# taz.de -- Beziehungsfilm aus Korea: Reden, rumstehen, rauchen
       
       > Nie weiß man, was im nächsten Moment geschieht: In „On the Beach at Night
       > Alone“ von Hong Sang-soo gerät die Welt aus den Fugen.
       
 (IMG) Bild: Allein am Strand
       
       Sie will das Leben leben, das ihr gemäß ist, ein Leben, wie sie es sich
       vorstellt. Das wünscht sich Younghee (Kim Min-hee) und sinkt in
       Gebetshaltung auf die Knie vor einer Brücke in einem Hamburger Park. Oder
       jedenfalls erklärt sie das so ihrer älteren Freundin, als die fragt, was
       Younghee mit dem Kniefall bezweckt hat. Sie sitzen da auf einer Bank im
       Park. Das Gespräch kreist um den Mann, den Younghee in Korea verließ, den
       Mann mit dem Kind, der ihr nun nachzureisen angekündigt hat. Es ist Winter.
       Sie liebt ihn noch, sagt sie, aber wenn das Zusammenleben zu hart ist, sagt
       sie auch, dann hat die Partnerschaft keinen Sinn.
       
       Dies geschieht im ersten, kürzeren von zwei Teilen, aus denen Hong
       Sang-soos „On the Beach at Night Alone“ besteht. Viel ist Younghee da in
       Hamburg im Park unterwegs. Ein krebskranker Buchhändler spielt sehr schön
       Klavier. Sie kocht und isst mit Freunden, dann gehen sie am Elbufer
       spazieren, damit endet Teil eins. Genauer gesagt endet er damit, dass ein
       unbekannter Mann sich Younghee über die Schulter gepackt hat und
       davonschleppt. Ganz genau gesagt sieht man das zunächst nicht. Die Freunde
       gehen nach rechts davon, die Kamera schwenkt nach links. Wo Younghee eben
       noch war, ist sie nicht mehr, nur das Ufer der Elbe. Die Kamera schwenkt
       weiter nach links, da wird Younghee verschleppt. Erklärt wird das nicht.
       
       Im zweiten Teil ist Younghee zurück in Korea, nicht in Seoul, wo sie lebt,
       sondern in Gangneung, der Großstadt im Osten am Meer. Sie geht ins Kino,
       man sieht nicht den Film, nur sie, nach dem Abspann, ganz allein im Saal.
       In einem Café trifft Younghee, die Schauspielerin ist, einen Mann, der sich
       seltsam verhält. Der friert, obwohl es nicht kalt ist, er leugnet, mit der
       Frau verheiratet zu sein, die das Café betreibt, und ihm dann das Sortieren
       der Linsen aufträgt.
       
       „Alle Männer sind Idioten“, sagt Younghee. Der Typ ihr gegenüber jedenfalls
       wäre als Beispiel dafür ein Prachtexemplar. Als sie später mit ihm und
       anderen Freunden zusammensitzt, alle sind schon ziemlich betrunken, küsst
       sie eine Frau. Dazwischen hat sie die schön weiße Blüte einer kohlartigen
       Pflanze mit zarten Gesten berührt.
       
       ## Wie im echten Leben
       
       Noch später liegt sie am Strand. Allein, wie es der Titel, der einem
       Gedicht von Walt Whitman entstammt, schon angekündigt hat. Es ist aber,
       anders als der Titel verspricht, nicht Nacht, sondern Tag. Younghee schläft
       ein, sie hat einen Traum. Es tritt der Regisseur darin auf, mit dem sie
       eine Affäre hatte, sie sitzt mit ihm und Mitgliedern eines Filmteams
       zusammen, alle sind schon ziemlich betrunken, er liest eine Passage aus
       einem Buch, er rechtfertigt sich, die Wogen schlagen recht hoch. Sie geht
       eine Zigarette rauchen im Traum, dann wacht sie auf am Strand im richtigen
       Leben, geht auf eigenen Beinen nach links aus dem Bild.
       
       Damit ist auch der zweite Teil und der ganze Film an sein Ende gelangt.
       Übrigens sind immer wieder kurze Passagen aus dem Beginn des zweiten Satzes
       von Schuberts Streichquintett in C-Dur zu hören. Sie geben den elegischen
       Ton vor.
       
       All dies geschieht. Es ist viel, es ist wenig. Reden, streiten, rumstehen,
       rauchen, sitzen, spazieren, ein Kniefall, essen, trinken, sich betrinken,
       schlafen, küssen, die Männer zu Idioten erklären, ins Café gehen, aus dem
       Kino kommen, eine Kohlpflanze streicheln. Ein Konflikt entwickelt sich
       nicht. Der Konflikt, ein Liebeskonflikt, ist vielmehr vorbei, schon am
       Anfang, dem Film ist es um das Erinnern und Durcharbeiten zu tun.
       
       „On the Beach at Night Alone“ hat außerdem einen doppelten Boden, denn
       Regisseur Hong Sang-soo hat, wie der Regisseur im Traum im Film, seine Frau
       mit einer jungen Schauspielerin betrogen, nämlich genau Kim Min-hee, der
       Darstellerin von Younghee. Hong hat seine Frau verlassen und lebt und dreht
       nun mit Kim. (Der jüngste Film ist auf der kommenden Berlinale zu sehen.)
       Man muss das nicht wissen, aber wenn man es weiß, sieht man, wie Partikel
       der Realität in den Film Eingang finden, verschoben und verdichtet, auf
       einer Ebene mit erfundenerem Erzählmaterial.
       
       ## Fremdkörper in der Narration
       
       Etwas von Träumen haben Hongs Filme sehr oft. Die Bilder sind schlicht und
       klar, die Realität, Hamburg, Gangneung, ist mit Präzision und ohne jede
       Verfremdung in Szene gesetzt. Aber in der Logik der Zusammenhänge ist etwas
       aus den Fugen geraten. Dinge oder Menschen drängen ins Bild, von denen man
       nicht weiß, was sie da suchen.
       
       Einmal, im Café, zoomt die Kamera auf ein Fenster, aber draußen passiert
       nichts, es gehen nur ein paar Leute vorbei. Dann fällt der Blick auf ein
       sprechblasenartiges Schild, verharrt dort, da steht, sehr verblasst,
       „error“ zu lesen. Später ein Zoom auf ein Fenster zum Meer, aber draußen
       passiert nichts, auch jeder „error“ bleibt aus.
       
       Im Park in Hamburg rannte ein Mann mit Mütze auf Younghee und ihre Freundin
       zu, fragte nach der Uhrzeit, dann stürmte der Mann nach links aus dem Bild.
       In Gangneung betreten die Freunde ein Zimmer, da steht ein Mann mit Mütze
       auf dem Balkon und putzt frenetisch das Fenster. Es ist, als sähen sie alle
       diesen Mann nicht. Ob er derselbe ist, der am Ende des ersten Teils
       Younghee über der Schulter davontrug, derselbe, der im Park nach der Zeit
       fragte, ist nicht zu entscheiden. Schon die Frage ist falsch. Er ist ein
       Fremdkörper in der Narration, eine Probe auf die Reißfestigkeit des
       Erzählmaterials. Er tritt von außen hinzu, surrealisiert die Banalität der
       sonst sich ereignenden Dinge.
       
       Nichts an der Art des Erzählens deutet auf den ersten Blick auf die tiefe
       Abgründigkeit hin, die Hongs Filme grundsätzlich haben. Seine Kunst macht
       nicht viel her, sie nutzt ganz einfache Mittel. Beim zweiten Blick aber
       achtet man dann doch auf Absonderlichkeiten der Form. Seltsame Zooms, mal
       auf ein Gesicht, mal ins Leere. Eigenartige Schwenks, die, als wäre es ein
       nachträglicher Einfall, ein Off anwesend machen, das die Frage, warum es
       nun on ist, nicht schlüssig beantworten kann. Zooms und Schwenks also, bei
       denen schwer zu entscheiden ist, nicht nur, was sie bedeuten, sondern ob
       sie überhaupt etwas bedeuten oder leere Momente des Gestischen sind.
       
       Und auch die Darstellerinnen und Darsteller spielen auf eine Weise, die
       zunächst ganz natürlich erscheint. Dabei weiß man nie, was im nächsten
       Moment womöglich geschieht. Über ihre Gesichter ziehen Gefühle wie rasch
       abwechselnd Sonne und Wolken an einem windigen Tag.
       
       Männer wie Frauen scheinen eher Objekte von Impulsen aus ihrem Inneren oder
       von außen als ihrer selbst ganz sichere und bewusste Subjekte. Oft sagen
       sie über die Liebe, die Männer, ihre Gefühle und das, was sie wollen, erst
       das eine, dann das Gegenteil, dann etwas dazwischen. Sätze, die gesprochen
       werden, kehren, leicht variiert, wieder. Im ersten Teil ist von Hamburg als
       laut Umfrage lebenswertester Stadt die Rede. Im zweiten sagt einer ungefähr
       dasselbe über Gangneung und Korea.
       
       Kaum merklich legen sich solche Echoeffekte als Strukturebene eigener Art
       über das scheinbar so schlichte Handlungsgeschehen und kommunizieren über
       die Köpfe der Figuren hinweg. Der ersten Ebene, auf der es um
       Zwischenmenschliches geht, nimmt das nichts. Aber beides zusammen macht den
       ungeheuren Reiz der Film von Hong aus. Sie schimmern und flimmern, sie sind
       komplex und verrückt und betrunken – aber nur für jene, die sich auf ihre
       vielfachen Denk-, Sprach- und Strukturbewegungen einlassen wollen.
       
       25 Jan 2018
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ekkehard Knörer
       
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