# taz.de -- Konflikt im Kongo: Lieber fliehen als Rache üben
       
       > Erst kamen Frauen und Kinder über den See. Jetzt fliehen aus Kongos
       > niedergebrannten Hema-Fischerdörfern die letzten Männer nach Uganda.
       
 (IMG) Bild: Wieder kommt ein Boot über den See
       
       Sebagoro/Kyangwali taz | Die Oberfläche des Albertsees ist spiegelglatt.
       Sanft plätschern ein paar Wellen an den Strand. Am Horizont lassen sich die
       Berge am kongolesischen Ufer erahnen. „Manchmal sehen wir Rauchsäulen
       aufsteigen, wenn die Dörfer brennen“, sagt der Kommandant der ugandischen
       Marine, der mit seinem Funkgerät an der Anlegestelle von Sebagoro steht.
       „Dann wissen wir, dass bald noch mehr Flüchtlingsboote ankommen“.
       
       Drüben, in der ostkongolesischen Provinz Ituri, [1][wird wieder einmal
       gekämpft]. Hunderttausende sind auf der Flucht, über 50.000 Kongolesen
       haben sich seit Beginn des Jahres nach Uganda gerettet, die meisten über
       den Albertsee. Eine waghalsige, fünfstündige Überfahrt in überfüllten
       Fischerkanus. Wenn die Winde durch den Albertinengraben pfeifen wie durch
       einen Windkanal, dann können die Wellen so hoch werden wie auf dem Meer. So
       wie vergangene Woche, als sich eine kongolesische Familie samt ihrer 27
       Kühe auf ein Holzboot gedrängt hatte. Es kenterte. Der Kommandant in
       Sebagoro schickte seine Rettungsboote los: „Die Kühe ertranken aber zum
       Glück konnten wir die Menschen retten“, sagt er.
       
       Von Weitem nährt sich ein Boot voller Menschen der Anlagestelle. Der
       ugandische Kommandant stapft über den Strand, steht mit den Schuhen im
       Wasser. „Seid ihr Flüchtlinge?“, ruft er. Der Bootskapitän winkt ab. „Wir
       kommen zu einer Beerdigung“, sagt er und zeigt auf einen Sarg in der Mitte
       des Bootes. Der Kommandant schüttelt den Kopf. „Fahrt woanders hin, das
       hier ist eine Anlegestelle nur für Flüchtlinge!“, ruft er und zeigt auf die
       weiß-blaue Flagge des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, die im Wind flattert.
       
       Jenseits des Sandstrandes hat das UNHCR ein Gelände eingezäunt. Der Ort
       Sebagoro besteht aus ein paar windschiefen Fischerhütten, drum herum grasen
       Antilopen und Büffel in der Savanne – ein Naturschutzgebiet, wo Menschen
       nichts zu suchen haben. Deswegen die Abschottung mit Stacheldraht: Zelte
       mit Wartebänken, Latrinen, Waschmöglichkeiten. Ein Helfer des Roten Kreuzes
       hat einen Kanister auf dem Rücken und besprüht jeden Flüchtling mit Chlor,
       eine Vorsichtsmaßnahme. Im Februar hatten Kongolesen Cholera mitgebracht,
       knapp 30 Menschen starben im Lager. „Wir müssen verhindern, dass das noch
       einmal passiert“, so Daniel Tam vom UNHCR. Er steht mit seinem Telefon am
       Strand und guckt auf die Uhr: „Es wird bald dunkel, lasst uns die Leute
       abtransportieren“, brüllt er in den Apparat.
       
       ## Schwer traumatisiert
       
       447 Menschen sind an diesem Montag in Sebagoro gelandet, darunter viele
       Frauen und Kinder. „Die meisten sind schwer traumatisiert“, sagt Daniel
       Tam. Drei Busse haben schon Flüchtlinge samt Matratzen, Kochgeschirr und
       Säcken voller Bohnen ins zwei Stunden entfernte Lager Kyangwali gebracht.
       Aber noch immer sitzen knapp 100 Kongolesen in Sebagoro.
       
       In den vergangenen Tagen sind vor allem junge Männer gekommen. Sie wirken
       gestresst, verwahrlost. „Wir haben unsere Frauen und Kinder vorgeschickt,
       in der Hoffnung, wir können unsere Dörfer verteidigen“, erklärt der
       35-jährige Ate-Joel Piddu, der mit Freunden auf dem Boden hockt und auf den
       Bus wartet. „Doch jetzt haben sie unser Dorf abgefackelt – es ist nichts
       mehr übrig.“
       
       Fischhändler Piddu stammt wie die meisten Ankömmlinge aus dem
       kongolesischen Dorf Joo. Wenn er erzählt, überschlagen sich seine Worte,
       Stress und Panik stehen ihm ins Gesicht geschrieben. Zwei Mal sei Joo
       angegriffen worden. Die dort stationierten Soldaten der kongolesischen
       Armee seien davongelaufen. Auf seinem Handy zeigt er Fotos von der ersten
       Attacke am 12. März: verstümmelte Leichen, abgehackte Gliedmaßen, Gedärme
       und Blut im Sand. „Sie kamen im Morgengrauen, mit Macheten und Lanzen“,
       erzählt er. „Sie haben einer schwangeren Frau das Baby herausgeschnitten“.
       Daraufhin seien alle Frauen und Kinder aus Joo geflohen.
       
       Die Männer seien geblieben, um das Eigentum zu schützen, so Piddu. Doch
       dann fiel rund um Joo ein Dorf nach dem anderen den Angreifern zum Opfer.
       „Wir sahen die Rauchsäulen.“ Der Dorfvorsteher habe dann entschieden: Auch
       die Männer sollen fliehen. Im Morgengrauen seien sie auf die Boote
       gestiegen. Eine Stunde später an jenem Morgen, es war der 14. März, standen
       auch die Hütten von Joo in Flammen. Als drei Tage später eine Patrouille
       mit UN-Blauhelmen aus der 45 Kilometer entfernten Provinzhauptstadt Bunia
       durch Joo fuhr, wurde sie beschossen. Die UN-Soldaten erwiderten das Feuer.
       Die Angreifer flohen in die Berge. Nach eigenen Angaben hat die UN-Mission
       im Kongo (MONUSCO) in Joo elf Leichen gezählt. Piddu berichtet von 45
       Toten.
       
       ## Die Geschichte wiederholt sich
       
       Joo, Tchomia, Gobu, Musekere, Muganga, Tara, Kanga – fast täglich geht ein
       weiteres Dorf in Ituri in Flammen auf. Wer sind die Angreifer, in ziviler
       Kleidung mit Gartengeräten als Waffen? Piddu zuckt mit den Schultern. „Alle
       sagen, es sind die Lendu, die uns wieder angreifen.“ Er selbst gehört wie
       alle Fischer in Joo zur Ethnie der Hema. Beide Volksgruppen der Provinz
       Ituri hatten sich im Kongo-Krieg von 1998 bis 2003 gegenseitig massakriert,
       einer der blutigsten Konflikte des großen Landes. Jetzt wiederhole sich
       das, so Piddu.
       
       „Wir wollen keine Rache so wie im letzten Krieg“, habe der Hema-Chief in
       Joo entschieden, erläutert Piddu. Die jungen Männer um ihn herum stimmen
       zu. Einer ruft: „Die Politiker in der Hauptstadt haben die Gewalt
       angezettelt.“ Plötzlich schreien und diskutieren sie lautstark
       durcheinander: „Unser Präsident steckt das ganze Land in Flammen, damit wir
       keine Wahlen abhalten können“, sagt einer. „Wir sind nur die Opfer!“, ruft
       ein anderer. „Wir wollen doch endlich Frieden!“, übertönt Piddu das
       Stimmengewirr. Alle nicken zustimmend.
       
       Dann ruft ein UNHCR-Mitarbeiter durch ein Megafon: Der Bus sei
       abfahrbereit. Hektik breitet sich aus. Die knapp hundert Kongolesen raffen
       ihre Habseligkeiten zusammen. Es wird gedrängelt und gequetscht. Kurz vor
       Einbruch der Dunkelheit tuckert der Bus auf der morastigen Straße durch das
       Naturschutzgebiet gen Süden: zur Flüchtlingssiedlung Kyangwali.
       
       ## Verbrannte Erde
       
       Kyangwali ist eines der ältesten Flüchtlingslager in Uganda. Drumherum war
       einmal dichter Regenwald. Jetzt stehen dort nur noch verkohlte Baumstummel
       auf verbrannter Erde: Flüchtlinge benötigen Feuerholz zum Kochen. Kyangwali
       wurde 1960 aus dem Boden gestampft, als ruandische Tutsi vor Massakern nach
       Uganda flohen. Seit den 1990er Jahren wurden dort vor allem Kongolesen
       einquartiert. Im Dezember lebten dort knapp 40.000 Flüchtlinge. Jetzt sind
       es mehr als 60.000. Der UNHCR kommt mit der Registrierung kaum hinterher.
       Das völlig überfüllte Aufnahmezentrum ist für maximal 2.000 Personen
       ausgelegt, derzeit hausen dort 6.000.
       
       Der Bus hält vor einem Zaun mit Stacheldraht. Ein Lautsprecher dröhnt,
       warnt vor Cholera, ermahnt die Neuankömmlinge, sich zu desinfizieren.
       Helfer vom Roten Kreuz in knallroten Westen und Plastikhandschuhen zerren
       jeden zu den Waschwannen. Die Neuankömmlinge werden registriert und von
       Ärzten untersucht , bevor sie ins Lager können. Dort bekommen sie dann
       Lebensmittel, Zeltplanen und ein Stück Land zugeteilt.
       
       Jenseits des Zaunes sitzt Emmanuel Nzeyimana auf einer Bank vor seiner
       schiefen Lehmhütte mit Strohdach. Der 19-jährige Kongolese floh mit seiner
       Mutter und Schwester vor vier Jahren nach Uganda, er hat sich in der
       Flüchtlingssiedlung ein Haus gebaut. All die Neuankömmlinge zu sehen macht
       ihm Angst. „Das bedeutet für uns, dass wir hier bald weniger
       Lebensmittelrationen bekommen und dass wir keine Hoffnung haben, bald in
       unsere Heimat zurückkehren zu können“, sagt er: „Es ist, als ob sich die
       Geschichte in unserem Land immer wieder wiederholt.“
       
       23 Mar 2018
       
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