# taz.de -- Mitbestimmung bei Landesgesellschaften: Kritische Mieter sind nicht erwünscht
       
       > Bei den Wohnungsbaugesellschaften sollen Mieterräte mitreden – aber als
       > unbequem eingeschätzte Bewerber wurden ausgesiebt, bestätigt ein Bericht.
       
 (IMG) Bild: Demonstration gegen steigende Mieten im Februar 2017
       
       Keine Frage: Lion Becker ist ein engagierter Mieter. Der 43-Jährige lebt in
       einer Wohnung der Gesobau in Pankow. Als die Wohnungsbaugesellschaft 2012
       die Häuser in seiner Nachbarschaft zu sanieren begann, wehrte er sich. „Die
       Modernisierungen führen nur dazu, die Mieten nach oben zu treiben“, ist er
       überzeugt. Um den Mietern eine Stimme zu geben, wollte er im vergangenen
       Jahr auch für die neuen Mieterräte kandidieren – wurde aber als Bewerber
       nicht zugelassen. „Leute aus der Wahlkommission wollten mich nicht. Sie
       sagten, ich wiegele auf, ich mache Ärger“, erzählt er.
       
       Die Mieterräte bei den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften waren ein
       Ergebnis der Verhandlungen zwischen dem Senat und der Initiative für einen
       Mietenvolksentscheid: Die Mieter sollen dadurch stärker in den Unternehmen
       mitbestimmen können, gerade bei Neubauten und Modernisierungen. Dass
       Bewerber wie Becker gar nicht erst zur Wahl zugelassen wurden, sorgte
       bereits 2016 für Ärger. Im Koalitionsvertrag verständigte sich Rot-Rot-Grün
       deswegen darauf, die Wahlen evaluieren zu lassen.
       
       Das ist inzwischen geschehen. Ein interner Bericht, der der taz vorliegt,
       zeichnet den Ablauf der Wahlen auf 55 Seiten nach. Er bleibt an vielen
       Stellen beschreibend und hält sich mit einer eigenen Bewertung zurück. Den
       zentralen Vorwurf bestätigt er aber zumindest zum Teil.
       
       Insgesamt 104 BewerberInnen wurden dem Bericht zufolge nicht zu den
       Mieterratswahlen zugelassen. Die Wahlkommissionen, die darüber
       entschieden, setzten sich mehrheitlich aus Mietern und je zwei
       Beschäftigten der Wohnungsbaugesellschaften zusammen. Manche BewerberInnen
       schlossen die Kommissionen aufgrund formaler Fehler aus, andere wurden mit
       schwammigen Formulierungen abgelehnt. Aus datenschutzrechtlichen Gründen
       wussten zum Teil aber nur die Vertreter der Wohnungsbaugesellschaften in
       den Wahlkommissionen, warum man die Betroffenen abwies.
       
       ## Kandidaten als „Störer“ empfunden
       
       Ein Passus der Wahlordnung tauchte in den Bescheiden immer wieder auf: Die
       jeweilige Person sei nicht geeignet, weil „schwerwiegende Verstöße gegen
       das friedliche Zusammenleben oder gegen die Hausordnung oder nachhaltige
       Verletzungen der mietvertraglichen Pflichten vorliegen“. Darunter wurden
       offenbar auch Mietrückstände verstanden. Laut Berliner Zeitung handelte es
       sich dabei teils nur um Beträge von 10 Euro pro Monat.
       
       Wie Becker vermuten auch andere Betroffene, dass sie den Unternehmen in der
       Vergangenheit zu unbequem waren. Einige hatten sich wie er gegen
       Modernisierungen gewehrt. Eine Mieterin der Degewo hatte sich gegen eine
       Müllabsauganlage engagiert. Der Bericht bewertet das nicht, zitiert aber
       Mitglieder der Wahlkommission bei der Gesobau: Sie hätten abgewiesene
       Kandidaten als „Störer“ empfunden, heißt es – die BewerberInnen waren der
       Kommission also tatsächlich zu kritisch.
       
       Becker wehrte sich gegen seinen Ausschluss. Die Kommission lud ihn zur
       Anhörung – und lehnte ihn danach erneut ab. Für die Anhörung hatten die
       Vertreter der Gesobau – anders als bei anderen Unternehmen – umfangreiche
       Informationen zu seiner Person an die Wahlkommission gegeben, erzählt
       Becker.
       
       Dafür holten sie zwar seine Zustimmung ein. Diese Praxis sei aber trotzdem
       unzulässig, bemängelte die Datenschutzbeauftragte des Landes, Maja
       Smoltczyk, in ihrem Jahresbericht. Selbst mit dem Einverständnis des
       Mieters dürften nicht alle Informationen aus der Mieterakte verwendet
       werden, sondern nur solche, die für die Wahlordnung relevant seien. „Ob die
       Betroffenen sich an Mieterprotesten beteiligt oder sich kritisch geäußert
       haben, gehört jedenfalls nicht dazu.“
       
       Der Bericht widmet einen Abschnitt auch dem Vorwurf von Mietern am
       Ernst-Thälmann-Park in Prenzlauer Berg, die Gewobag habe Wahlunterlagen
       nicht an alle Haushalte verschickt. Ein als kritisch bekannter Kandidat
       habe deshalb nicht in den Mieterrat kommen können. Die Wahlkommission
       erkannte diese Beschwerde nicht an. Sie sei nicht überzeugt gewesen, dass
       ein Zustellfehler vorlag, heißt es im Bericht.
       
       ## Viele Unregelmäßigkeiten
       
       Der Bericht wurde im zuständigen Fachbeirat mehrfach diskutiert. Er habe
       „zahlreiche Unregelmäßigkeiten bei der Durchführung der Mieterratswahlen
       aufgezeigt“, lässt er in einer Stellungnahme verlauten. Auf der Grundlage
       der vorliegenden Informationen könne weder gezeigt werden, dass die Wahlen
       korrekt abliefen, noch dass das Gegenteil der Fall gewesen sei. Betont wird
       allerdings: „Diese Situation ist eine schwere Hypothek für die
       Glaubwürdigkeit der gewählten Mieterräte“.
       
       Trotzdem gibt es vermutlich keine Konsequenzen für die vergangenen Wahlen.
       In dem Gremium haben sich die Vertreter der Wohnungsbaugesellschaften
       durchgesetzt: Die Wahlen sollen trotz der Vorwürfe nicht wiederholt werden.
       Der Beirat schlägt lediglich vor, die Wahlordnung so zu verändern, dass es
       in Zukunft nicht mehr zu strittigen Ausschlüssen kommen kann. Das ist auch
       die Empfehlung für Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher
       (Linkspartei). Es gilt als unwahrscheinlich, dass sie dem Vorschlag nicht
       folgt.
       
       Mietervertreter sind mit dem Beschluss des Fachbeirats nicht zufrieden. Der
       Stadtforscher Matthias Bernt, der selbst in dem Gremium sitzt und sich auch
       bei der Initiative Mietenvolksentscheid engagiert, hatte eine Wiederholung
       der strittigen Wahlen beantragt. „Nur so hätte man gezeigt, dass man es mit
       der Demokratisierung der Wohnungsbaugesellschaften ernst meint.“
       
       Auch Gesobau-Mieter Lion Becker ist enttäuscht. Er sagt: „Die Wahlen wurden
       gesteuert. Sie müssen wiederholt werden.“
       
       25 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Antje Lang-Lendorff
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Wohnungsbaugesellschaften
 (DIR) Mieten
 (DIR) Mitbestimmung
 (DIR) Andrej Holm
 (DIR) Abgeordnetenhauswahlen 2016
 (DIR) Pankow
 (DIR) Berlin
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Mieterratswahlen in der Kritik: Mieterräte bleiben, wie sie sind
       
       Der Senat bestätigt Unregelmäßigkeiten bei den Mieterratswahlen: „Mietern
       Unrecht getan“. Eine Wiederholung der Wahl wird es aber nicht geben.
       
 (DIR) Wahlparty der SPD: SPD feiert schlechtestes Ergebnis
       
       So sehen Sieger aus im Jahr 2016: Immerhin ist die Partei besser als
       Noch-Koalitionspartner CDU, trösten sich die Anhänger der SPD.
       
 (DIR) Landeseigene Wohnungsgesellschaften: Kritiker sind unerwünscht
       
       Bis zum 8. September sollen in den landeseigenen Wohnungsgesellschaften
       Mieterräte gewählt werden. Doch 108 Kandidaten wurden nicht zur Wahl
       zugelassen.
       
 (DIR) Neues Volksbegehren in Berlin: Mehr Mietbestimmung
       
       Ein Bündnis will mit einem Volksentscheid durchsetzen, dass die Mieten in
       400.000 Wohnungen gedeckelt werden. Die Abstimmung könnte parallel zur Wahl
       2016 stattfinden.