# taz.de -- Juden empört über Jeremy Corbyn: Zweifelhafte Ausreden
       
       > Die Antisemitismus-Debatte bei der britischen Labour-Opposition spitzt
       > sich zu. Der Parteichef solidarisierte sich mit einem umstrittenen
       > Künstler.
       
 (IMG) Bild: Im Fokus: Jeremy Corbyn
       
       Zum ersten Mal seit den 1930er Jahren haben der Dachverband der britischen
       Juden „Jewish Board of Deputies“ (BOD) sowie der Rat jüdischer Vertretungen
       „Jewish Leadership Council“ (JLC) zu einer gemeinsamen Demonstration gegen
       Antisemitismus vor dem britischen Parlament aufgerufen.
       
       Auslöser der Aktion am Montagabend ist eine Facebook-Nachricht des
       Labour-Parteiführers Jeremy Corbyn aus dem Jahr 2012, die jetzt öffentlich
       wurde. Für viele britische Juden war dies der Tropfen, der das Fass der
       Unzufriedenheit über Labour zum Überlaufen brachte.
       
       Corbyn hatte auf der Facebook-Seite des Graffitikünstlers Kalen Ockerman,
       auch als Mear One bekannt, die Zerstörung von dessen Wandmalerei „Freedom
       for Humanity“ bei Brick Lane in London abgelehnt. „Weshalb?“, hatte er
       geschrieben. „Du bist in guter Gesellschaft. Rockerfeller zerstörte Diego
       Vieras Wandgemälde, weil es ein Bild von Lenin hatte.“
       
       Doch das Gemälde in Brick Lane war keine Lenin-Referenz. Unter einem
       Illuminati Symbol sah man eine Gruppe Banker sitzen, teils in
       altpropagandistischer antisemitischer Manier abgebildet. Sie spielten
       Monopoly auf einem Brett, das auf den Rücken kniender nackter Menschen lag.
       Jüdische Labour-Abgeordnete baten nach Bekanntwerden der
       Facebook-Solidaritätsnachricht sofort um eine Erklärung. Labours Vizechef
       Tom Watson antwortete, Corbyn tue es sehr leid. Er habe sich das Bild
       damals nicht richtig angesehen.
       
       ## Ausreden über Ausreden
       
       Es war nicht das erste Mal, dass Corbyn bei solchen Dingen nicht richtig
       aufgepasst hatte. Erst eine Woche vorher konnte man ihm nachweisen, sich
       bei Facebook einer Gruppe angeschlossen zu haben, in der Mitglieder mit
       antisemitischen Vorurteilen um sich warfen. Auch hierfür gab es eine
       Ausrede.
       
       Genauso wenig will Corbyn über den palästinensischen Islamistenführer
       Sheikh Raed Salah gewusst haben, als er ihn 2016 einen ehrenvollen Gast
       nannte, mit dem er Tee trinken wolle. Salah hatte unter anderem erklärt,
       dass Juden Kinderblut zum Backen benutzen und hinter den Terroranschlägen
       des 11. September 2001 steckten.
       
       Corbyn, Schirmherr der britischen Palästina-Solidaritätsbewegung, hat auch
       Treffen der Gruppe „Deir Yassin Remembered“ des Holocaustleugners Paul
       Eisen beigewohnt und im Jahr 2009 Funktionäre der islamistischen Hamas und
       der schiitisch-militanten Hisbollah als „unsere Freunde“ bezeichnet.
       
       Zur aktuellen Affäre schrieb Corbyn am Sonntag auf Facebook: „Labour ist
       eine antirassistische Partei und ich verurteile Antisemitismus vollkommen.“
       Er werde als Labour-Chef „keine Form des Antisemitismus in und um unsere
       Bewegung tolerieren.“ Er erkenne an, dass Antisemitismus in „Ecken“ der
       Partei vorgekommen sei und dies die jüdische Gemeinschaft verletzt hätte.
       Dafür entschuldige er sich. Er würde sich mit jüdischen
       Gemeinschaftsvertretern treffen.
       
       ## Antizionismus oder Antisemitismus?
       
       Doch schon in den Kommentaren zu diesem Beitrag wurden die Anschuldigungen
       des Antisemitismus von Labour-Mitgliedern dementiert: Es handele sich
       höchstens um Antizionismus. Einer Labour-Fraktionssitzung zum Thema am
       Montag wollte Corbyn fernbleiben.
       
       In einer gemeinsamen Erklärung von BOD und JLC, die nach der Demonstration
       vor dem Parlament der Labour-Fraktion überreicht werden soll, heißt es, man
       habe genug von der Ausrede, dass Corbyn gegen Antisemitismus sei, während
       die Sorgen des jüdischen Mainstreams ignoriert würden.
       
       Corbyn verbreite zwar Statements, treffe sich aber öfter mit Antisemiten
       als mit Juden, so die jüdischen Verbände. „Im besten Licht kommt dies aus
       einen obsessiven Hass der extremen Linken für den Zionismus, Zionisten und
       Israel. Im schlechtesten Licht ist es eine Verschwörungstheorie“, heißt es.
       
       ## Vorwurf des institutionellen Antisemitismus
       
       Es gibt immer wieder seltsame Vorfälle bei Labour: sei es eine Vorsitzende
       der Corbyn-Kampagnengruppe „Momentum“, die behauptete, Juden hätten den
       Sklavenhandel finanziert, oder [1][Ken Livingstone, der ehemalige
       Bürgermeister Londons, der Nazideutschland Kollaboration mit Zionisten
       unterstellte.] Ein Parlamentsausschuss bemerkte im Oktober 2016, das
       ständige Versagen Labours, mit so etwas angemessen umzugehen, setze die
       Partei dem Vorwurf aus, institutionell antisemitisch zu sein.
       
       Bei Labour sorgt die jüngste Affäre für heftige Debatten. Die
       antizionistische Gruppe „Jewish Voices für Labour“ sagte, die
       Anschuldigungen gegen Corbyn seien rein strategisch, pünktlich zu den
       bevorstehenden Kommunalwahlen. Der Labour-Abgeordnete Chuck Umunna,
       Vertreter des Anti-Corbyn-Flügels, schrieb hingegen, dass alle
       Parteimitglieder zutiefst beschämt sein sollten, dass es so weit gekommen
       ist.
       
       26 Mar 2018
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
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