# taz.de -- Analyse der neuen grünen Doppelspitze: Frischer grüner Wind
       
       > Am neuen Chef-Duo Annalena Baerbock und Robert Habeck hängen große
       > Hoffnungen. Tatsächlich könnten die beiden die Grünen umkrempeln.
       
 (IMG) Bild: Spitzen-Duo? Annalena Baerbock und Robert Habeck haben sich in die Herzen der Grünen gekämpft
       
       Hannover taz | Manchmal sind es kleine Szenen, die viel sagen. Als Robert
       Habeck, gerade neu zum Vorsitzenden gewählt, Glückwünsche entgegennimmt,
       klopft ihm in der Kongresshalle in Hannover ein Bekannter auf die Schulter.
       „Du, ich habe schon vor zwei Jahren zu deiner Mutter gesagt: Der Robert
       wird mal Bundeskanzler.“ Habeck schaut alarmiert zu dem mitschreibenden
       Journalisten hinüber und legt den Finger auf den Mund. „Pssst.“
       
       Unrealistisches Lob braucht er gerade nicht. Denn die Erwartungen, die sich
       in der Ökopartei mit dem neuen Chef-Duo verbinden, sind eh schon immens.
       Annalena Baerbock, 37, und Robert Habeck, 48, sind das neue Traumpaar der
       sozialökologischen Wende. Sind die Hoffnungen realistisch? Was wird sich
       durch das neue Chef-Duo bei den Grünen ändern?
       
       ## Macht
       
       Das Duo krempelt die Machtverhältnisse bei den Grünen um. Falls die Große
       Koalition wider Erwarten nicht zustande komme und Neuwahlen angesetzt
       würden, sei klar, dass Baerbock und Habeck die Spitzenkandidaten würden –
       und nicht mehr Ex-Parteichef Cem Özdemir und Fraktionschefin Katrin
       Göring-Eckardt. Das war der gängige Flurtalk auf dem Parteitag. Damit sind
       auch Vorentscheidungen für den Wahlkampf 2021 gefallen.
       
       Der fulminante Auftritt Baerbocks wurde sehr genau registriert. Die
       Brandenburgerin hielt eine „Hurricane-Rede“ (Habeck), in der sie für
       radikalen Klimaschutz, eine grüne Europapolitik und Armutsbekämpfung
       plädierte. Baerbock musste manchmal nach jedem Satz eine Pause machen, weil
       sie gegen den Jubel der Delegierten nicht mehr ankam. Keine Frage, das
       sprühte, das riss mit.
       
       Für Göring-Eckardt, bisher die starke Frau der Grünen, bedeutet das
       handfeste Konkurrenz. Sie wurde auf dem Parteitag gedemütigt, als sie erst
       im zweiten Anlauf in den Parteirat gewählt wurde. Kein gutes Zeichen. Die
       Kräfteverhältnisse zwischen Partei und Fraktion werden sich nun
       verschieben. Bisher war meist die Bundestagsfraktion das Machtzentrum der
       Grünen. Aber Habeck und Baerbock werden selbstbewusst eigene Themen setzen.
       Die Grünen wollen sich etwa ein neues Grundsatzprogramm geben, eine bessere
       Spielfläche für ehrgeizige ParteichefInnen gibt es nicht.
       
       ## Zukunftsthemen
       
       Robert Habeck hat in seiner Bewerbungsrede eine große Frage gestellt. „Was
       ist im 21. Jahrhundert eigentlich links?“
       
       Habeck betonte zwar, dass klassisch linke Ansätze nötig seien – zum
       Beispiel eine härtere Besteuerung von Kapital und Vermögen. Aber er ging
       gedanklich einen Schritt weiter. Der postmoderne Kapitalismus, rief er,
       dringe in unsere privateste Beziehung ein: Die Zeit, die Arbeit,
       Freundschaften, Pflege, Liebe – alles werde in Wert gesetzt und
       ausgewrungen. Entsprechend sei links heute, der Kapitalisierung des Humanen
       nicht zuzusehen, sondern um die Humanisierung des Kapitals zu kämpfen. Das
       war etwas wolkig, aber schlau.
       
       Linke-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht lästerte am Sonntag, die Grünen
       seien mit der Doppel-Realo-Spitze „endgültig auf dem Weg zur Partei des
       Ökowohlfühlwohlstandsbürgertums“. Zwar ist richtig, dass sowohl Habeck als
       auch Baerbock zum Realo-Flügel gehören. Doch ansonsten ist Wagenknechts
       Vorwurf unterkomplex. Denn Habeck zielt mit seiner Rede auf einen
       gesellschaftlichen Trend, um den sich linkes Denken kümmern muss. Viele
       Menschen leiden unter den Zumutungen der Flexibilisierung und
       Digitalisierung. Bisher gibt keine Partei darauf eine angemessene Antwort.
       
       Auch dezidiert linke Grüne verteidigen Habeck deshalb. „So viel
       Kapitalismuskritik und Veränderungswillen habe ich lange nicht an der
       Grünen-Spitze gehört“, sagt etwa der Europaabgeordnete und Attac-Mitgründer
       Sven Giegold. Baerbocks zentraler Satz lautete: Die Grünen sollten den
       „vermeintlichen Widerspruch zwischen radikal und staatstragend als Chance“
       begreifen. Demokratische Institutionen zu verteidigen kann in Zeiten
       starker Rechtspopulisten sehr radikal sein.
       
       ## Haltung
       
       Reinhard Bütikofer federt vergnügt in den Knien, wenn man ihn nach den
       neuen ChefInnen fragt. Bütikofer ist der Chef der Europa-Grünen und einer
       der klügsten Köpfe in der Partei. Bei Habeck und Baerbock spüre man erstens
       den Willen zur Umgestaltung. „Wir hatten zu lange: Dabeisein ist alles.“
       Zweitens hätten beide klare Prioritäten, aber auch eine Bereitschaft zur
       Offenheit gegenüber Leuten, denen die Grünen bisher nicht imponierten. Und,
       drittens, pflegten sie eine lebendige Sprache.
       
       Das wäre in der Summe wirklich neu. Harmloses Nettsein, bloß nicht anecken,
       aufs Regieren vorbereiten – das war die Strategie der vergangenen vier
       Jahre. Nach dem Wahlkampf 2013, in dem die Partei wegen ihres
       Steuerprogramms diffamiert wurde, versuchten die Grünen unter Cem Özdemir
       und Katrin Göring-Eckardt, die bürgerliche Mitte zu gewinnen. Sie dimmten
       Steuerpolitik herunter, fokussierten sich aufs Ökologische und vermieden –
       stets Schwarz-Grün im Blick – allzu harte Kritik an Angela Merkel. Das
       Ergebnis waren eine eher unauffällige Oppositionsarbeit und mittelprächtige
       8,9 Prozent bei der Bundestagswahl.
       
       Habeck und Baerbock scheinen nun Lehren aus den Wahlkämpfen 2013 und 2017
       zu kombinieren. Zugespitzt: Wem Trittin zu links und besserwisserisch war
       und Göring-Eckardt zu brav, der bekommt jetzt einen linksprogressiven
       Sound, kombiniert mit Respekt vor Andersdenkenden. Bütikofer und viele
       linke Grüne kommen zu demselben Urteil: „Das kann was werden.“
       
       ## Geschlossenheit
       
       Der Widerspruch zwischen der Oppositionsrolle im Bund und der
       Regierungsarbeit in vielen Ländern machte den Grünen sehr zu schaffen.
       Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann brüskierte die
       Bundespartei mit Alleingängen, es kam zu kaum erklärbaren Entscheidungen.
       So geißelten die Grünen etwa im Bundestag die Erbschaftsteuerreform der
       Großen Koalition als zutiefst ungerecht, winkten sie aber im Bundesrat
       durch.
       
       Die Grünen wirkten oft so unsortiert, weil die Parteispitze als
       austarierendes Machtzentrum ausfiel. Cem Özdemir machte sich über weite
       Strecken zum Sprecher der Hardcore-Realos aus Baden-Württemberg, Simone
       Peter agierte ebenfalls in der Flügellogik. Habeck und Baerbock versprechen
       nun, integrativ zu führen. Eine starke, einige Parteispitze wäre für die
       Grünen ein echter Schritt nach vorne. Für die Idee, die Rollen von Partei
       und (Landes-)Regierungen anders zu denken, gibt es bei den Grünen viel
       Sympathie. Jürgen Trittin riet seiner Partei: „Wir müssen aufhören, so zu
       tun, als gäbe es die unbefleckte Arbeit in der Partei und alles in der
       Regierung sei falsch und kompromisslerisch.“
       
       28 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hanna Voß
 (DIR) Ulrich Schulte
       
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