# taz.de -- Spielfilm „Träum was Schönes“: Ein sehr kurzer Moment der Freiheit
       
       > Marco Bellocchios „Träum was Schönes“ hat einen allzu romanhaften Hang
       > zur Vollständigkeit und zum lückenlosen Bild.
       
 (IMG) Bild: Urlaub von der Mutter: Bérénice Bejo und Valerio Mastandrea
       
       Ein Mann schreit „Nein“ in der Stille der Nacht. Massimo, sieben Jahre alt,
       schreckt hoch aus dem Schlaf. Er begreift nicht, was geschah – und der Film
       zeigt es dann auch nicht. Männer kommen, der Vater, der schrie, geht mit
       den Männern, der Priester erzählt, dass Massimos Mutter jetzt als
       Schutzengel auf ihn aufpasst.
       
       Der Tod der Mutter ist das Trauma, das Massimos Leben, und nicht nur
       Massimos Leben, sondern auch Marco Bellocchios Film „Träum was Schönes“
       strukturiert. Der Tod und mehr noch die Lücke, die bleibt, die
       Deckerzählung vom plötzlichen Herzinfarkt fesseln Massimo an dieses
       Ereignis. Nicht dass er die Geschichte glaubt, die ihm erzählt wird. Nur
       wahrhaben will er nicht, dass die schwer kranke Mutter ihn durch Selbstmord
       im Stich ließ.
       
       Der Film, nach einem Roman, ist romanhaft erzählt. Bellocchio blendet
       elegant, ja mühelos in der Geschichte vor und zurück. Jahreszahlen geben
       hier und da Anhalt. Des Jungen Begeisterung für den Fußball verdankt sich
       der Lage der Wohnung mit Blick auf das Stadion in Turin. Biografisches
       Erzählen nach Art der So-was-kommt-von-so-was-Teleologie.
       
       Im Großen und Ganzen bleibt das unaufdringlich genug, Massimo wird
       Sportjournalist bei La Stampa, ein Könner, weitere Episoden werden lose
       aneinandergereiht. Der Jugendfreund, dem es zu gut geht, mit seiner Mutter,
       die ihm alles erlaubt: toller kurzer Auftritt von Emmanuelle Devos. Wie sie
       auftaucht, verschwindet sie wieder.
       
       Ihm und ihr und allen erzählt Massimo, dass seine Mutter noch lebt, im
       fernen New York. Wenn der Film einen allzu romanhaften Hang zur
       Vollständigkeit hat, dann nicht im Detail, sondern im Wunsch, ein Puzzle zu
       sein, in dem am Ende jedes Stück seinen Platz hat. Der verschwiegene und
       nicht gezeigte Selbstmord der Mutter als Auslassung, die am Ende ein
       lückenloses Bild generiert.
       
       ## Lückenlosigkeit, die Sprünge erlaubt
       
       Es ist eine Lückenlosigkeit, die Sprünge erlaubt. Nein, nicht erlaubt,
       sondern fordert – denn genau die Sprunghaftigkeit des vom verleugneten Tod
       der Mutter strukturierten Erlebens ist es, die der Film in seiner Form
       nachzubilden versucht. 1993 ist Massimo in Sarajevo, „Träum was Schönes“
       mutiert für ein paar Minuten zum Kriegsfilm, durchaus gekonnt, wie an dem
       Film eben alles gekonnt ist.
       
       Massimo wird Zeuge, wie ein Fotograf seiner Zeitung in zynischer Weise die
       brutale Wirklichkeit für ein gelungenes Foto rearrangiert. Eine andere
       Episode zeigt Massimo im Gespräch mit einem Millionär, dem alles egal ist
       außer der eigenen Lebenszeit und der dann Selbstmord begeht. Und als ein
       verbitterter Kollege seine Ratgeberkolumne aufgibt, schreibt Massimo einen
       rührenden Text über Mütter.
       
       Auch die Liebe wird episodisch zwischen die Episoden gefügt. Erst die junge
       und schöne Agnese, dann die nicht minder schöne Elisa (Bérénice Bejo), die
       ihn als Notfallärztin bei einer Panikattacke beruhigt. Wie sie auf einer
       diamantenen Hochzeit endgültig zueinanderfinden, gehört zu den schönsten
       Szenen des Films. Der von Valerio Mastandrea mit Hang zum Sauertöpfischen
       gespielte erwachsene Massimo erhält einen Stromschlag, fällt, steht auf,
       fällt und gerät im Tanz außer sich. Für einen Moment gewinnt der Film hier
       eine Freiheit, einen Überschwang, die ihm sonst eher fehlen.
       
       ## Exzess, emphatischer Überschuss
       
       Das Leben, ein Trauma. In der Form, wie bei Marco Bellocchio oft, auch
       ein Melo. Einsprengsel von Musik: Schlager zum Beispiel; eine Revue im
       italienischen Fernsehen; aber auch klassisch orchestrale Musik, unter die
       Bilder gelegt. Melo heißt in der Regel: Exzess, emphatischer Überschuss
       über die Prosa des Lebens. In „Vincere“, seinem Mussolini-Melodram, schlug
       Bellocchio auf verblüffende und kühne Weise opernhaft über die Stränge.
       Sein Meisterwerk „Buongiorno, notte“ gewann seine Kraft aus der
       Souveränität, mit der es seinen grundsätzlichen Realismus immer wieder
       hinter sich ließ.
       
       Dass sich „Träum was Schönes“ nie so ganz seiner vom Titel angekündigten
       Traumlogik überlässt, dass die Form, was an der Erzählung übers Fassbare
       drängt, durch gekonnte Episodenhaftigkeit, durch flüssige Montage und auch
       im Detail durch elegant-bewegliche Auflösung der einzelnen Szenen in
       letzter Instanz immer bändigt, ist am Ende die Schwäche des Films.
       
       Nur „frei inspiriert“ sei er, steht im Abspann, von Massimo Gramellinis
       zugrunde liegendem, in vielen Zügen autobiografischem Bestseller-Roman. Und
       doch packt der Film ambitioniert ein Leben als ganzes in seine zwei
       Stunden. Romanhaft baut er die schöne Kontingenz nach, die das nicht
       fiktive Leben besitzt. Nur dass sich im Nachbau die Kontingenz als mühsam
       konstruierte mit Notwendigkeit gerade verliert. Darum hilft, dass es
       wirklich so war, der eigenen Wahrscheinlichkeit wenig.
       
       Die Spontaneität des Lebens müsste der Film in einer Form, die nicht
       bändigt, sondern befreit, wiedergewinnen. Weil ihm das nicht gelingt, ist
       „Träum was Schönes“ zwar virtuos, aber am Ende gescheitert.
       
       22 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ekkehard Knörer
       
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