdeckte er, dass die 20 bis 25 Zentimeter hohe
       Zwischenisolierung mit Zeitungen gefüllt war.
       
       Mehr als 1.200 Arbeitersportzeitungen und -zeitschriften kamen zum
       Vorschein, nicht nur von Zabels Nordsport, sondern aus dem gesamten
       damaligen deutschen Staatsgebiet – von der Bremer Freien Sportwoche bis zu
       Arbeitersport und Kultur Königsberg. Löffler, einst Hobbyfußballer,
       kontaktierte den Paderborner Kreis. Mehrere Müllsäcke mit historischen
       Tageszeitungen, die er ebenfalls in dem Versteck gefunden hatte, reichte er
       an die Geesthachter Bezirksgruppe des Heimatbundes und Geschichtsvereins
       Herzogtum Lauenburg weiter.
       
       Die einzig plausible Erklärung für Löfflers Fund: Zabel und seine Kollegen
       hatten die Zeitungen 1933 versteckt, damit die Nationalsozialisten sie im
       Zuge der Gleichschaltung der Presse nicht vernichten konnten. Der Fund
       umfasst ausschließlich Zeitungen, die bis Frühjahr 1932 erschienen sind.
       Das lässt vermuten, dass Zabel und seine Mitstreiter zahlreiche später
       erschienene Zeitungen offen herum liegen ließen. Ein Redaktionsgebäude ohne
       Zeitungen – das hätte die Nazis misstrauisch gemacht.
       
       Es drängt sich aber die Frage auf, warum die Redaktion einer linken Zeitung
       ausgerechnet in Geesthacht saß? Der Ort gehörte von 1868 bis 1937 zu
       Hamburg. Im frühen 20. Jahrhundert war Geesthacht von der Rüstungsindustrie
       geprägt. Als in diesem Bereich nach dem Ersten Weltkrieg 20.000
       Arbeitsplätze verloren gingen, trug dies dazu bei, dass die KPD die
       stärkste Partei vor Ort wurde. 1921 kam es zum sogenannten
       Kommunisten-Aufstand, der Besetzung von Sprengstofffabriken. Außerhalb
       wurde Geesthacht „Klein-Moskau“ genannt.
       
       Zu einem beträchtlichen Teil handelt es sich bei den in Geesthacht
       gefundenen Zeitungen um Ausgaben, die bisher nicht verfügbar waren. Die
       Friedrich-Ebert-Stiftung habe zwar über eine große Nordsport-Sammlung,
       „aber die ist längst nicht komplett“, sagt Werner Skrentny. Der Hamburger
       Journalist und Sporthistoriker ist Mitglied des Paderborner Kreises und hat
       diverse Bücher über den HSV geschrieben.
       
       Von besonderer Bedeutung sind für ihn 19 Exemplare der kommunistischen
       Zeitung Roter Nordsport. In der Staatsbibliothek Hamburg etwa finde sich
       nur ein Exemplar dieses Periodikums, sagt Skrentny. Die norddeutschen
       Zeitungen aus dem Geesthachter Fund hat er in seiner Wohnung untergebracht.
       Das Papier vieler Exemplare ist brüchig geworden, trotz sorgsamster
       Behandlung lösen sich kleine Fetzen. In den kommenden Jahren wollen
       Skrentny und seine Kollegen auf der Internetseite arbeiterfussball.de alle
       Zeitungen zugänglich machen.
       
       ## Aussagekräftige Zuschauerzahlen
       
       Um einen Eindruck von der damaligen Bedeutung des Arbeitersports zu
       bekommen, bietet es sich an, die Zuschauerzahlen von zwei Spielen zu
       vergleichen, die 1931 in Hamburg stattfanden. Am 17. Mai stand der HSV im
       Viertelfinale der bürgerlichen deutschen Meisterschaft gegen Eintracht
       Frankfurt; 15.000 Zuschauer wollten das Spiel sehen.
       
       Zwei Tage später siegte der SC Lorbeer 06 aus dem Stadtteil Rothenburgsort
       (heute FTSV Lorbeer) auf dem Sportplatz Hoheluft im Endspiel um die
       deutsche Meisterschaft der Arbeiterfußballer gegen die Sportvereinigung
       1912 Pegau mit 4:2 vor 22.000 Zuschauern. „Ein herzliches Frei Heil dem
       neuen Titelträger!“, titelte der Nordsport. „Frei Heil“ lautete einer der
       heute merkwürdig anmutenden Sportgrüße des Arbeitersports.
       
       Es ging bei diesen Bewegungszeitungen um mehr als Berichte und Vorschauen
       auf Sportereignisse. Sie dienten den Arbeitersportlern als Medium. Nachdem
       im Februar 1932 der BSV 19 aus Hamburg-Bahrenfeld im Spiel um die
       Fußballmeisterschaft des 3. Kreises den FSV Lübeck an der Kreuzkirche in
       Ottensen vor 25.000 Zuschauern mit 5:1 geschlagen hat, schreibt etwa der
       Nordsport unter Bezugnahme auf die wirtschaftliche und politische
       Situation: „Es ist erfreulich, dass man in den Kreisen der Arbeiterschaft
       den Wert unserer Bewegung erkennt und nicht für Eintrittsgelder, die mit
       den heutigen schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen nicht in Einklang zu
       bringen sind, die bürgerlichen Sportplätze bevölkert.“
       
       ## Kalte Platten und unterkühlte Stimmung
       
       Schließlich sei es angesichts der „drohenden Gefahr des Faschismus“ die
       „erste Pflicht eines jeden ehrlichen, klassenbewussten Arbeiters und
       Angestellten, die bürgerlichen Sportplätze zu meiden, und seine eigene
       Organisation durch den Besuch der Spiele zu stärken“.
       
       In der Arbeitersportbewegung spiegelten sich auch die Konflikte zwischen
       SPD und KPD wider: Der Autor eines Artikels, der im Dezember 1930 im Roten
       Nordsport erschien, bemerkt einerseits süffisant, andererseits empört:
       „Lütkemeier vom Arbeitersportkartell bekräftigt bei kalten Platten die
       Freundschaft mit den bürgerlich-faschistischen Sportverbänden“. Die kalten
       Platten, von denen der Herr Lütkemeier wohl naschte – um wen genau es sich
       handelte, ließ sich nicht eruieren –, gab es bei einem Senatsempfang für
       Sportler. Geladen waren sowohl die Titelträger der bürgerlichen Verbände
       als auch die des Arbeitersports.
       
       Der Nordsport fand zeitweilig sogar eine Verbindung zwischen
       Chronistenpflicht, Agitation und künstlerischem Anspruch. Zwischen Juni
       1927 und Ende August 1928 erschien die Zeitung mit illustriertem Cover.
       Dieses zierte jeweils ein mit „EP“ signierter Linolschnitt. Titelzeilen,
       die etwas über den Inhalt verrieten, fehlten. Eine recht revolutionäre
       Idee.
       
       ## Blutige Auseinandersetzungen
       
       In dieser Zeit spitzte sich die politische Situation in Geesthacht zu: Im
       August 1928 eskaliert eine Sitzung der damaligen Stadtvertretung. Bei
       Tumulten, die den KPD-Vertretern angelastet wurden, wird der
       sozialdemokratische Bürgermeister Julius Weltzien körperlich attackiert.
       
       Es folgten Neuwahlen. Am geplanten Wahltag im September kommt es vor
       Kneipen, zwischen einzeln liegenden Häusern und in Kleingärten in den
       Straßen Am Runden Berge und Hegebergstraße, wenige Gehminuten vom
       Redaktionsgebäude des Nordsport entfernt, zu blutigen Auseinandersetzungen
       zwischen dem Rotfrontkämpferbund und dem sozialdemokratischen Reichsbanner
       Schwarz-Rot-Gold. Zwei Menschen sterben. Sogar die internationale Presse
       berichtet darüber.
       
       Blickt man heute auf die Arbeitersportbewegung, entdeckt man ein durchaus
       aktuelles historisches Phänomen. Mitte Februar 1932 etwa schreibt der
       sozialdemokratische Arbeitersportpionier Fritz Wildung (1872-1954) im
       Nordsport: „In politisch normalen Zeiten gehört es nicht zu den Aufgaben
       der Arbeitersportverbände, sich an der Lösung politischer Fragen zu
       beteiligen.“ In der „heutigen Krisenzeit“ und angesichts dessen, dass sich
       „Parteien aufgetan“ hätten, die den „Verfassungsbruch ganz offen
       verkünden“, sei es aber angezeigt, „aus unserer politischen Reserve
       herauszugehen“. Ohne die heutige Situation mit der im Jahr 1932 vergleichen
       zu können: Diese Verpflichtung hat der Sport derzeit auch.
       
       15 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) René Martens
       
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