# taz.de -- Fall Yücel vor dem EGMR in Straßburg: Quälend langsam, aber sehr korrekt
       
       > Bis Mitternacht muss sich die Türkei gegenüber dem EGMR zu Deniz Yücel
       > äußern. Aber auch der Gerichtshof steht in dem Fall unter Druck.
       
 (IMG) Bild: Lässt Ankara die Frist im Fall Yücel verstreichen?
       
       BERLIN taz | Wie lange muss Deniz Yücel noch auf seine Freilassung warten?
       Viele Hoffnungen ruhen auf dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
       (EGMR). Am Dienstag schauen die Unterstützer Yücels besonders gespannt nach
       Straßburg, denn um Mitternacht endet die Frist, bis zu der die türkische
       Regierung im Fall Yücel Stellung nehmen soll.
       
       Der Welt-Korrespondent und ehemalige taz-Journalist Deniz Yücel sitzt seit
       Februar in türkischer Haft, zunächst im Polizeigewahrsam, seit Ende Februar
       in Untersuchungshaft. Ihm wird Propaganda für eine terroristische
       Vereinigung und Aufstachelung zum Hass vorgeworfen.
       
       Am 6. April hat Yücel beim EGMR eine Beschwerde gegen seine
       Untersuchungshaft eingereicht. Es gebe keinen konkreten Beweis, dass er
       türkische Strafgesetze verletzt habe. Und er habe keine Möglichkeit, sich
       in der Türkei effektiv gegen diese Inhaftierung zu wehren. Der Gerichtshof
       behandelt die Beschwerde vorrangig, weil es um einen Fall von
       Freiheitsentziehung geht.
       
       Der EGMR spielt eine zentrale Rolle im Umgang der Staatengemeinschaft mit
       der Türkei. Die Türkei ist seit 1949 Mitglied des Europarats, dem heute 47
       Staaten angehören. Damit hat die Türkei auch die Europäische Konvention der
       Menschenrechte akzeptiert. Dazu gehört, dass die Türkei Urteile des
       Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte umsetzt, da er die Einhaltung
       der Konvention kontrolliert.
       
       Der EGMR hat zunächst der türkischen Regierung Gelegenheit zur
       Stellungnahme gegeben. Die Frist läuft am 24. Oktober aus. Bis Mitternacht
       hat die Türkei noch Zeit, ihre Sicht darzustellen. Wenn eine Stellungnahme
       eintrifft, wird diese aber nicht sofort veröffentlicht. Ihr Inhalt wird
       auch nicht vom EGMR mitgeteilt. Die Öffentlichkeit ist zunächst darauf
       angewiesen, dass die türkische Regierung über ihre Stellungnahme
       informiert. Sobald diese Yücels Anwälten zugestellt ist, können auch diese
       informieren. Die Anwälte haben anschließend auch Gelegenheit, auf die
       türkischen Argumente zu antworten. Zudem hat die deutsche Bundesregierung
       eine eigene Stellungnahme angekündigt.
       
       Möglicherweise reicht die Türkei am Dienstag auch noch gar keine
       Stellungnahme zum Fall Yücel ein, sondern stellt nur einen Antrag auf
       Fristverlängerung. So hat sie es im Parallelfall der Journalisten der
       Zeitung Cumhuriyet gemacht. In diesem Fall lief die Frist Anfang Oktober
       aus und wurde auf Antrag um drei Wochen verlängert.
       
       ## Hat Yücel den Rechtsweg in der Türkei ausgeschöpft?
       
       So oder so, es wird noch geraume Zeit vergehen, bis der EGMR über den Fall
       Yücel entscheidet. Möglicherweise wird es vorher noch eine mündliche
       Verhandlung in Straßburg geben. Eilanordnungen im „Rule 39“-Verfahren
       erlässt der Gerichtshof in der Regel nur, wenn Leib und Leben des Klägers
       gefährdet sind.
       
       Die zentrale Frage ist im Yücel-Verfahren zunächst, ob dieser den
       türkischen Rechtsweg ausgeschöpft hat und ausschöpfen musste. Normalerweise
       ist dies die Voraussetzung, um einen Fall nach Straßburg zu tragen.
       
       Hiervon kann nur abgewichen werden, wenn in einem Staat in bestimmten
       Konstellationen die gerichtliche Kontrolle überhaupt nicht funktioniert.
       Derzeit können sich zum Beispiel die Angehörigen von in Tschetschenien
       „Verschwundenen“ direkt an den Straßburger Gerichtshof wenden.
       
       ## Über 30.000 Beschwerden nach dem Putschversuch
       
       Der Gerichtshof ist bei der Gewährung direkten Zugangs aber sehr
       zurückhaltend. Aktuell hat er bereits zweimal türkische Klagen im
       Zusammenhang mit den Säuberungen nach dem Putschversuch als unzulässig
       eingestuft, weil der türkische Rechtsweg noch nicht ausgeschöpft wurde.
       
       Dabei ging es um Entlassungen und Inhaftierungen vermeintlicher
       Gülen-Anhänger aufgrund eines türkischen Regierungsdekrets. So gingen seit
       Juni 2016 in Straßburg 30.900 Beschwerden im Zusammenhang mit türkischen
       Regierungsmaßnahmen nach dem Putschversuch ein. Derzeit sind nur noch 6.600
       anhängig.
       
       Der Gerichtshof ist auch deshalb vorsichtig, weil seine Position derzeit
       insgesamt fragil ist. Staaten wie Russland und Großbritannien stellen schon
       seit Jahren infrage, ob sie sich weiter der Rechtsprechung des EGMR
       unterwerfen wollen. Wenn der EGMR in türkischen Verfahren zu ungestüm
       vorgeht, würde das auch die Kritiker des Gerichtshofs stärken.
       
       Ohnehin besteht die Gefahr, dass die Türkei mißliebige EGMR-Urteile einfach
       ignoriert. Die Türkei könnte sogar aus dem Europarat austreten. Die
       Straßburger Richter achten deshalb gerade in hochpolitischen Verfahren
       darauf, streng nach den Regeln vorzugehen – auch wenn dies den Betroffenen
       quälend langsam und unentschlossen vorkommt.
       
       24 Oct 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Rath
       
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