# taz.de -- Verantwortung anziehen: Wer unser Zeug näht
       
       > Eine Bremerin ist um die Welt gereist, um die Menschen zu finden, die
       > unsere Kleidung herstellen und die Bedingungen ihres Alltags zu
       > protokollieren
       
 (IMG) Bild: Die Näherin verschwindet hinter der Ware: Blick in eine indische Textilfabrik
       
       BREMEN taz| Wer heute mit ruhigem Gewissen durchs Leben geht, der hat
       entweder eine ernste Wahrnehmungsstörung – oder ist ganz schön abgebrüht.
       Schon bei den Klamotten am Leib wird einem ganz anders. Und wer zwischen
       Ausbeutung, Tierleid und Rohstoffkriegen nicht den Verstand verlieren
       möchte, dem bleibt nur: Widersprüche aushalten und ganz genau hinsehen.
       Imke Müller-Hellmann hat das am Beispiel ihrer Kleidung getan und ein Buch
       darüber geschrieben.
       
       Die Bremer Schriftstellerin hat in den Schrank geguckt und sich auf die
       Suche nach den Menschen gemacht, die ihre Textilien herstellen. Ihre
       Lieblingsklamotten wohlgemerkt, nicht die verdächtigsten. In ihrem gerade
       beim Osburg-Verlag erschienenen Buch „Leute machen Kleider – Eine Reise
       durch die globale Textilindustrie“ beschreibt sie ihre Reisen von Bremen in
       die Schwäbische Alb, nach Bangladesch, China und so weiter.
       
       Und in diesem „Wohin?“ steckt bereits das erste Problem, wie
       Müller-Hellmanns E-Mail-Wechsel mit den Produzenten zeigen. Klar, Galeria
       Kaufhof hat kein Problem damit, ihr den Kontakt nach Albstadt in
       Baden-Württemberg zu vermitteln, wo unter geradezu idyllischen Bedingungen
       „Slip Claudia“ genäht wird. Aber so läuft es nicht überall.
       
       Wo man ihr nicht helfen will, versucht sie es auf gut Glück: Sie sucht im
       Netz nach dem Namen eines Geschäftsführers. „Ich denke mir aus, wie seine
       E-Mail-Adresse lauten könnte“, sagt Müller-Hellmann. Die Anfrage kam
       tatsächlich durch. Aber sie erzählt auch von den Reisen, die nicht passiert
       sind. Da werden AnsprechpartnerInnen krank, Mitarbeiterdaten dürfen nicht
       herausgegeben werden oder Produktionen sollen ja eh bald nach Deutschland
       verlagert werden. Warum sie da noch nach Asien lassen? Soll sie doch mit
       einem Manager sprechen, oder mit dem Mützendesigner von hier.
       
       Aber auch das tut sie dann mit echtem Interesse: „Leute machen Kleider“
       handelt von Menschen. Von Reinald Riede zum Beispiel, dem Textilveredler
       hinter dem besagten Schlüpfer namens „Claudia“. Riede macht seinen Job seit
       35 Jahren, brennt für seinen Beruf und bedauert ein bisschen, dass aus dem
       Handwerk heute Industrie geworden ist.
       
       Mit der gleichen Empathie lässt Imke Müller-Hellmann Zhou Chunhong und Wang
       Kaimei sprechen. Und spätestens da wird es dann schwierig mit der Moral.
       Die beiden Näherinnen arbeiten unter harschen Bedingungen, verzichten auf
       ihre eh schon kurzen Pausen, weil man sie pro Stück bezahlt. Das ist
       bitter, klar. Aber nach zwei Jahren fahren auch diese Näherinnen die 1.000
       Kilometer zurück ins Heimatdorf und bauen dort Häuser mit dem Geld von
       Schiesser.
       
       Natürlich könnte man tief Luft holen und vom Kapitalismus ein bisschen
       erzählen, von den Widersprüchen, dem Richtigen im Falschen und so. Imke
       Müller-Hellmann macht das zwar nicht, erzählt auf persönlicher Ebene aber
       eben trotzdem von den vergesellschafteten Zwängen. Und ist es nicht auch
       ein bisschen Entfremdung, wenn zwei chinesische Näherinnen lachend und
       vergeblich versuchen, sich die Brüste vorzustellen, die in diese Kleider
       passen sollen? Aber im Ernst: „Leute machen Kleider“ ist ein unaufgeregtes,
       aber ausgesprochen lesenswertes Buch, das glaubwürdig keinen Skandal sucht,
       aber trotzdem eine weltweite Katastrophe findet.
       
       Ihre Sachlichkeit scheint auch Müller-Hellmanns GesprächspartnerInnen aus
       den Konzernen klar zu sein. Die wünschen nach Absagen zwar fast mechanisch
       „Trotzdem alles Gute für Ihr Projekt“, lassen aber immer wieder doch auch
       echtes Bedauern durchblicken. „Das kann ich nicht entscheiden“, heißt es
       dann: „Wenn die Presseabteilung Nein sagt, verstehen Sie, ich bin ja auch
       an die Unternehmenskultur gebunden.“
       
       Natürlich kommt da viel zusammen: Unternehmen lassen sich schon wegen der
       Konkurrenz nicht gern in die Karten gucken, manche schützen die
       Persönlichkeitsrechte ihrer MitarbeiterInnen und wieder anderen ist der
       organisatorische Aufwand zu groß. Misstrauisch aber macht es einen
       trotzdem.
       
       14 Nov 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jan-Paul Koopmann
       
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