# taz.de -- Kolumne So nicht: Weiß Gott andere wichtige Termine?
       
       > 25 Jahre nach dem rassistischen Mord in Solingen wird die Gedenkfeier im
       > Landtag abgesagt. Wegen des türkischen Außenministers. Hatte denn sonst
       > keiner Zeit?
       
 (IMG) Bild: Dem türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu soll hier keine Bühne geboten werden: NRW-Landtag
       
       Der Echo, der Literaturnobelpreis, der Audi-Sport-ABT-TT-Cup, das
       Istanbul-Derby, der Frühschoppen der Halveraner Handwerker, Bushidos Black
       Friday Tour (zum 2. Mal), die Nazi-Demo in Göttingen, die
       Physik-Abi-Prüfung in Sachsen-Anhalt, die MDR-Radio-Sendung „Darf man heute
       noch Neger sagen?“, Ralph Hasenhüttl den Bayern, Prinz Harry seine
       Flitterwochen: Die Absage liegt im Trend.
       
       Früher wurde Absagen mindestens als Zeichen ungewollter Schwäche, wenn
       nicht gleich als totale Kapitulation bewertet. Der blutige Terroranschlag
       bei den Olympischen Spielen in München wurde mit den berühmten Worten
       quittiert: „The games must go on.“ Auch wenn man das heute kaum glauben
       mag, lässt sich drüber streiten, ob der „ritterliche Geist“, der im
       olympischen Eid beschworen wird, das Weiterkämpfen erforderlich machte oder
       nicht.
       
       Heute wird in brenzligen Situationen – jedenfalls gefühlt – immer seltener
       zu Durchhalteparolen gegriffen. Solcherlei Stärkedemonstrationen werden als
       Zeichen von Atavismus und Angst abgelehnt. Das Mittel der Absage hingegen
       soll Empathie demonstrieren.
       
       ## Auf Wunsch der Angehörigen
       
       Jetzt hat auch die Landesregierung Nordrhein-Westfalens abgesagt. Und zwar
       die Gedenkstunde im Landtag zum 25. Jahrestags des rassistischen
       Mordanschlags auf die Familie Genç in Solingen. Der Grund dafür:
       Ministerpräsident Armin Laschet hatte den türkischen Außenminister Mevlüt
       Çavuşoğlu als Redner zum Gedenken an die Opfer am 29. Mai eingeladen; laut
       Laschet auf Wunsch der Angehörigen der Opfer.
       
       Der Landtag befürchtete nun, dass Çavuşoğlu die Gedenkstunde für
       Wahlkampfzwecke missbrauchen könne. Der Ministerpräsident schloss diese
       Bedenken aus: Das Gedenken an Solingen sei auch für die Türkei „ein so
       bewegender Akt, dass es sich verbietet, damit Wahlkampf zu machen“. Na ja,
       steile These.
       
       Da jeder öffentliche Auftritt eines Politikers vor einer Wahl auch ein
       Wahlkampfauftritt ist, lässt sich nachvollziehen, dass der NRW-Landtag
       keinen Bock hatte, ausgerechnet einem solchen Politiker eines solchen
       Regimes eine Bühne zur Imagepflege zu bieten.
       
       ## Kontinuität der Abwesenheit
       
       Andererseits ist an dieser Absageritis auch nicht alles richtig: Statt
       abzusagen, weil der prominente Redner nicht gefällt, hätte man ja auch noch
       den deutschen Außenminister oder die deutsche Bundeskanzlerin oder den
       Bundespräsidenten einladen können.
       
       Oder hatten die 25 Jahre nach dem Mordanschlag auch schon wieder „weiß Gott
       andere wichtige Termine“? So wie seinerzeit Helmut Kohl, der seine
       Teilnahme an der Trauerfeier für die Mordopfer in Solingen laut seines
       Sprechers mit dieser Begründung ablehnte, dass er für „Beileidstourismus“
       nicht zu haben sei?
       
       So sagt das zwar heute niemand mehr. Es geht aber trotzdem niemand hin.
       Also weder Kanzlerin noch Kanzlerinnenvertreter. Diese Kontinuität der
       Abwesenheit sollte mehr Bedenken auslösen als die Anwesenheit eines
       türkischen Außenministers.
       
       8 May 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Doris Akrap
       
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