# taz.de -- Shaun White holt Gold in der Halfpipe: Der Missionar olympischer Coolness
       
       > Die große Show der „fliegenden Tomate“: Im für Snowboarder biblischen
       > Alter von 31 wird Shaun White zum dritten Mal Olympiasieger.
       
 (IMG) Bild: 14. Februar 2018: Shaun White bei der Arbeit
       
       Pyeongchang taz | Über vier Jahre hat er sich aufgeladen, jetzt muss es
       raus. Gleich im ersten Sprung des olympischen Halfpipe-Finals von
       Pyeongchang schraubt sich Shaun White zu einer Vierfachdrehung in die
       Luft: 1440, wie die Snowboarder nach der addierten Zahl der Umdrehungsgrade
       sagen. Als er ins Ziel kommt, schmeißt er jubelnd seinen Helm ins Publikum.
       „Es war einer der höchsten 1440, die ich je gesprungen bin“, wird er später
       sagen: „Ich dachte, mit dem Lauf habe ich es schon geschafft.“
       
       Lange scherzt er im Zielraum danach mit seiner Entourage, schlägt mit Fans
       ein, macht zum Abgang noch eine Pose, gehobener Zeigefinger bei
       gleichzeitigem Schütteln: wie ein Rockstar. Was er besonders gut kann, weil
       er ja mal Rockstar war. Als Gitarrist seiner Gruppe Bad Things ging er
       sogar auf Tournee, doch die ganze Sache endete nicht gut; die
       Schlagzeugerin der Band warf ihm sexuelle Belästigung vor. Laut der Anzeige
       ging es unter anderem um sehr unappetitliche Videos. Voriges Jahr einigte
       man sich schließlich auf einen Vergleich. Und doch bleibt etwas. Man wird
       ihn immer wieder an die Angelegenheit erinnern, auch wenn er sich dazu
       nicht mehr äußern mag.
       
       Nicht viel anders geht es ihm mit dem größten Rückschlag seiner Karriere,
       den verlorenen Olympischen Spiele von Sotschi. Egal, jetzt ist er wieder
       da, mit 31, jetzt hat er sich nicht mal von einem Aufprall auf der
       Röhrenkante abbringen lassen. Im Oktober war das, mit 62 Stichen musste er
       danach genäht werden, die Narben kann man noch ein wenig sehen.
       
       Jetzt ist es wieder seine Bühne, und so zeigt Shaun White an diesem grauen
       Morgen im Bokwang Snow Park noch einmal, was man als seine Lebensleistung
       bezeichnen kann. Die Versöhnung von Coolness und Spitzensport, von
       Snowboard und Olympia. Seinetwegen zählt die Halfpipe schon zwanzig Jahre
       nach ihrer Programmaufnahme zu den Höhepunkten bei jeden Winterspielen, und
       auch seinetwegen verweigert sich die Szene kaum noch dem früher von vielen
       abgelehnten Kommerzspektakel unter den Ringen.
       
       ## Selfies am Rand der Halfpipe
       
       Am Tag zuvor hat bei den Frauen die 17-jährige Kim Chloe gewonnen. White
       kennt sie gut, beide sind Kalifornier und trainieren gelegentlich zusammen
       im Skigebiet Mammoth Mountain, wo er mittlerweile Miteigentümer ist. Dort,
       erzählt er, stellen sich Leute manchmal für Selfies an den Rand der
       Halfpipe, während er über sie fliegt. Es stört ihn nicht. Die Zeiten, als
       er sich und seine Tricks vor Olympischen Spielen in eigens für ihn gebauten
       Pipes versteckte, sind vorbei, er hat jetzt ganz gern Gesellschaft.
       
       White ist mittlerweile nicht nur der älteste Snowboarder, der je für die
       USA in die Röhre ging; er scheint auch erwachsener geworden. Die wüsten
       Locken sind weg, er trägt kürzer, auch wenn er deshalb nicht weniger
       charismatisch daherkommt, mit einer roten Tolle. Einige Fans haben Fotos
       von seinem Gesicht ausgeschnitten und auf Stöcke geklebt. Der Snow Park ist
       voll, die Stimmung auch am frühen Morgens bestens, und die Frage liegt in
       der Luft, ob diese Ikone des Wintersports noch einmal die Zeit anhält.
       
       Erstes Olympiagold 2006 in Turin, da war er 19. Dann die große Show der
       „fliegenden Tomate“ in Vancouver 2010. Und der Sturz in Sotschi: Platz
       vier. Aufstieg, Fall und die Sehnsucht nach Erlösung – ob cool oder nicht,
       ob Traditions- oder Trenddisziplin: Das sind immer noch die beliebtesten
       Dramen des Sports.
       
       ## Stolz auf sich selbst
       
       Doch erst mal gerät das Skript durcheinander. Ayumu Hirano, Japaner mit
       halblangem Haar und Ohrringen auf beiden Seiten, der
       Silbermedaillengewinner von 2014, setzt eine neue Bestmarke. 95,25 Punkte –
       mehr, als in Sotschi zu Gold reichte.
       
       Nach der Qualifikation hatte White noch über Hirano gesprochen, der in
       Sotschi gerade 15 war, der als jüngster Athlet jemals eine Medaille bei der
       Funsportmesse X Games gewann. „Es ist eine Menge Druck, wenn du als Kind
       für die nächste große Nummer in deinem Sport gehalten wirst“, hatte White
       gesagt, und war von da zu einem Manifesto über sich selbst übergegangen.
       „Ich bin einfach nur stolz, jemand zu sein, der diesen Sport verändert
       hat.“ Nächste große Nummer? Braucht es die? „Ich bin ja immer noch hier.“
       
       Als er auf seinen letzten Lauf wartet, nervös, da wird der Winterklassiker
       „Let it Snow“ gespielt. „Ich dachte, schalt bloß aus, wunderbarer Song,
       aber doch nicht jetzt.“ Kleine Flocken fallen schon, jetzt noch Schneefall,
       und das wäre es wohl. „Ich schaute in den Himmel und suchte nach einem
       blauen Fleck.“ Er fand ihn in sich. „Ich setzte mich an die Pipe, dachte an
       mein Leben und an Olympia. Und ließ alle Sorgen entweichen.“
       
       ## Hirano hat ihn dorthin getrieben
       
       White eröffnet mit zwei Vierfachsprüngen nacheinander. Das hat bis vor
       Kurzem noch keiner gemacht, aber Hirano, der inzwischen 19-Jährige, hat ihn
       dorthin getrieben, sowieso und besonders an diesem Tag. Doch die Technik
       ist ja nur das eine, die Ausstrahlung etwas anderes, und bei der macht
       White immer noch keiner etwas vor. Nach der Zieleinfahrt schmeißt er das
       Board in die Luft, geht kurz in die Knie und wartet auf die Wertung.
       
       97,75. Goldmedaille. White schluchzt, erst im Schnee, dann an der Schulter
       seiner Mutter. „Zurückzukommen von der Enttäuschung von Sotschi, die Liebe
       und Leidenschaft zu meinem Sport wiederzufinden und das dann hier in die
       Röhre zu bekommen – das bedeutet mir alles“, sagt er. Und dann noch: „Es
       war eine Chance, mich zu erlösen, in meiner Karriere wie in meinem Leben,
       und es fühlt sich einfach nur gut an, sie wahrgenommen zu haben.“
       
       Wem das alles sehr altmeisterlich klingt und etwas melodramatisch vorkommt,
       der sei beruhigt: Shaun White wird das Ganze schon auch noch richtig zu
       feiern verstehen.
       
       14 Feb 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Florian Haupt
       
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