# taz.de -- Situation in Syrien: Eskalation mit ungewissem Ausgang
       
       > Beim Hin und Her um ein westliches Eingreifen gegen Assad geht es nicht
       > nur um Syrien. Die Zukunft der Weltmächte steht auf dem Spiel.
       
 (IMG) Bild: Ein syrischer Soldat in Ghouta, Ende Februar 2018
       
       Genial oder irre? Die ganze Woche lang hat sich die Welt von Donald Trumps
       Syrien-Tweets an der Nase herumführen lassen. Mal dachte man, der
       US-Präsident [1][habe einen Militärschlag angekündigt], dann wieder [2][das
       Gegenteil]. Doch geschehen ist noch nichts. Und dennoch war dies eine
       aufschlussreiche Zeit.
       
       Nach dem [3][Giftgasangriff] auf die syrische Rebellenstadt Douma am 7.
       April ist auf westlicher Seite eine Koalition der traditionellen Westmächte
       im Entstehen. Die USA, Frankreich und Großbritannien ziehen militärisch im
       Nahen Osten an einem Strang – zum ersten Mal seit 1991 beim zweiten
       Golfkrieg gegen Saddam Hussein. Beim Irakkrieg 2003 war das nicht der
       Fall, und bei den Debatten über eine Syrien-Intervention zehn Jahre später
       führte das Dreierbündnis zu nichts.
       
       Seit 15 Jahren war kein so großer US-Flottenverband Richtung Mittelmeer
       unterwegs wie heute, berichtete am Freitag die britische Times. Donald
       Trump, Emmanuel Macron und Theresa May sind aus anderem Holz geschnitzt als
       Barack Obama, François Hollande oder David Cameron – sie sind ernüchtert
       durch den Dauerstress mit Wladimir Putin, der ständig seine Grenzen testet.
       Und sie sehen keine Notwendigkeit, auf Angela Merkel zu warten. Mit einem
       entschlossenen Mindset sowie mit Israel, der Türkei sowie arabischen
       Verbündeten scheint der Boden bereitet für eine Intervention größeren
       Stils.
       
       ## Unklar, ob es ein Interventionskonzept gibt
       
       Allerdings ist völlig unklar, ob es tatsächlich ein Interventionskonzept
       gibt – und wenn, welches. Trump, May und Macron handeln aus
       unterschiedlichen Motiven. Macron möchte beweisen, dass Frankreich die
       Nummer eins in Europa ist. May möchte nicht hinter Frankreich zurückstehen.
       Trump geht es vor allem um seine Enttäuschung mit Russland.
       
       Wenn es eine Konstante in den öffentlichen Äußerungen aus Washington in
       diesen Tagen gibt, dann die, dass Russland kein Partner mehr ist. Trump hat
       mit Putin nur Ärger: Die Berichte und Untersuchungen über eine russische
       Beeinflussung des US-Wahlkampfs 2016 zugunsten Trumps belasten seine
       Präsidentschaft auf Dauer.
       
       Neben der verbalen Konfrontation zwischen den USA und Russland in Bezug auf
       Syrien war diese Woche auch von einer wirtschaftlichen Konfrontation
       geprägt. Am 6. April verhängte die US-Regierung wegen „bösartiger
       Aktivitäten“ [4][weitreichende Sanktionen] gegen 17 russische
       Regierungsbeamte, sieben Oligarchen und acht russische Unternehmen,
       darunter einige der wichtigsten des Landes. Die Sanktionen schließen die
       Betroffenen aus dem Dollar-Bankensystem aus, es sind die härtesten ihrer
       Art seit Ende des Kalten Krieges. Die Folge: ein Börsencrash in Moskau, der
       Rubel im Fall, Erschütterungen auf den Weltmärkten.
       
       ## Oligarchen im Visier der Sanktionen
       
       Im Visier der Sanktionen steht unter anderem Oleg Deripaska, bis vor Kurzem
       der reichste Mann Russlands und ein Vertrauter Putins. Deripaska besitzt
       einen zypriotischen Pass, seine Energiefirma EN+ ging vor wenigen Monaten
       in London an die Börse, er war befreundet mit Trumps einstigem
       Wahlkampfmanager Paul Manafort und den britischen Exministern George
       Osborne und Peter Mandelson. Sein Unternehmen Rusal, zweitgrößter
       Aluminiumproduzent der Welt, ist jetzt infolge der Sanktionen von den
       wichtigsten globalen Rohstoffbörsen in London und Chicago ausgeschlossen
       worden und nun dem Ruin nah.
       
       Deripaska war Symbol für Russlands Integration in die Weltwirtschaft. Nun
       steht sein Schicksal, auch vor dem Hintergrund der britischen
       Skripal-Affäre, für den Wunsch, diese Integration zu beenden – ein Vorgang
       von globaler Tragweite, was auch Deutschland mit seinen ökonomischen
       Russland-Verflechtungen zu spüren bekommen wird.
       
       Wirtschaftlich, das zeigt sich jetzt, hat Trump also Putin in der Hand. Der
       Kreml-Chef muss im Gegenzug wenigstens militärisch unangreifbar erscheinen,
       sonst ist sein Nimbus als Führer einer Supermacht dahin.
       
       Das sind die tieferen Gründe, warum die russischen Reaktionen auf Trumps
       öffentliches Nachdenken über Militärschläge in Syrien jetzt viel schärfer
       ausgefallen sind als vor einem Jahr. Damals reagierte Russland kaum, als 59
       US-Marschflugkörper die syrische Luftwaffenbasis Shayrat trafen. Und die
       scharfen Reaktionen heute sind wiederum ein Grund, warum jetzt bisher
       nichts passiert ist. „Auf der strategischen Ebene geht es darum, wie wir
       verhindern, dass dies außer Kontrolle eskaliert“, sagte
       US-Verteidigungsminister Jim Mattis am Donnerstag in Washington.
       
       Wenn die Sorge um eine Eskalation zwischen den Großmächten schwerer wiegt
       als das Bedürfnis, mit einem Militärschlag in Syrien tatsächlich etwas zu
       erreichen, ist der einfachste Ausweg, von einem Militärschlag ganz
       abzusehen – oder ihn auf einem symbolischen Niveau zu belassen. Der
       US-Fernsehsender CNBC berichtete am Donnerstag, das US-Militär habe acht
       Ziele in Syrien identifiziert, darunter zwei Luftwaffenstützpunkte, ein
       Forschungszentrum und eine Chemiewaffenfabrik. Experten wiesen schnell
       darauf hin, dass spätestens mit diesem Bericht diese Ziele keine Ziele mehr
       seien.
       
       Schon zuvor war berichtet worden, dass Syriens Regierung ihre komplette
       Luftwaffe auf russische Stützpunkte verbracht habe. Arabischen Medien
       zufolge soll sich sogar Präsident Assad in einen Bunker auf der russischen
       Basis Hmeimim im Nordwesten Syriens zurückgezogen haben – kurz zuvor waren
       Gerüchte laut geworden, Assad habe das Land verlassen.
       
       Die meisten möglichen militärischen Ziele in Syrien dürften mittlerweile
       verwaist sein. All das hat die Planung einer Militärintervention eher
       erschwert. Ein britischer Verantwortlicher äußerte sich nach den Sitzungen
       in London am Donnerstag anonym: Nach Trumps Twitter-Sturm habe man die
       eigentlich schon ausgearbeiteten Pläne wegschmeißen können.
       
       Zugleich aber hat Assads Selbstschutzreflex zur Folge, dass diese Woche in
       Syrien selbst eine der ruhigsten seit Langem gewesen ist. Von
       Artilleriebeschuss an der Kriegsfront nördlich der Stadt Hama abgesehen
       sind in diesen Tagen aus Syrien keine Kampfhandlungen oder Luftangriffe
       gemeldet worden. Assads Militär hat derzeit schlicht keine Zeit.
       
       Aber wenn noch mehr Tage vergehen, ohne dass auf die Worte aus Washington,
       London und Paris Taten folgen, werden die syrischen Bomber bald wieder
       aufsteigen. Derweil behält Russland die Kontrolle über die angestrebten
       internationalen Untersuchungen des Giftgasangriffs von Douma: Die Stadt
       wurde am Mittwoch von der Rebellenarmee Dschaisch al-Islam (Armee des
       Islam) an Russlands Militärpolizei übergeben, im Gegenzug für freies Geleit
       in den Norden. Ein Team der internationalen Organisation für das Verbot von
       Chemiewaffen (OPCW) ist nach Damaskus unterwegs und soll ab Samstag in
       Douma mit der Untersuchung des Angriffs vom 7. April beginnen – unter
       Aufsicht Russlands, dessen Außenministerium am Freitag behauptete, der
       Angriff sei „von Spezialkräften eines russophoben Staates durchgeführt“
       worden. Die Anwesenheit von OPCW-Personal ist natürlich auch ein Faustpfand
       für Russland gegenüber möglichen Militärschlägen.
       
       Ein Führer der Dschaisch al-Islam bestätigte gegenüber AFP, man habe sich
       in Reaktion auf den Giftgasangriff aus Douma zurückgezogen. Die 150.000
       Einwohner der schwer zerbombten Stadt leben größtenteils in Kellern, und
       die Rebellen haben Tunnelsysteme zur Versorgung eingerichtet. Chemische
       Kampfstoffe sind ideal, um große Anzahlen von Menschen in geschlossenen
       Räumen zu töten.
       
       Insofern war der Chemiewaffenangriff auf Douma der militärische Durchbruch
       für Assad zum Abschluss der Rückeroberung der Ost-Ghouta. Zwei Tage vor dem
       Giftgaseinsatz waren Verhandlungen über eine kampflose Räumung Doumas
       gescheitert, es drohte ein langer, verlustreicher Häuserkrieg. Der ist nun
       nicht mehr nötig.
       
       Wenn nun ein westlicher Militärschlag ausbleibt, werden Assad und Russland
       daraus den Schluss ziehen, dass Verbrechen und Drohgebärden wirken. Bis
       Jahresende will Assad die Rebellenprovinz Idlib mit ihren drei Millionen
       Menschen, die Hälfte davon Kriegsvertriebene, „befreien“.
       
       13 Apr 2018
       
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