# taz.de -- Weihnachtsmärkte mit Poller: Heimelig soll es sein
       
       > Photogeshopte Fichten, Eierpunsch und Zugluft. Ein Nachmittag auf dem
       > Wintermarkt am Potsdamer Platz, dem traurigsten Ort der Erde.
       
 (IMG) Bild: Photogeshopte Fichten hinter Betonwänden. So sieht es auf dem Wintermarkt aus
       
       Berlin taz | Um es mal für alle Nichtberliner einzuordnen: Der Potsdamer
       Platz wird in der Hauptstadt bestenfalls müde belächelt, meistens gemieden.
       Wenn man mal dort vorbeikommt, dann nur, weil man ihn auf dem Weg zum,
       sagen wir mal, Zahnarzt in Moabit überqueren muss. Und dann stehen auf dem
       Platz irgendwelche Touris rum, knipsen alte Mauerteile, die dort
       ausgestellt werden, und rätseln: Was this East Berlin or West Berlin?
       
       Als die weltbesten Architekten ihre schlechtesten Gebäude dahin gesetzt
       hatten, brachten sie den sogenannten urban breeze mit; die Luft muss
       zwischen den Hochhausschluchten hindurch, wird zusammengepresst und
       beschleunigt. Deshalb zieht es immer am Potsdamer Platz.
       
       Einer findigen Firma namens Bergmann Eventgastronomie kommt das zugute,
       seit Jahren schon. Das Unternehmen veranstaltet auf dem eigentlichen
       Potsdamer Platz – dort, wo eine auf alt gemachte Verkehrsampel an die
       1920er Jahre erinnern soll, als der Platz wirklich mal urban war – einen,
       hm, ja, was eigentlich?
       
       Bergmann Eventgastronomie nennt es „Wintermarkt“ – aber bitte, wir
       diskutieren jetzt nicht mit AfDlern oder AfD-Artigen, die meinen, aus
       Rücksicht auf irgendwen dürften Weihnachtsmärkte in Deutschland nicht mehr
       Weihnachtsmärkte heißen, sondern seien umbenannt worden, auf Befehl von
       oben womöglich.
       
       ## Ein Kruzifix hinter Gerümpel
       
       Nein, nein, alles gut; in der „Salzburger Schmankerl Hüttn“, die Bergmann
       Eventgastronomie zwischen Bahnhofsausgang, mobilen Stromkästen und Renzo
       Pianos spitz zulaufendem Hochhaus aufgebaut hat, hängt hinter allerlei
       alpenländischem Gerümpel sogar ein Kruzifix, etwas versteckt, aber anmutig
       beleuchtet mit grünem Flackerlicht.
       
       Es ist also christlich-abendländisch alles voll korrekt; und Wintermarkt
       heißt es nur, weil der Spaß jetzt schon beginnt und die Weihnachtszeit ja
       erst im Advent. Der Markt von Bergmann Eventgastronomie, der am 27.
       November auf dem Alexanderplatz steigt, heißt außerdem Weihnachtsmarkt.
       Dass da jetzt keine Gerüchte in die Welt gesetzt werden.
       
       Was aber macht nun einen Wintermarkt aus? Er ist natürlich nur ein
       verschämter Weihnachtsmarkt und wurde im Lokalradio auch als solcher
       angekündigt. Er spielt mit dem Drang des Menschen nach Heimeligkeit, und ob
       da nun auf dem umlaufenden Plastikplanenbanner Sterne und Engelshaar
       glitzern oder, wie am Potsdamer Platz, extrem photogeshopte Fichten unter
       Schneemassen ächzen, ist eigentlich egal.
       
       Heimelig also muss es sein, Winter muss vorgespielt werden. Und insofern
       passt es, dass just in dem Moment, als man sich auf diesem Markt ein wenig
       umsehen und sein Geheimnis erkunden will, aus einer einsamen
       Lautsprecherstele der alte Fleetwood-Mac-Song tröpfelt: „Tell me lies,
       tell me sweet little lies“.
       
       ## Es weht der urban breeze
       
       Denn das, was so etwas wie Winter macht, ist nur der perfekten Platzierung
       der Budengasse geschuldet, bestehend aus Holztischen, die mit ihren Dächern
       aussehen wie Vogelhäuschen aus dem Baumarkt. Sie stehen in einer Reihe
       genau dort, wo aus der Alten Potsdamer Straße der urban breeze am stärksten
       durch den Platz pfeift und in diesen Tagen tatsächlich eine Kälte aufkommen
       lässt, die an Winter erinnert.
       
       Wenn man nicht schnell genug weg ist, muss man also quasi bleiben, um für
       3,50 Euro einen Eierpunsch, Glühwein oder ein anderes Heißgetränk zu sich
       zu nehmen. Und ist dann schnell dabei, weil auf einem Bein steht man ja so
       schlecht und so weiter. Hicks, die Källllde spürd mandannn aunimmer so.
       
       Man kann auch umherschlendern und sich von der Atmosphäre verzaubern
       lassen. Der Duft von leckerer Bratwurst weht durch die Budengassen, in
       denen leise Musik erklingt. Darf es ein saftiges Steak sein oder Pilze in
       pikanter Soße? Gaumenfreuden bereiten auch knusprige Waffeln, fluffige
       Schmalzkuchen oder leckere frisch gebrannte Mandeln. Derweil jauchzen
       fröhliche Kinder im liebevoll gestalteten Märchenkarussell.
       
       Äh, nein. Tell me lies, tell me sweet little lies. Den
       Weihnachtsmarktlokalzeitungsberichtsound drehen wir schnell wieder ab. Der
       Glühwein riecht billig, angegrillte Würstchen stapeln sich und warten, an
       einer Pommesbude warnen Aufkleber „Vorsicht, Fettspritzer“, und das
       Kinderkarussell steht still.
       
       Der dazugehörige Mann in seiner Bude trägt eisgrauen Winterpullover,
       extragroße Armbanduhr, raucht Filterlose, auf dem Tischchen vor sich liegt
       ein Kreuzworträtsel. Aus seinen Boxen schwingt „Summer Dreaming, Bacardi
       Feeling“.
       
       Hat er das aufgelegt?
       
       Ja.
       
       Bacardi Feeling auf dem Wintermarkt?
       
       Er nur: „Kinderkarussell.“ Aha, so, so. Stimmt, Bacardi kann man auch im
       Winter trinken. Wärmt.
       
       Der Karussellbetreiber ist ein wortkarger Ruhrpottler. Muss man sich mal
       vorstellen: Er kommt seit 14 Jahren den weiten Weg aus dem Westen, um in
       Berlin sein Fahrgeschäft aufzubauen.
       
       Gibt’s denn hier keine Karussells?
       
       „Is doch alles voll mit Weihnachtsmärkten“, sagt er. Das heimische
       Kinderkarussellaufkommen also wohl erschöpft.
       
       Aber lohnt sich das denn für ihn? „Ja.“ Oder eher: „Jau“, was echt gut
       gelaunt klingt.
       
       Bis 31. Dezember steht er mit seinem Karussell da, hat so lange eine
       Wohnung in Berlin gemietet, danach geht’s zurück in den Pott. Heute habe er
       schon neun Kinder befördert, sagt er. Und: „Kommen bestimmt auch noch
       welche.“
       
       ## „Echte Männer fahren Traktor“
       
       Umgeben ist sein Karussell von eigentümlichen Buden, in denen es eine Art
       Partykellergrundausstattung für vorrangig Bayern-München- und
       Borussia-Dortmund-Fans gibt. Bierhumpen mit Vereinswappen, Schals, Trikots,
       Wimpel, aber auch Blechschilder mit so lustigen Sprüchen. „Im Himmel gibt’s
       kein BIER, drum trinken wir es HIER“ – „Echte Männer fahren Traktor“. Ein
       Klo-Wegweiser, auf dem steht „Pipi Kaka Land“.
       
       Es ist dieser Wintermarkt, sagen wir es ruhig, ein ganz und gar trauriger
       Ort. Selbst die Rodelbahn, die sie dort aufgebaut haben, sieht aus wie die
       letzte Skipiste, bevor der Klimawandel voll durchschlägt. Schmutzigweiße
       Matten als Untergrund. Wer es mag, kann für 1,50 Euro auf Gummiringen
       runtersausen, eine kurze Zeit, dann wird er durch schwarze Fußabtreter
       gebremst.
       
       Ach, vielleicht ist man doch zu skeptisch geworden. Umringt ist dieser
       Markt von Betonsperren, die aus Polen herangeschafft wurden, Marke „Fiedor
       bis“.
       
       Jeder Winter- oder Was-auch-immer-Markt ist jetzt ein „Ein Jahr nach dem
       Anschlag auf dem Breitscheidplatz“-Markt. Der Wintermarkt von Bergmann
       Eventgastronomie wäre ohne diesen Kontext nicht schöner, keinesfalls
       heimeliger, aber es wird dem Besucher, wenn er einigermaßen bei Sinnen
       bleibt, klar, dass alles anders ist, als es irgendwann mal war.
       
       ## Connie Francis singt
       
       Da gehen ein paar Leute über den Platz, die so aussehen, wie sich eifrige
       Polizisten jemanden vorstellen, der was im Schilde führt, und sie
       kontrollieren sie dann auch gleich. Fast im selben Moment trällert Connie
       Francis „Schöner fremder Mann“ aus der Lautsprecherstele, das man heute,
       mit dem Hintergrund der Nafri-Debatte, nur noch falsch verstehen kann. Oder
       richtig. Alles kompliziert.
       
       Vielleicht macht genau das auch diesen Ort aus: Erst friert man, dann wärmt
       man sich am ersten Glühwein, dann hat man schwarze Gedanken und ersäuft die
       Kompliziertheit der Gesamtlage in weiteren Getränken. Und irgendwann
       taumelt man weg.
       
       28 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Felix Zimmermann
       
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