# taz.de -- Katalanen-Anwalt vor Ministeranhörung: „Wir vertrauen auf Belgien“
       
       > Die abgesetzten katalanischen Regierungsmitglieder werden in Brüssel
       > angehört. Gonzalo Boye, Anwalt zweier Minister, gibt sich optimistisch.
       
 (IMG) Bild: Die katalanischen Politiker Clara Ponsati, Meritxell Serret und Antoni Comin protestieren in Brüssel für Puigdemont
       
       taz: Am Freitag findet in Brüssel die erste Anhörung im
       Auslieferungsverfahren gegen die fünf Mitglieder der abgesetzten
       katalanischen Regierung statt, die sich in Belgien aufhalten – unter ihnen
       auch Regierungschef Carles Puigdemont. Lässt sich die Auslieferung
       überhaupt verhindern? 
       
       Gonzalo Boye: Mich würde es überraschen, wenn Belgien die Angeklagten
       ausliefert. Es kann sein, dass dem Auslieferungsantrag des Madrider
       Sondergerichtshofs Audiencia Nacional in erster Instanz stattgegeben wird.
       Der Richter steht unter einem enormen Druck. Aber ich sehe nicht, wie das,
       was Spanien im Auslieferungsantrag aufführt, in der nächsten Instanz in das
       belgische Recht oder das europäische Recht passt.
       
       Sind Auslieferungsanträge innerhalb der Europäischen Union nicht reine
       Formsache? 
       
       Schon, aber die Straftaten, die den Betroffenen vorgeworfen werden, sind im
       europäischen Auslieferungsabkommen so nicht vorgesehen. Es geht hier um
       Rebellion und Aufstand. So wie das Gericht in Madrid argumentiert, ist das
       weder im spanischen noch im belgischen Gesetz vorgesehen.
       
       Was heißt das? 
       
       Für Rebellion und Aufstand muss dem Gesetz nach Gewalt im Spiel sein. Die
       Auslegung des Gesetzes durch die Audiencia Nacional ist völlig überzogen.
       Dahinter stehen ganz klar politische Interessen. Im Falle Katalonien wird
       das gesamte Recht hinsichtlich des Artikels 2 der Verfassung interpretiert.
       Dort heißt es: „Die Verfassung gründet sich auf die unauflösliche Einheit
       der spanischen Nation, gemeinsames und unteilbares Vaterland aller
       Spanier.“ Die Richter in Madrid ordnen dem alles unter. Sie gehen davon
       aus, dass es Gewalt ist, wenn sich eine Menschenmenge friedlich der Polizei
       und der Guardia Civil in den Weg stellt. Diese Definition kommt einer
       schweren Einschränkung des Demonstrationsrechtes gleich. Außerdem geht die
       Audiencia Nacional geht davon aus, dass sechs Millionen Euro veruntreut
       wurden, um das Referendum vom 1. Oktober vorzubereiten. Der Oberste
       Gerichtshof, wo die Mitglieder des Präsidiums des Autonomieparlaments wegen
       der gleichen Delikte vor Gericht stehen, sieht dafür keinerlei Beweise.
       Hinzu kommt, dass die gleichen Anklagen vor vier Gerichten gleichzeitig
       verhandelt werden. Erstinstanzlich vor dem Amtsgericht in Katalonien, dann
       vor dem Obersten Gericht Kataloniens, die katalanische Regierung vor der
       Audiencia Nacional und das Parlamentspräsidium vor dem Obersten Gerichtshof
       in Madrid. Die Staatsanwaltschaft hätte dies nie zulassen dürfen. Denn das
       kann dazu führen, dass die gleichen Taten völlig unterschiedlich bewertet
       werden.
       
       Aber die Angeklagten haben doch ganz klar gegen die Verfassung verstoßen. 
       
       Die Meinung des Volkes abzufragen ist kein Verbrechen.
       
       Aber ein Unabhängigkeitsreferendum ist in der Verfassung nicht vorgesehen. 
       
       Okay. Dann war es eben ein Picknick, die Regierung hat das Referendum
       abschätzig als Picknick bezeichnet. Vielleicht sollte die Regierung erst
       mal klären, was das denn nun war – Picknick oder Rebellion? Dass jemand
       dafür verfolgt wird, dass er Gesetze verabschiedet und eine Volksabstimmung
       durchgeführt hat, distanziert Spanien vom restlichen Europa.
       
       Das Referendumsgesetz und das Gesetz zum Übergang zu einer Katalanischen
       Republik wurden vom Verfassungsgericht für illegal erklärt. Die
       katalanische Regierung hat dennoch weitergemacht. 
       
       Das ist die größte Lüge der Regierung in Madrid. Das Referendumsgesetz
       wurde nicht für illegal erklärt, es wurde nur bis zu einer endgültigen
       Entscheidung ausgesetzt. Dann stellt sich die Frage nach der
       Zusammensetzung des Verfassungsgerichtes: Von zwölf Richtern werden vier
       von der Regierung ernannt, zwei vom Senat, wo die Regierungspartei die
       absolute Mehrheit hat, vier vom Kongress und zwei vom Richterrat, wo die
       Konservativen auch die Mehrheit haben. Wenn das keine politisches Gremium
       ist?! In Brüssel steht nicht der katalanische Unabhängigkeitsprozess vor
       Gericht, sondern Spanien und die Qualität seiner Demokratie und Justiz.
       
       Stimmt es, dass Spanien im Auslieferungsantrag Delikte anführt, die den in
       Spanien verbliebenen katalanischen Ministern nicht vorgeworfen werden? 
       
       Ja. Im Auslieferungsantrag ist von Korruption die Rede, um das Delikt der
       Veruntreuung zu untermauern. Selbst wenn letztendlich Veruntreuung
       öffentlicher Gelder bewiesen werden kann, ist das längst keine Korruption.
       Die Anklage in Madrid geht von drei Vergehen aus: Rebellion, Aufstand und
       Veruntreuung. Im Auslieferungsantrag kommen Befehlsverweigerung und
       Amtsmissbrauch hinzu. In Spanien sitzen acht Angeklagte wegen dreier
       Vergehen in Untersuchungshaft. Die Auslieferungsanträge gegen die
       Mitangeklagten, die sich nach Belgien abgesetzt haben, belaufen sich auf
       fünf Anklagepunkte.
       
       Was erwarten Sie vom Termin am Freitag? 
       
       Es wird eine lange Anhörung. Aber es wird keine Entscheidung fallen. Das
       Gericht wird sich dafür mindestens acht bis zehn Tage Zeit nehmen.
       
       Und nach der zweiten Instanz können Sie noch in Berufung gehen? 
       
       Und von dort aus, wenn nötig nach Straßburg vor den Europäischem
       Menschenrechtshof. Der kann die Auslieferung bis zu einer endgültigen
       Entscheidung aufschieben. Wenn es so weit kommen sollte, kann das Verfahren
       mehrere Jahre dauern. Aber wir glauben nicht, dass der Gang nach Europa
       nötig wird. Wir vertrauen voll und ganz auf die belgische Justiz.
       
       17 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Reiner Wandler
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Katalonien
 (DIR) Brüssel
 (DIR) Carles Puigdemont 
 (DIR) Unabhängigkeit
 (DIR) Spanien
 (DIR) Katalonien
 (DIR) Barcelona
 (DIR) Katalonien
 (DIR) Katalonien
 (DIR) Katalonien
 (DIR) Katalonien
 (DIR) Katalonien
 (DIR) Spanien
 (DIR) Katalonien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Spaniens Justiz gegen Kataloniens Separatisten: Puigdemont-Anwalt im Visier
       
       Wohnung und Büro des Rechtsvertreters von Carles Puigdemont wurden
       durchsucht. Anwaltsverbände reichen Beschwerde bei der UN ein.
       
 (DIR) Katalanendemo in Brüssel: 45.000 appellieren an Europa
       
       250 Busse, fünf Sonderflüge: Doppelt so viele Demonstranten wie erwartet
       folgten dem Katalanen-Aufruf und kamen nach Brüssel.
       
 (DIR) Ex-Regierungschef Puigdemont: Europäischer Haftbefehl gekippt
       
       Spanien zieht den europäischen Haftbefehl gegen Puigdemont und vier
       Ex-Minister zurück. Die nationalen Haftbefehle bleiben bestehen.
       
 (DIR) Katalonische Politiker in U-Haft: Sechs kommen frei, vier bleiben drin
       
       Der Oberste Gerichtshof Spaniens wirft den Politikern Anstiftung zur Gewalt
       im Zusammenhang mit dem Unabhängigkeitsreferendum vor.
       
 (DIR) Auslieferung von Carles Puigdemont: Gericht vertagt Entscheidung
       
       Muss Kataloniens Ex-Ministerpräsident in spanische Haft? Die Brüsseler
       Staatsanwälte wollen das. Man habe sie vor „Toten auf den Straßen“ gewarnt,
       sagen die Separatisten.
       
 (DIR) Kommentar Proteste in Barcelona: Gedemütigte Katalanen
       
       Das Vorgehen Madrids gegen politisch Verantwortliche in Katalonien hat
       Folgen: Rajoy hat Märtyrer geschaffen – und die sollten freigelassen
       werden.
       
 (DIR) Konflikt um Unabhängigkeit Kataloniens: Ein Meer aus Lichtern und Fahnen
       
       In Barcelona demonstrieren Hundertausende für die Freilassung inhaftierter
       Repräsentanten. Nicht alle sind Anhänger der Unabhängigkeit.
       
 (DIR) Aus Le Monde diplomatique: Der katalanische Knoten
       
       Der alte Konflikt aus den 1930er-Jahren ist wieder aufgebrochen. Die
       Madrider Regierung stützt sich dabei auf ein veraltetes Grundgesetz.
       
 (DIR) Demo von Hunderttausenden Katalanen: Solidarität mit den Inhaftierten
       
       Auch ohne politische Führung verschaffen sich die Separatisten in
       Katalonien weiter Gehör. Bei einer großen Demo zeigten sie Solidarität mit
       inhaftierten Politikern.
       
 (DIR) Katalonische Regionalregierung: Freigang für Parlamentspräsidentin
       
       Die katalanische Parlamentspräsidentin Carme Forcadell muss vorerst nicht
       in Untersuchungshaft. Einzige Bedingung: eine Kaution in Höhe von 150.000
       Euro.