# taz.de -- Roman über tschechische Raumfahrt: Im böhmischen Kosmos
       
       > Eine Wundertüte ist Kalfařs „Eine kurze Geschichte der tschechischen
       > Raumfahrt“. Sie ist Helden- und politische Abrechnungsgeschichte
       > zugleich.
       
 (IMG) Bild: Alexei Gubarew (UdSSR, l.) und Vladimír Remek (CSSR) flogen am 2. März 1978 mit der Sojus 28 ins All
       
       Oh, wie schön ist Panama!, möchte man manchmal vor sich hin seufzen bei der
       Lektüre von Jaroslav Kalfařs Erstlingsroman, so sehr ist dieses Buch von
       Sehnsucht durchtränkt. Nur dass das Sehnsuchts-Panama in diesem Fall
       Bohemia heißt.
       
       „Spaceman of Bohemia“ ist der Originaltitel des auf Englisch geschriebenen
       Romans, der als „Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt“ nun ins
       Deutsche übersetzt wurde. Sein Autor Jaroslav Kalfař entstammt selbst dem
       böhmischen Kosmos, ist er doch geboren und fast ganz fertig aufgewachsen in
       Prag und erst mit 15 Jahren in die USA emigriert, wo er seither lebt. Aber
       zumindest in diesem Roman kehrt er mit so leidenschaftlicher Zugewandtheit
       in die alte Heimat zurück, dass man die emotionalen Detonationswellen beim
       Eintritt in die tschechische Kulturstratosphäre zu spüren glaubt.
       
       Unter anderem packt Kalfař ein längst nicht fertig geschmiedetes Eisen an,
       das auch mehr als zwei Jahrzehnte nach der „samtenen Revolution“ von 1989
       immer noch glüht: Er thematisiert die gesellschaftlichen und emotionalen
       Verwerfungen, die das überwundene repressive System in der
       postkommunistischen Gesellschaft hinterlassen hat. Der Autor selbst ist
       1988 geboren, also ganz Kind der neuen Zeit. Es seien aber zum Teil
       Erfahrungen seiner eigenen Familie, die er im Roman verarbeitet habe,
       erklärt er in einem Interview mit einer tschechischen Nachrichtenseite.
       Außerdem habe er in der Kindheit aufmerksam den Diskussionen in den Kneipen
       gelauscht, wohin die Erwachsenen ihn manchmal mitnahmen. Diese
       Kneipenkultur, das sei eine Sache, die er in Amerika vermisse.
       
       Bei der Lektüre von „Eine kurze Geschichte der böhmischen Raumfahrt“
       gewinnt man den deutlichen Eindruck, dass es wohl noch eine ganze Menge
       andere Dinge gibt, die Jaroslav Kalfař vermisst – oder dass er selbst auf
       einer fast ebenso bedeutsamen Mission ist wie der Held seines Romans. In
       seinem Fall: der Welt die tschechische Kultur zu erklären. Denn obwohl er
       auf Englisch schreibt (und auch die tschechische Übersetzung seines Romans
       getrost jemand anderem überlassen hat), empfindet Kalfař sich als
       tschechischer Schriftsteller. Das sei, so sagt er, im übrigen auch Milan
       Kundera immer geblieben – und der schreibe auch nur noch auf Französisch
       (nachdem er seit immerhin schon vier Jahrzehnten in Frankreich lebt).
       
       ## Für tot erklärt
       
       Die Mission des Jakub Procházka, Held von Kalfařs Roman, wiegt aber wohl
       auch in tschechisch-nationaler Hinsicht noch weitaus schwerer als die
       seines Autors. Denn Jakub Procházka ist der erste Tscheche im All. Und soll
       gleich eine für die gesamte Menschheit sehr wichtige Sache klären, nämlich
       ergründen, was es mit einem seltsamen, unbeweglichen Nebelfeld auf sich
       hat, das sich zwischen die Erde und die Venus gelegt hat. Procházka, seines
       Zeichens Professor für Astrophysik und ausgewiesener Experte auf dem Gebiet
       galaktischen Staubs, merkt leider zu spät, dass er sich dazu im Grunde gar
       nicht ins All hätte begeben müssen; denn ein mindestens ebenso störendes
       Nebelfeld liegt schon lange zwischen ihm und seiner Frau Lenka. Und als
       Lenka ihn schließlich verlässt, um sich ein Stück eigenes Leben
       zurückzuholen, kann Jakub rein gar nichts dagegen unternehmen, weil er
       gerade monatelang allein in seinem Raumschiff sitzt.
       
       Allerdings: Ganz allein wohl nicht, denn ein seltsames kluges Wesen, das
       mal aussieht wie eine Spinne mit Kussmund, dann wieder in Jakubs Kopf zu
       wohnen scheint und seine Gedanken liest, leistet ihm immer öfter
       Gesellschaft im All. Jakub nennt den Gefährten „Hanuš“, nach dem legendären
       Schöpfer der berühmten Prager Aposteluhr. In deren Uhrenturm übrigens, der
       eigentlich strengstens gesperrt sein müsste, hatten Jakub und Lenka mal
       Versöhnungssex. Einst; in einem anderen Leben, in das Jakub nie wieder
       zurückkehren wird – auch wenn er, nach vielen dramatischen Ereignissen, an
       denen auch die Besatzung eines russischen Raumschiffs beteiligt ist,
       tatsächlich mit letzter Kraft auf den Planeten Erde zurückkehrt und die
       böhmische Heimat wiederfindet.
       
       Dort ist er längst für tot erklärt worden. Doch pragmatisch und down to
       earth, wie die Tschechen sind, kommt sein alter Chef schnell über den
       ersten Schreck hinweg und schickt ihn erst mal nach Karlsbad zur Kur. Was
       man halt so macht.
       
       ## Die gewisse Unfertigkeit
       
       Wenn es trotz aller tollen Einfälle, Drehungen und Wendungen in diesem
       Roman ein minimales Problem gibt, so liegt es darin, dass eigentlich zu
       viel darin steckt. Dass Jaroslav Kalfař sich offenbar in den Kopf gesetzt
       hatte, eine traurige Liebes- und eine verrückte Helden- und noch eine
       politische Abrechnungsgeschichte in einem einzigen Buch zu erzählen, ist
       schon etwas tollkühn. Da alles irgendwie ungefähr gleich gewichtet
       daherkommt, bleibt insgesamt der diffuse Eindruck einer gewissen
       Unfertigkeit zurück.
       
       Um die (Familien-)Geschichte einer endgültigen Abrechnung mit der jüngeren
       Vergangenheit in Ruhe zu Ende erzählen zu können, muss der
       Lenka-Erzählstrang, der zwischendurch so wichtig erschienen war, kurzerhand
       gekappt werden. Auch Jakubs Weltraumabenteuer, das ihm immerhin ein Denkmal
       im Prager Stadtbild und zahlreichen anderen Menschen den Tod gebracht hat,
       erfährt keine wie auch immer geartete erzählerische Nachbereitung, so dass
       die Raumfahrerei im Nachhinein nur mehr als fantasievoll ausgearbeitete
       Metapher über die Geschichte einer großen Liebesentfremdung – die am Ende
       gar nicht mehr so wichtig ist – unaufgelöst irgendwo im Raum hängen bleibt.
       
       Im anderen Erzählstrang, der sich zum Ende hin immer mehr als der
       eigentlich wichtige zu erkennen gibt, rächt sich ein Mann, der zu
       kommunistischen Zeiten Opfer der Staatsgewalt in Gestalt von Jakubs Vater
       wurde, stellvertretend an dessen Familie. Diese Geschichte, die tragische
       und kafkaeske Momente vereint, mündet letztlich aber auch allzu glatt in
       eine Art Auflösung. Die komplexe moralische Problematik, die dahintersteht,
       haben wir zwar gesehen. Aber am Schluss liegt wieder der Deckel drauf. Ob
       das jetzt die Lösung sein soll, bleibt recht unklar.
       
       Während der Lektüre allerdings gibt es für solche und ähnliche kritischen
       Beobachtungen kaum Gelegenheit. Der Roman platzt vor Geschichten und
       Fantastereien, weil sein einfallsreicher Autor mit so ungebremstem
       Erzähldrang bei der Sache ist. Ebenso groß ist dementsprechend auch der
       Lesedrang.
       
       Dass auf dem Weg das eine oder andere verlorengeht, wenn einer so volle
       Fahrt voraus alles auf einmal zu erzählen versucht, was ihm so am Herzen
       liegt, ist kein Wunder und darf bei einem ersten Roman ruhig so sein.
       Jaroslav Kalfař hat ja, wenn es gut für ihn läuft, hoffentlich noch viele
       Romane vor sich. Auf den nächsten kann man jedenfalls schon mal gespannt
       sein.
       
       18 Feb 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Granzin
       
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