# taz.de -- Heiligabend in der Notunterkunft: Der erste Nikolaus
       
       > Im ehemaligen C&A-Gebäude an der Karl-Marx-Straße in Berlin-Neukölln
       > feiern Geflüchtete Weihnachten – manche zum ersten Mal.
       
 (IMG) Bild: Weihnachten in einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin-Neukölln.
       
       Konzentriert schaut Zarif auf die Schere zwischen ihren kleinen Fingern.
       Dann schneidet die Siebenjährige – schnipp, schnapp – durch die blaue
       Pappe, vorsichtig, um nicht die Zacken der Schneeflocke abzutrennen.
       Gemeinsam mit den anderen Mädchen, alle im Alter zwischen sieben und zehn
       Jahren, bastelt die Tochter kurdisch-jesidischer Eltern an einem
       Freitagabend im Dezember fleißig Weihnachtskarten.
       
       Weihnachtsvorbereitungen in einer Flüchtlingsunterkunft: Spielt das
       Weihnachtsfest denn hier überhaupt eine Rolle? „Ja natürlich“, betont
       Raphael Dütemeyer, Leiter der Notunterkunft im ehemaligen C&A-Geschäft in
       Neukölln. „Ob beim christlichen Weihnachten und Ostern, beim muslimischen
       Zuckerfest und Ramadan oder beim persischen Neujahrsfest Nouruz“, zählt er
       auf, „wir feiern hier viele Feste gemeinsam und lernen dabei eine Menge
       voneinander.“
       
       Als die Berliner Verwaltung 2015 nicht mehr wusste, wo sie die ankommenden
       Flüchtlinge unterbringen soll, wurden gut 600 Menschen in dem
       grünlich-verwitterten Betonklotz mit den verspiegelten Außenfenstern an der
       Karl-Marx-Straße einquartiert. Heute sind es noch 170 BewohnerInnen, 60
       davon Kinder, die in durch Holzspanplatten abgetrennten, nach oben jedoch
       offenen Kabinen untergebracht sind. Einige Geflüchtete verbringen die
       Weihnachtszeit hier bereits zum dritten Mal.
       
       ## Traditionen näherbringen
       
       „Die Mehrheit der Bewohner sind zwar Muslime, den Mitarbeitern und
       freiwilligen Helfern war es aber stets wichtig, den Bewohnern die
       Traditionen rund um die Advents- und Weihnachtszeit näherzubringen“,
       berichtet Dütemeyer, während er durchs Haus führt. Selbstverständlich wolle
       man niemanden missionieren, es gehe schlicht darum, den Geist der Weihnacht
       – eine besondere Stimmung – auch hier ins Haus einziehen zu lassen.
       
       Auch wenn man die Besinnlichkeit nicht unbedingt an jeder Ecke des
       großflächigen Kaufhausgebäudes vermutet, man findet sie: Im Aufenthaltsraum
       des Erdgeschosses fällt der Blick auf zwei Tannenbäume. Mitarbeiter der
       Malteser und Geflüchtete schmücken sie gerade mit glänzenden roten, blauen
       und goldenen Kugeln und Lametta, während Kleinkinder um den Baum tollen.
       
       In einer ehemaligen Damenumkleide, ein Hinweisschild hängt noch neben der
       Tür, verzieren Zarif und die anderen Mädchen die ausgeschnittenen
       Schneeflocken nun mit Watte. Dann kleben sie die Flocken auf Karten mit
       Weihnachtsgrüßen, die, so erklärt es die ehrenamtliche Helferin Veronika
       Sufuentes, an alle ehrenamtlichen Helfer verschickt werden. Seit drei
       Jahren bemühen sich knapp 100 Neuköllner mit großem Einsatz, Ausflüge und
       Aktionen für die Kinder zu organisieren.
       
       Während die Mädchen fleißig basteln, zeigt Sufuentes in einem Nebenraum die
       Geschenke. Vor den neugierigen Blicken der Kleinen unter Decken versteckt,
       lagern hier Fußbälle, Puzzle und andere Spielsachen, jedes Kind in der
       Notunterkunft soll zu Weihnachten eins der gespendeten Pakete erhalten.
       
       ## „Zwischen Mehl und Milch“
       
       „In der Weihnachtsbäckerei“, laut singen die Mädchen im Bastelzimmer jetzt,
       „gibt’s so manche Leckerei. Zwischen Mehl und Milch“ – doch abrupt bricht
       der Gesang wieder ab, die Mädchen lachen, weil sie den Text der Strophe
       nicht weiter wissen. Beim Refrain setzen dann alle wieder ein, mit voller
       Kehle, die Fliesen der ehemaligen Umkleidekabine lassen die Stimmen
       nachhallen.
       
       Zarif will jetzt noch eine Geschichte erzählen: „Letzte Woche, da habe ich
       den Nikolaus getroffen“, sagt sie, ihre Augen leuchten. „Wirklich! Der war
       supernett! Wir konnten sogar ein Foto mit ihm machen.“
       
       Die erste Begegnung mit dem Nikolaus wird den Mädchen wohl noch lange in
       Erinnerung bleiben: Die Ehrenamtlichen rieten ihnen, am Vorabend des
       Nikolaustages ihre frisch geputzten Schuhe vor die hölzernen Zimmertüren zu
       stellen. Morgens waren sie mit allerlei Süßigkeiten befüllt. Als die Kinder
       dann am darauffolgenden Wochenende zusammen mit ihren Eltern und einigen
       HelferInnen einen Ausflug zum Rixdorfer Weihnachtsmarkt unternahmen, stand
       er da, der echte Nikolaus. „Die Kinder umringten ihn und fragten freudig,
       ob er bei uns in der Unterkunft war“, erzählt Veronika Sufuentes. Der
       Rixdorfer Nikolaus bejahte souverän – seitdem glauben viele der Jüngeren
       felsenfest an seine Existenz, glauben, an Weihnachten würde sein Geburtstag
       gefeiert.
       
       Sufuentes ist sich indes sicher: Auch die muslimischen Eltern seien froh
       über die Zuneigung, die den Kindern gerade jetzt zur Weihnachtszeit
       geschenkt wird. „Es ist doch das Fest der Liebe. Damit müssen wir
       arbeiten“, resümiert die ehrenamtliche Helferin mit einem Lächeln auf den
       Lippen.
       
       23 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Raphael Piotrowski
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Weihnachten
 (DIR) Notunterkunft
 (DIR) Geflüchtete
 (DIR) Weihnachten
 (DIR) Weihnachten
 (DIR) Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF)
 (DIR) Asylverfahren
 (DIR) Turnhallen
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Weihnachtsdiskussion auf Twitter: Das Evangelium nach Ulf
       
       Der Chefredakteur der „Welt“ findet die Christmette zu links. Die
       Twittergemeinde schreibt ihm daraufhin eine neue frohe Botschaft.
       
 (DIR) Heiligabend in der Kneipe: Weihnachtsessen mit Junggesellen
       
       Jedes Jahr führt der Wirt der Neuköllner Kindl-Klause einige seiner
       Stammgäste an Weihnachten zum Essen aus.
       
 (DIR) Unterbringung von Geflüchteten: Kein Zimmer frei?
       
       Noch immer leben 3.700 Geflüchtete in Notunterkünften. Dabei gebe es freie
       Plätze in besseren Heimen, kritisiert der Flüchtlingsrat.
       
 (DIR) Asylverfahren in Berlin: Herzlich unwillkommen
       
       Flüchtlingsrat kritisiert, mit dem „Ankunftszentrum“ in Hangar 2 betreibe
       Berlin eine gewollte Abschreckung von Asylbewerbern. Die Linken-Chefin
       widerspricht.
       
 (DIR) Berliner Flüchtlinge ziehen um: Am Ende gab’s sogar Tränen
       
       Die Flüchtlinge aus der Turnhalle Wiesenstraße in Mitte bekommen kurz vor
       Weihnachten ein neues Quartier.