# taz.de -- Abstimmung über Unabhängigkeit: Kalter Wind in Kurdistan
       
       > Ein eigener Staat für die Kurden? Der Nordirak will über die
       > Unabhängigkeit abstimmen. Verhindern will das nicht nur die
       > Zentralregierung in Bagdad.
       
 (IMG) Bild: Viele Kurden – wie diese in der nordirakischen Stadt Duhuk – sind für die Unabhängigkeit
       
       Suleimaniya taz | Selim Shemeri hat sich für diesen Tag extra schick
       gemacht. Masud Barzani, der Präsident der Region Kurdistan, des kurdischen
       Teilstaats im Nordirak, tritt in Suleimaniya auf. Dafür hat sich Shemeri in
       eine sandfarbene Pluderhose, dazu gehörige Weste und eine passende Schärpe
       geschmissen.
       
       Der rundliche Kurde mit dem schütteren Haar war gerade einmal 16 Jahre alt,
       als er sich den Peschmerga anschloss. Dreißig Jahre ist das inzwischen her,
       seitdem hat er in fast allen Kriegen gekämpft und musste erleben, wie das
       Regime des ehemaligen Despoten Saddam Hussein seine Heimatstadt Halabja mit
       Giftgas bombardierte, unter den Tausenden von Toten waren auch nahe
       Verwandte. „Seit der Gründung des Iraks 1920 haben wir nichts als Gewalt
       und Zerstörung erlebt, egal wer in Bagdad an der Macht war“, sagt Shemeri.
       
       Damit solle endlich Schluss sein, verspricht Präsident Barzani. Geht es
       nach ihm, werden die Kurden am Montag über die Unabhängigkeit abstimmen.
       Tausende füllen das Fußballstadion in Suleimaniya, viele schwenken die
       rot-weiß-grüne irakisch-kurdisch Trikolore mit der gelben Sonne, andere
       tragen Schals, auf denen „Kurdistan“ oder „Peschmerga“ steht.
       
       „Seit 100 Jahren sagen wir dem Irak: Lasst uns Partner sein, aber sie
       lehnen das ab“, ruft Barzani ins Mikrofon. Er wolle keinen Konflikt mit
       Bagdad, aber: „Lasst uns von nun an gute Nachbarn in zwei Staaten sein.“
       „Bizhi Serok“, brüllt die Menge. „Hoch lebe der Präsident.“
       
       ## Drohungen von allen Seiten
       
       Die irakische Zentralregierung in Bagdad lehnt das Referendum ab, das
       höchste Gericht hat es als Verstoß gegen die Verfassung bezeichnet. Auch
       aus dem Ausland bläst Barzani ein kalter Wind entgegen. Die Türkei und Iran
       machen Druck wegen der Signalwirkung, die das Referendum für die Kurden in
       ihren Ländern haben könnte. Amerikaner, Europäer, die Saudis und die
       Arabische Liga sind dagegen. Sie fordern, dass Bagdad und Erbil ihre
       Konflikte am Verhandlungstisch lösen.
       
       Washington droht, das Referendum könne die Kurden teuer zu stehen kommen.
       In diesem Fall gebe es auch keine internationale Unterstützung für die
       Gespräche zwischen Erbil und Bagdad, sagte die Sprecherin des
       US-Außenministeriums kurz nach Barzanis Auftritt in Suleimaniya.
       
       Die Amerikaner waren die Geburtshelfer der jetzigen Verfassung, die 2005
       verabschiedet wurde und den irakischen Kurden so viele Rechte bescherte wie
       noch nie in ihrer Geschichte. Doch viele strittige Fragen wurden auf später
       verschoben, allen voran der Erdölemetropole Kirkuk und anderer umstrittener
       Gebiete sowie der Teilung der Erdöleinnahmen.
       
       ## „Kirkuk gehört uns allen“
       
       Der Kampf gegen die Extremisten des „Islamischen Staats“ (IS) hat beide
       Seiten vorübergehend zusammengeschweißt. Damit ist es vorbei, obwohl der
       der IS noch nicht völlig geschlagen ist. In Hawija nahe Kirkuk, einer der
       letzten IS-Hochburgen, sind irakische Truppen und schiitische Milizionäre
       aufmarschiert. Die Kurden haben Peschmerga verlegt, aber nicht, um gegen
       den IS zu kämpfen. Sie sollen verhindern, dass die Iraker nach Kirkuk
       vorrücken, Zusammenstöße wären unvermeidlich, genau das fürchten die
       Amerikaner und ihre Verbündeten.
       
       Nicht ohne Grund: In Kirkuk sind die Spannungen zwischen Arabern, Kurden
       und der starken Minderheit der Turkmenen gestiegen. Anfang der Woche gab es
       zwei Tote. „Hoffentlich bleibt es friedlich“, sagt ein turkmenischer
       Händler. „Wir wollen keinen Krieg mit den Kurden, aber Kirkuk gehört uns
       allen, nicht bloß ihnen.“
       
       Am Donnerstag schickte Barzani eine Verhandlungsdelegation nach Bagdad. Der
       irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi sei nicht das Problem, sagt
       Saadi Ahmed Pire, der an der ersten Gesprächsrunde Ende August teilnahm.
       Pires Patriotische Union Kurdistan (PUK) steht in der Referendumsfrage
       hinter Barzani. Die Kurden fürchteten jedoch die schiitischen Milizen. „Wir
       wollen Garantien für unsere Sicherheit und Abadis Versprechen müssen in die
       Tat umgesetzt werden.“
       
       Mit dem Unabhängigkeitsreferendum haben die Kurden freilich die Hardliner
       in Abadis eigenem schiitischen Lager gestärkt, und das wenige Monate vor
       der nächsten Parlamentswahl. Der Irak, die Türkei und Iran haben mit
       „koordnierten Gegenmaßnahmen“ gedroht, sollte das Referendum stattfinden.
       Barzanis Demokratische Partei Kurdistans (KDP) und der PUK wischen das als
       leere Drohung beiseite.
       
       „Die Türkei schneidet sich ins eigene Fleisch“, sagt der Geschäftsmann
       Safwan Kadir. „Sie ist auf den Handel und die Ölexporte aus Kurdistan
       genauso angewiesen wie wir.“ Der 33-Jährige hat er in einem Dorf nahe der
       Regionalhauptstadt Erbil eine Wahlparty organisiert, eine Band spielt, aus
       völlig übersteuerten Lautsprechern dröhnt ein kurdischer Nationalsong.
       Dutzende solcher Parties gibt es in den von der KDP kontrollierten
       Gebieten. In Erbil werben riesige Banner für ein „Ja zur Unabhängigkeit“.
       
       Von derlei Eifer kann östlich von Erbil, an der Grenze zum Iran, keine Rede
       sein. Hier dominieren PUK und die Oppositionspartei Goran. „Wir wollen
       einen eigenen Staat“, beteuert Goran-Sprecher Hama Tofik. Das hätten die
       Kurden bereits 2005 deutlich gemacht, als sie in einem inoffiziellen
       Referendum 96 Prozent mit Ja stimmten. Auch der Peschmerga-Veteran hat
       dafür gekämpft. Doch die Zeit für ein unabhängiges Kurdistan sei noch nicht
       reif, sagt Tofik. „Erst einmal müssen wir die Grundlagen schaffen: starke
       Sicherheitskräfte und eine starke Wirtschaft, funktionierende Institutionen
       und gute diplomatische Beziehungen.“ Mit all dem hapert es in
       Irakisch-Kurdistan gewaltig.
       
       Präsident Barzani hat Goran im Streit um das Ende seines offiziellen
       Mandats vor zwei Jahren aus dem Parlament geworfen. Barzani gehe auch jetzt
       nur um die Sicherung seiner Macht, sagt Tofik. Selbst Peschmerga-Kämpfer
       Selim Shemeri ist sich seiner Sache nicht ganz sicher. „Wir müssen erst
       einmal untereinander einig sein“, sagt er. „Dann können wir Unabhängigkeit
       fordern. Und wir brauchen die Unterstützung von starken Ländern wie Amerika
       oder Deutschland. Sonst könnten wir mehr verlieren als gewinnen.“
       
       22 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Inga Rogg
       
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