# taz.de -- Berlinale Gewinner-Film im Kino: Tiere schlachten, Liebe finden
       
       > Liebe können Hirsche besser als Menschen – zumindest in diesem Film.
       > „Körper und Seele“ ist nichts für schwache Nerven, Blut fließt reichlich.
       
 (IMG) Bild: Die Hauptfiguren begegen sich in ihren Träumen – als Hirsche
       
       Sonnenlicht tut wohl. Einmal reckt Endre (Morcssányi Géza) sein Gesicht,
       das trotz Alter markant geblieben ist, in die Sonne und genießt. Mária
       steht (Alexandra Borbély) im gleißenden Licht, das in ihre Wohnung fällt,
       und lässt sich von der Sonne bescheinen. Es ist ein metaphysisches
       Leuchten, das tiefer dringt als nur bis zur Hautoberfläche. Und das ist
       auch nötig, denn in Endre und Mária friert es.
       
       Ildikó Enyedis Vorhaben, es beiden ein wenig wärmer zu machen, wurde zum
       Abschluss der Berlinale mit einem Goldenen Bären gelobt. Träume sind in dem
       Film der ungarischen Regisseurin nächtliche Vorboten von Schnee und Eis,
       aber auch von Verbundenheit und Partnerschaft. Mária und Endre passiert
       etwas Seltsames: Beide finden sich in derselben Traumwelt wieder.
       
       In ihr sind sie ein Paar, allerdings kein menschliches. Endre ist ein
       Hirsch; Mária eine Hirschkuh. Gemeinsam schaben sie nach verbliebenem
       Blattgrün, das sich unterm Schnee verborgen hält. Manchmal stupsen sie sich
       dabei an. Ein eingeschworenes Leben im Wald, das sich Nacht für Nacht
       wiederholt.
       
       Diese Traumebene ermöglicht der Filmemacherin Freiheit. Allein die
       Etablierung dieses sonderbaren Vorgangs – zwei Menschen teilen nachts ein
       gemeinsames Leben in Tierkörpern – öffnet die Tür für die ein oder andere
       Unmöglichkeit oder Verstärkung. Denn Enyedi legt als Künstlerin Wert auf
       eine Vielfalt der Wahrnehmung.
       
       ## Sensibel und schreckhaft wie Paarhufer
       
       Wie Menschen Wasserhähne auf- und zudrehen oder ihre Fischstäbchen auf dem
       Teller arrangieren, das ist ihr in „Körper und Seele“ wichtig. Oder dass
       sie sich abends entschließen, den Fernseher auszustellen und nach ein paar
       Minuten der Stille dann doch wieder an.
       
       Aber nicht nur Enyedi ist an derlei Details gelegen – ihr ganzer Film ist
       von Menschen mit feinem Beobachtungsapparat bewohnt. Hypersensible
       Kreaturen – wie Paarhufer, leicht zu verschrecken, scheu. Wenn Endre etwa
       beim Gespräch mit einer Psychologin deren Brüste anschielt, als sich diese
       gerade seitwärts dreht, und von ihr sogleich angezählt wird, dann zeugt
       das, zum Leidwesen Endres, doch von einem gewissen Gespür.
       
       Um Gespür, obgleich anderer Ausprägung, geht es auch Endre. Er ist der
       Finanzdirektor eines ungarischen Schlachthofs und will wissen, wer sich
       zwischen Schlachthalle und Kantine herumtreibt. Als ein junger Mann in
       seinem Büro vorstellig wird, fragt Endre ihn, wie es ihm denn erginge mit
       dem ganzen Blut und den sterbenden Tieren.
       
       Das störe ihn keineswegs, und die Tiere bedauere er ebenfalls nicht. Endre
       ist hingegen der Ansicht, man müsse den Tod eines jeden Tiers bedauern,
       denn nur so könne man diesen Arbeitsort nervlich überhaupt ertragen.
       
       ## Die blasse Blonde prüft die Qualität
       
       Auch Mária steht unter Endres Beobachtung. Sie wurde von höherer Stelle in
       den Betrieb geschickt, um die Qualität des Fleischs zu prüfen. Isoliert
       hockt die blasse Blonde vor einem Bildschirm im Dunkeln und geht ihrer
       Arbeit nach. Das gemeinschaftliche Miteinander meidet sie, ihr Mittagessen
       nimmt sie lieber allein zu sich. Beliebt macht sie sich mit diesem als
       absonderlich empfundenen Verhalten nicht. Aber sie weckt Endres Neugier.
       
       Auch Mária ist interessiert an Endre, obwohl sie es nicht zeigen kann. Nach
       der Erstbegegnung in der Kantine (es gab Sauerampfer), sitzt sie in der
       Küche ihrer Wohnung und stellt das Gespräch mit Salz- und Pfefferstreuer
       nach: „Jetzt sollte ich etwas antworten, und schon würden wir uns
       unterhalten.“ Aber Mária misslingt der lockere Austausch – innerlich
       wirbelt es; äußerlich herrscht Starre.
       
       Innen und außen zu synchronisieren, das ist die Herausforderung, vor der
       Mária und Endre stehen und die gleichzeitig Thema wie Klippe dieses Films
       sind. Denn eine Vermittlung gelingt nicht einfach so: beim Traum-Paar
       nicht, filmisch nicht und auch nicht im echten Leben. Ildikó Enyedi
       beschreibt diese Schwierigkeit mit stärkerer Hingabe zum Bild als zum Wort
       – also strömt das Wasser immer wieder aus den Hähnen oder das Blut aus den
       Körpern, menschlichen wie tierischen.
       
       „Körper und Seele“ fordert auf, filmisch zu sehen. Das kann eine schöne
       Erfahrung sein, ist man eines Kinos müde, das sich zu sehr aufs Sprechen
       verlässt. Immerhin kommt das Schlüsselstück selbst, der Traum, ganz ohne
       Worte aus. Dafür fungiert er als Scharnier zwischen Körper und Seele.
       
       ## Es wirkt misstrauisch machend milde
       
       Einen Twist, damit er nach außen gelangen kann, um dort seine Wirkung zu
       entfalten, braucht es dennoch: Jemand vom Schlachthof hat potenzsteigerndes
       Ochsenpulver entwendet; die Psychologin mit dem ansehnlichen Busen kommt,
       um herauszufinden, wer es gewesen ist. Und wem, wenn nicht einer
       Psychologin, erzählt man seine Träume?
       
       Auch Enyedis Montagen schlängeln: Musterhaft enthält die Eröffnungssequenz
       vom unberührten Traum-Wald, über den Schlachthof und einzelne Protagonisten
       alles, was im Film wichtig werden könnte. Brutalität ist immanent, wenn
       auch zunächst verdeckt. Es wirkt misstrauisch machend milde, dass die
       Regisseurin einige nett aussehende, lebendige Rinder zeigt, die recht bald
       darauf sauber zertrennt, ausgeblutet und aufgefädelt durch die Halle
       gefahren werden – den Vorgang der Tötung hebt sich Enyedi nämlich für
       später auf. Wie „Körper und Seele“ grundsätzlich auf die Varianz einiger
       bestimmter Motive setzt und diese im Verlauf des Films „lediglich“
       unterschiedlich laut oder leise stimmt.
       
       Der Film erweckt damit den Eindruck von Virtuosität und entwickelt eine
       Kraft, die etwas Merkwürdiges hat, denn sie lässt gleichsam kühl, ist kühl.
       Eine Kühle, die an Giorgos Lanthimos’ „The Lobster“ erinnert, jenem
       Gedankenexperiment, in dem sich Menschen in Tiere verwandelten, sollten sie
       es bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht geschafft haben, einen Partner
       zu finden.
       
       Doch wo Lanthimos seinen Pessimismus mit trockenem Humor flankierte, auf
       den sich viele einigen konnten und wollten, setzt Enyedi schließlich doch
       recht klassisch auf das alles überwindende Potenzial der Liebe, bei der
       Körper und Seele miteinander verschmelzen, und das gerade noch rechtzeitig.
       Dabei kommt Mária erstmals mit jener Art von Magie in Kontakt, während
       Endre sich als Veteran offenbart. Die Liebe ist es, die Mária von einer
       Angeleuchteten zur Leuchtenden macht.
       
       Der Prozess bis zu diesem Punkt durchläuft all die Stationen, die Stendhal
       in seiner 1822 erschienenen Liebestheorie „Über die Liebe“ als
       „Kristallisation“ bezeichnete. Erst sie bringt das Blut ins Fließen, jenen
       Lebenssaft, an dem es ganz zu Anfang fehlte und von dem Enyedi später gar
       nicht genug kriegen kann.
       
       20 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Carolin Weidner
       
       ## TAGS
       
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 (DIR) Spielfilm
 (DIR) Schwerpunkt Filmfestspiele Venedig
 (DIR) taz.gazete
       
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