# taz.de -- Danièle Huillet und Jean-Marie Straub: In den großen Filmen liegt Ruhe
       
       > In Berlin sind die Werke von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub wieder
       > zu entdecken. Mit Retrospektive, Ausstellung und Gesprächen.
       
 (IMG) Bild: Jede Zeile für sich sprechen: Giorgio Barrata in „Der Tod des Empedokles“ (1986)
       
       Die Filme von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub dringen durch alle
       Phasen der dem Kino eigenen Bewegung zu jener Ruhe vor, die den großen
       Kunstwerken zugrunde liegt. Diese Ruhe hat mit der Art des Sprechens der
       Personen zu tun und mit dem Licht: damit, wie bei den Innenaufnahmen das
       Licht durch die Fenster hereinkommt. Unvergesslich bleibt mir in dieser
       Hinsicht „Chronik der Anna Magdalena Bach“ (1967): Man hat immer den
       Eindruck von einem Drinnen und zugleich einem Draußen, auf das hin der Film
       sich öffnet.
       
       Dieses Hinausgehen aus dem Film auf ein anderes zu, das jenseits des Films
       liegt, war bedeutsam für Straub/Huillet. Sie wurden nicht müde, den
       Unterschied zwischen Licht und Beleuchtung in Filmen hervorzuheben,
       insofern diese den Innenraum isoliert und jenes ihn transparent auf das
       Außen hin macht.
       
       Die ersten Filme aus ihrer Münchener Zeit sind früh nicht nur ihrem
       biografischen Ort nach. In ihnen spiegelt sich Frühe, bekundet sich von
       Anfang an eine völlig originale Substanz. „Nicht versöhnt“ (1964), nach
       Heinrich Bölls Roman „Billard um halb zehn“, wurde nur von wenigen als ein
       stürmischer und berauschender Angriff empfunden, dem sie sich gern ergaben.
       Für andere, wie mich, hatte dieser buchstäblich traumhafte Film jene
       langsam einsickernde Schönheit, die wir fast unbemerkt mit uns forttragen,
       bis sie uns am Ende ganz in Besitz nimmt.
       
       Im Vordergrund steht der physische Eindruck, das macht „Nicht versöhnt“ so
       stark. Erst nach und nach erschließt sich der Sinn, der Zusammenhang, in
       dem ein Bild, ein gesprochener Satz, eine Szene steht. Schließlich kommen
       wir aber dahin, diese Geschichte dreier Generationen einer rheinischen
       Architektenfamilie nicht in den Kategorien eines zeitlichen Verlaufs auf
       uns wirken zu lassen, sondern gleichsam räumlich, simultan: die Gegenwart
       des Vergangenen.
       
       Bis in ihre letzte Schaffenszeit wahrten und wahren Danièle Huillet (sie
       starb 2006) und Jean-Marie Straub die Merkmale ihres gemeinsamen, in
       stetiger lernender Erneuerung beschrittenen Lebenswegs. Dessen Stationen
       sind abzulesen an den großen Namen von Schriftstellern, Musikern und
       Malern, deren Werke sie zum Gegenstand ihrer Filme machten; an den
       Landschaften und Städten, die die beiden Filmemacher bewohnten. Sie selbst
       wurden zeitweise von denen bewohnt, deren Bücher sie lasen, deren Bilder
       sie sahen, deren Musik sie hörten. Ich stelle mir das wirklich als eine Art
       Einverleibung vor.
       
       ## Energie und Kraft
       
       In ihren Filmen nach Kafka, Hölderlin, Brecht, Pavese, Corneille und
       anderen verbinden sich erdnahe Energie und Kraft mit vereinsamt anmutender
       Bewusstheit und Kulturreife. Alle jene Musiken, Bücher und Bilder haben in
       Straub und Huillet etwas ausgelöst.
       
       Dazu kommt die Dankbarkeit für das Empfangene, verbunden mit der Lust,
       selber etwas Schönes auf die Leinwand zu bringen. Entsprechend behandelten
       sie ihre Buchvorlagen: Sie wurden nicht durch den Fleischwolf der Adaption,
       ‚Verfilmung‘ genannt, gedreht, sondern als die Literatur, die sie sind, im
       Medium des Films zum Klingen gebracht.
       
       „Der Tod des Empedokles“ (1986, nach Hölderlin): Nicht dem Sinn gemäß wird
       gesprochen, sondern jede Zeile für sich. So kommen Einschnitte im
       Sprachfluss zustande, die von den Zuhörenden zu überspringen sind. Dazu
       Straub: „Auch sind die Bewegungen, die ein Pferd beim Springen macht,
       schöner, wenn man die Hürde dabei sieht, über die das Pferd springt.“ Und
       Klaus Heinrich: „Hörbar folgt hier Zeile auf Zeile, und der Text bekommt
       auf diese Weise die Beschaffenheit eines sozusagen unablässig Kinetischen.
       Also Hölderlin ist das Kino.“
       
       ## Randfiguren der Gesellschaft
       
       „Der Bräutigam, die Komödiantin und der Zuhälter“ (1968): Hier werden die
       unterste Kolportage und die Randfiguren der Gesellschaft transparent zu den
       obersten Bedeutungen hin. Zu den schönsten Stellen gehört der Wechselgesang
       zwischen Braut und Bräutigam, „Das Lied der Liebe“, gesprochen von zwei
       Menschen von heute, aber zurückgehend auf den mittelalterlichen Dichter
       Juan de la Cruz. Hier erscheint eine höhere Ordnung der Dinge.
       
       Bei Straub/Huillet regiert der Affekt, die Lust an erhöhten, weit
       gespannten Stimmungen, die Nebeneinanderstellung der Ekstase und des
       Naiven. Juan de la Cruz war ein Mystiker, bei ihm ging es um die
       Vereinigung mit Gott. Die Religion hat man zwar aufgegeben, nicht aber die
       durch sie erworbenen Gemütssteigerungen und Erhebungen. Sie bleiben
       kennzeichnend durch das gesamte Œuvre Straubs und Huillets hindurch.
       
       13 Sep 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Peter Nau
       
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