# taz.de -- Inszenierung einer Roman-Adaption: Ihre Liebe, ihre Macht
       
       > Allmählich schlüsselt sich ein Mutterleben auf: In Berlin inszeniert
       > Jakob Fedler „Gertrud“ nach Einar Schleef im Deutschen Theater.
       
 (IMG) Bild: Dreimal Gertrud: Wolfram Koch, Almut Zilcher, Antonia Bill
       
       Kackbraun sind die Uniformen und labberig dazu. Antonia Bill, Wolfram Koch
       und Almut Zilcher sehen in diesen Kostümen immer ein wenig bemitleidenswert
       aus. Das macht nichts her, auch wenn sie sich alle drei in der Rolle der
       „Gertrud“ noch so sehr in die Brust werfen. Verliererin, Verliererin,
       Verliererin, höhnt diese Ausstattung von Dorien Thomsen von Anfang an. Und
       gönnt der „Gertrud“ ja auch bloß eine rutschige Schräge mit sargähnlicher
       Erhöhung als einziges Möbel und Requisit. „Willi, Willi, Willi“, klagen die
       drei Gertruds denn auch, jammernd nach dem verstorbenen Mann. Wie lang er
       aber schon tot ist, das erfährt man nicht, die Zeiten rutschen Gertrud
       durcheinander.
       
       „Gertrud“ ist ein Roman von Einar Schleef, ein wuchtiger Text über seine
       Mutter, fantasiert als Monolog, boshaft oft im Blick auf den Mann, die
       Söhne und auch auf das eigene Leid. Das Leben selbst ist immer wieder eine
       Kränkung und Zumutung in diesem Text, der oft auch vom Körper spricht,
       seinen Irritationen und Störungen. Seit dem Tod von Einar Schleef 2001
       findet dieser Stoff immer wieder auf die Bühne; Edith Clever hat sich mit
       dieser monumentalen Frauenfigur im Berliner Ensemble auseinandergesetzt,
       Armin Petras hat sie in Frankfurt inszeniert. Der Regisseur Jakob Fedler
       rahmt seine Inszenierung am Deutschen Theater Berlin jetzt mit einem
       Refrain, der schon ahnen lasst, dass gerade die Brüche in Gertruds Leben
       ihn interessieren: „Meine Kindheit fiel ins Kaiserreich, der Sportplatz in
       der Weimaraner, die Ehe auf Hitler und das Alter in die DDR. Wohin mein
       Kopf. Viermal Deutsches Reich, das fünfte ist zwei Meter lang.“
       
       Die Geschichte von Gertrud ist auch eine, um der deutscher Geschichte auf
       die Spur zu kommen. Wenn Gertrud an ihre Mutter und Großmutter denkt, geht
       es noch um Gottesfurcht und Sünde und um eine Disziplin, die Unterwerfung
       und Erniedrigung fordert. Antonia Bill rennt dem als junge Gertrud davon,
       sie rennt auf der Bühne um das Sargmonument, entdeckt den Sport als
       Möglichkeit, gegen die hart gezogenen sozialen Grenzen zu rebellieren. Eine
       erfolgreiche Sportlerin, die Utopie der Emanzipation scheint auf; aber, die
       Uniform deutet es schon an, sie läuft damit auch dem „Dritten Reich“ in die
       Arme.
       
       Willi, der Ehemann, steht für die nächste Periode. Er ist Architekt, seine
       Trude tippt für ihn und verklärt dies in ihrer Erinnerung als einen Moment
       von freundschaftlicher Partnerschaft. Das eben ist das Tolle an Schleefs
       Text, dass er auch das Schönlügen des Lebens miterzählt. Und wie Gertrud
       auch glaubt, dafür zu Unrecht von ihren Söhnen gestraft zu werden. Die nach
       dem Tod von Willi, dem Vater, das Foto sehen wollen, aus dem das Hakenkreuz
       wegradiert wurde. Von ihren Söhnen fühlt sie sich verraten; der eine hat
       sie, die in der DDR, im thüringischen Sangershausen lebt, Richtung Westen
       verlassen, der andere (Einar) wird Künstler in Ostberlin. Vorwurfsvolle
       Briefe schreibt sie ihnen, denen sie vergeblich das Vorwurfsvolle nehmen
       will. Almut Zilcher liest sie vor, voll des Kampfes mit dem Gefühl der
       Verbitterung.
       
       ## Jucken, Furzen, Blut
       
       Gertrud durchschaut sich. Manchmal. Das macht einen Teil der Komik aus, die
       dieser Text auch hat. Ebenso wie das Dazwischenfunken des Körpers, der mit
       Jucken, Furzen und Blut ihre Gedanken unterläuft. Wolfram Koch schafft es,
       die skurrilen Seiten im Kampf gegen den Widerstand des Körpers
       auszuagieren.
       
       Diese verschiedenen Zeithorizonte und Gefühlsebenen sind in „Gertrud“ immer
       nebeneinander gegenwärtig, und das transportiert auch diese Inszenierung
       gut. Allmählich schlüsselt sich ihr Leben auf, die Bitterkeit, die
       Einsamkeit, der Leib gewordene Vorwurf. Was man dabei allerdings etwas aus
       den Augen verliert, ist, dass dieses Bild einer Mutter mit all seinem
       Pathos und all seiner Peinlichkeit von ihrem Sohn stammt. Der Text ist auch
       ein Dokument einer lebenslangen Rechtfertigung seines Versuchs, ihrer
       erpresserischen Liebe zu entkommen. Er ist womöglich auch ein Akt der Rache
       gegenüber der Macht der Mutter.
       
       „Gertrud“ ist als Buch 900 Seiten dick, als Text ein Berg, eine
       Sprachlawine, eine Abraumhalde unerledigter Schuldgefühle. Etwas davon
       deutet sich an in dem gewählten Bühnenbild, in dem Rutschen über die
       Schräge, in dem mittig platzierten Sarg. Das alles hier ist ein Deckel, der
       wegdrückt, was das Funktionieren stört. Deshalb schießen die drei
       Schauspieler auch gelegentlich wie Kasperlepuppen über den Rand der alles
       versiegelnden Fläche. Sie pieksen aus dem Reich der Toten in das der
       Lebenden hinein.
       
       Knapp zwei Stunden dauert die Inszenierung und bringt dabei doch
       erstaunlich viele Gertrud-Momente auf die Bühne. Das puzzelt sich so nach
       und nach zusammen, ohne sich je allzu sehr Bedeutung zu geben. Es ist ein
       Schleef-Abend der leichteren Art und vielleicht deshalb ganz gut, um sich
       mit ihm anzufreunden.
       
       17 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Bettina Müller
       
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