# taz.de -- Kolumne Nullen und Einsen: Jetzt entscheidet die Drittstimme
       
       > Auf Facebook und Twitter verarbeiten wir die Wahl mit einer
       > Selbstgesprächstherapie. Die zehn wichtigsten Strategien der
       > Trauerarbeit.
       
 (IMG) Bild: Der Schnatterdrang ist kaum zu bremsen
       
       Bei der Bundestagswahl hat jeder zwei Stimmen. Klar. Und nach der
       Bundestagswahl haben alle, die wollen, noch eine Drittstimme. Auf Facebook
       und Twitter. Während die Sache mit der Erst- und der Zweitstimme aber seit
       Sonntag durch ist, geht es mit der Drittstimme erst so richtig los.
       
       Die dient in diesem Jahr eher einer Form aktiver Trauerarbeit. Es ist etwas
       passiert, das zwar alle geahnt haben, aber das trotzdem niemand so recht
       begreifen kann. Es herrscht Hilflosigkeit, man möchte gern IRGENDWAS tun
       und als Ersatzhandlung wird gepostet und getwittert, kommentiert und
       gestritten.
       
       Dabei gibt es verschiedene Strategien der Verarbeitung. Hier die
       wichtigsten.
       
       Entsetzen: Herrscht vor allem in den ersten 15 bis 30 Minuten. Es ist die
       große Zeit des Kackhaufen-Emojis. Und der Ein-Wort-Äußerungen: „Scheiße!“
       „Angst.“ „Uff …“
       
       Pathos: Seit Sonntag ist wieder 1933. Mindestens. Es ist ernst! Einige
       haben geweint. Und es sind genug Tucholsky- und Zeitzeugen-Zitate für alle
       da.
       
       Aktionismus: Leute, merkt ihr eigentlich, was hier gerade abgeht??? Wir
       müssen JETZT echt aufwachen, dürfen nicht länger nur zuschauen, es muss
       etwas passieren, denn so kann es nicht weitergehen! Was bloß nie jemand
       weiß: Wie denn sonst?
       
       Schuldigensuche: Erster Verdächtiger am Wahlabend: der ostdeutsche Mann.
       Über ihn wird noch zu reden sein. Über Männer allgemein! Ebenfalls
       verdächtig: die Medien, die der AfD viel zu viel Raum gegeben haben. Dieser
       Vorwurf wird übrigens besonders gern von anderen Medienleuten gemacht.
       
       Gruppenbildung: Gemeinsam sind wir stärker als die. Das schafft
       Geborgenheit. Wir sind die #87prozent. Und besuchen gemeinsam
       Facebook-Events wie [1][„Auszug der AfD aus dem Bundestag“], angelegt für
       September 2021.
       
       Optimismus: Denn, jetzt, wo sie im Parlament sind, werden sie sich schnell
       selbst entzaubern! Hat ja mit Frauke Petry auch schon begonnen. In vier
       Jahren ist der Spuk vorbei. Das kennen wir z.B. aus Österreich, Frankreich
       und den Niederlanden.
       
       Distanzierung I: Okay, es gibt jetzt offiziell 5.877.094 Nazis in
       Deutschland. Und mit Nazis diskutiert man nicht. Kein Aber! Außerdem haben
       die alle kleine Penisse. Und ein total unterkomplexes Weltbild.
       
       Distanzierung II: Dank Datenjournalismus finden sich inzwischen diverse
       mikrogenaue Ergebniskarten. Dort einfach den eigenen Stimmbezirk suchen,
       einen Screenshot machen und den posten. „In FHain-Xberg 1 bleibt die AfD
       unter 5 Prozent.“ „So stolz auf meinen Kiez!“ „Hättet ihr nicht alle so
       abstimmen können?“ Das können wir später mal unseren Enkeln zeigen.
       
       Humor: Wenn nichts mehr geht, geht Galgenhumor. Witze über [2][Gaulands
       Krawattenmuster] (Jagdhunde), [3][über 88 AfD-Sitze] in der Hochrechnung
       und …. was ist denn los? Warum lachen Sie denn gar nicht?
       
       Metadiskussionen: Das kommt jetzt als nächstes. Denn mit niemandem lässt
       sich verbissener und zeitaufwändiger streiten als mit Leuten, mit denen man
       FAST einer Meinung ist. Der Pathosfraktion kann man vorwerfen, die NS-Zeit
       zu verharmlosen oder einfach: „Kommt mal runter, geht's noch ne Nummer
       größer?“. Gegenreaktion: Du hast den Schuss nicht gehört. An die
       Humorfraktion: „Wer jetzt noch Witze machen kann, ist privilegiert.“ Große
       Frage außerdem: Gräben vertiefen oder zuschütten? Dialog oder Isolation?
       Dass dieses Thema schon hundertmal besprochen wurde – geschenkt. Die
       Arroganz gegenüber „dem ostdeutschen Mann“ kann man dann auch gleich
       diskutieren.
       
       Und überhaupt: Muss man sich jetzt ernsthaft darüber lustig machen, ob und
       wie andere das Wahlergebnis verarbeiten? Das sollte doch wirklich jeder
       selbst entscheiden dürfen.
       
       26 Sep 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.facebook.com/events/1565573183465929/
 (DIR) [2] https://twitter.com/freelancepolice/status/911988373404995584
 (DIR) [3] https://twitter.com/donotsofficial/status/911996668207403008
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Brake
       
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