# taz.de -- IG-Metall-Vize zur Arbeit im Netz: Mindestlohn auch im Digitalen
       
       > Christiane Benner will Mindeststandards bei der Bezahlung von
       > Crowdworker*innen. Sie sollen in die gesetzliche Rente aufgenommen
       > werden.
       
 (IMG) Bild: Crowdworker*innen arbeiten oft unter prekären Bedingungen
       
       taz: Hunderttausende Beschäftigte verdienen in der Bundesrepublik
       inzwischen Geld, indem sie Aufträge über Vermittlungsplattformen im
       Internet erhalten. Die Verdienste sind oft jämmerlich, die soziale
       Absicherung ist löchrig. Können Gewerkschaften daran etwas ändern? 
       
       Christiane Benner: Ja, wir arbeiten daran. Und es gelingt auch. Weil die
       Arbeit im Netz aber eine relativ neue Erscheinung ist, tasten wir uns vor.
       Wir haben ein Crowdworking-Projekt gestartet, das sich an digitale
       Heimarbeiter und Selbstständige richtet und zusammen mit ihnen ein System
       entwickelt, um Plattformen zu bewerten. Es geht dabei um Fairness im Umgang
       zwischen Auftraggebern und Beschäftigten – und um die Höhe der Bezahlung.
       Außerdem konnten wir erreichen, dass wichtige Plattform-Firmen in
       Deutschland einen gemeinsamen Verhaltenskodex unterschrieben haben. Werden
       Beschäftigte unfair behandelt, können sie sich an eine neu eingerichtete
       Ombudsstelle wenden. Damit soll die Einhaltung der Standards aus dem Kodex
       garantiert werden.
       
       Der Kodex ist ziemlich nebulös formuliert. Zur Bezahlung heißt es nur, sie
       solle fair sein und sich an ortsüblichen Lohnstandards orientieren. Zahlen
       fehlen. 
       
       Es ist ein erster Schritt in einem völlig neuen Feld. Vorher gab es ja nur
       die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Arbeitgeber, die die
       Digitalarbeiter akzeptieren mussten. Jetzt bauen wir ein Gegengewicht auf.
       Und natürlich bleibt das Ziel, Untergrenzen für die Bezahlung einzuziehen.
       
       Gelingt es Ihnen, neue Aktivist*innen und Mitglieder zu finden? 
       
       Aktivisten gibt es in den neuen Branchen im dreistelligen Bereich,
       glücklicherweise auch unter engagierten Betriebsräten in großen
       Unternehmen, die Tätigkeiten an Plattformen oder in Start-ups auslagern.
       Bei der Mitgliederwerbung stehen wir noch am Anfang. Es geht uns zunächst
       darum, zu erfahren, was Digitalbeschäftigte an dieser Art der Arbeit
       schätzen und wo die Probleme liegen. Wir wollen erst einmal verstehen,
       welche konkreten Bedürfnisse diese Arbeitnehmer haben, um dann mit ihnen
       gute Netzarbeit zu gestalten.
       
       Viele Beschäftigte in der digitalen Ökonomie sind jung, sie wechseln ihre
       Tätigkeit häufig, sie empfinden sich als Selbstständige, sie erledigen
       mehrere Jobs parallel. Diese Haltung widerspricht gewerkschaftlicher
       Orientierung, oder? 
       
       Nicht grundsätzlich. Selbstständige können seit 2016 Mitglied bei uns
       werden. Knapp 230.000 junge Menschen unter 27 sind Mitglieder der IG
       Metall. Die kleine Gewerkschaft FAU schafft es ja beispielsweise, die
       Fahrer des Essenlieferdienstes Foodora, einer Plattform-Firma, zu
       organisieren. Diese jungen Leute wünschen sich bessere vertragliche Regeln
       und formulieren ihre Ansprüche nach höherer Bezahlung. Dafür gehen sie auf
       die Straße.
       
       Crowdworker*innen, digitale Heimarbeiter*innen, erhalten oft lächerlich
       geringe Honorare. Werbetexte werden für einen Cent pro Wort geschrieben.
       Weil die Leute diese Tätigkeiten vom heimischen Laptop aus erledigen, lässt
       sich ihr Zeitaufwand nicht objektiv ermitteln und kontrollieren. Der eine
       braucht zehn Minuten, der andere wäscht zwischendurch ab. Das sprengt die
       Mechanismen traditioneller Lohnfestsetzung. 
       
       Man kann geeignete Formen finden. Wir müssen mit den Crowdworkern
       diskutieren, welche Mindeststandards bei ihren Tätigkeiten funktionieren.
       Das könnten standardisierte Stückpreise sein, die man als Vergleich für
       ähnliche Tätigkeiten heranzieht. Dabei gilt: Beschäftigte müssen von ihrer
       Arbeit leben können. Das Konzept des Mindestlohns ist auch in der digitalen
       Ökonomie anwendbar.
       
       Viele Internetarbeiter*innen haben heute nur eine Krankenversicherung, aber
       keine Rentenversicherung. Welche Konsequenz ziehen Sie daraus? 
       
       Tatsächlich mangelt es rund 2 Millionen Soloselbstständigen in Deutschland
       an einer eigenen sozialen Absicherung. Alle Beschäftigten müssen deshalb in
       die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. Und die Arbeitgeber
       müssen sich an den Kosten beteiligen. Die Sozialversicherung zu erneuern,
       ist eine Aufgabe des Staats. Dringend nötig erscheint es zudem, den Begriff
       des „Arbeitnehmers“ zu modernisieren. Wer zu Hause an seinem Laptop
       Kleinstaufträge für Internetfirmen erledigt, ist nicht im eigentlichen
       Sinne selbstständig, sondern oft abhängig beschäftigt. Damit gehen wichtige
       Schutzrechte einher. Einen Anknüpfungspunkt für diese Neudefinition kann
       das Heimarbeitsgesetz darstellen, das zeitgemäß weiterentwickelt werden
       muss.
       
       Was muss zur Digitalarbeit in der Koalitionsvereinbarung einer möglichen
       Jamaika-Regierung stehen? 
       
       „Digital first, Bedenken second“, wie die FDP formulierte – so geht es
       nicht. Arbeit 4.0 braucht einen Sozialstaat 4.0. Die Politik muss zur
       Kenntnis nehmen, dass wir einen massiven Umbruch von Arbeit und Bildung
       erleben. Es ist dringend nötig, Schulen und Berufsschulen und auch
       betriebliche Aus- und Weiterbildung an der Digitalisierung auszurichten.
       Dafür braucht es einen Masterplan der Regierung.
       
       20 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hannes Koch
       
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