# taz.de -- Flüchtlinge auf Sizilien: Da ist noch der Padre
       
       > 200.000 Flüchtlinge könnten dieses Jahr Italien über das Mittelmeer
       > erreichen. Nur 40 Prozent bekommen Asyl. Was wird aus dem Rest?
       
 (IMG) Bild: Kümmert sich seit 30 Jahren um Flüchtlinge: Padre Carlo D'Antoni
       
       Syrakus taz | Eigentlich liegt die Wohnung von Padre Carlo D'Antoni ganz
       idyllisch. Vom schmalen Balkon im ersten Stock des Pfarrhauses hinter
       seiner Kirche Maria Madre Della Chiesa in Syrakus blickt man auf einen
       Rosengarten. Hochgewachsene Kiefern spenden kühlen Schatten in der
       sizilianischen Sommerhitze.
       
       In der Wohnung selbst verliert sich die Idylle. Es sieht aus wie in einer
       Notaufnahme. Im Wohnzimmer stehen Stockbetten, im Esszimmer liegen in
       Plastikfolie eingeschweißte Matratzen eng nebeneinander. Überall sitzt,
       liegt, döst jemand. Auch auf den beiden beigen, ausgesessenen Sofas, die in
       einem Durchgangszimmer zur Küche stehen, dem Aufenthaltsraum. Im Fernseher
       laufen Italowestern aus den 80ern. Kaum einer schaut zu.
       
       Wer hier unterkommt, ist aus Afrika geflüchtet und hat eine oft
       lebensgefährliche Reise hinter sich. Getrieben von der Hoffnung auf ein
       besseres Leben in Europa. Die Realität auf Sizilien sieht aber anders aus.
       60 Prozent der Flüchtlinge bekommen kein Asyl. Sie halten sich mit
       Gelegenheitsjobs über Wasser oder versuchen, eine der begehrten
       Arbeitsgenehmigungen zu bekommen. Auf einen Platz im Wohnheim haben sie
       kein Anrecht. Der Padre oder die Straße – zumindest in Syrakus ist das für
       sie die Alternative.
       
       Es ist früher Abend. In der Küche mischt sich der Duft angebratener
       Zwiebeln mit dem leicht muffigen Geruch aus den Fluren und Zimmern. Während
       Padre D'Antoni den Gottesdienst in der Kirche abhält, bereiten drei Männer
       das Essen vor. Der 19-jährige Abdou Bah aus Gambia in Westafrika ist einer
       von ihnen. Er trägt ein ärmelloses Shirt, sein Haar hat er an den Seiten
       blond gefärbt.
       
       „Ich dachte, es sei einfach, in Europa einen Job zu finden“, erzählt Bah,
       während er rote Paprika in kleine Stücke schneidet. Zusammen mit Thunfisch
       und Reis wird daraus eine Mahlzeit für 25 Personen. „Dass ich die
       Möglichkeit habe zu studieren, irgendetwas mit IT.“ In Gambia hat er einen
       guten Schulabschluss. Die Familie war stolz auf ihn. Sie legte Geld
       zusammen, damit Abdou Bah nach Europa geht. Er sollte etwas Besonderes aus
       sich machen. „Es war eine lange Reise, ein sehr weiter Weg“, sagt Bah.
       
       ## Jobben ohne Vertrag
       
       Vor anderthalb Jahren, im Herbst 2015, brach Bah auf. Er reiste mithilfe
       von Schleppern durch Mali, Burkina Faso und Niger, schlug sich bis Libyen
       durch. In Tripolis verhaftete ihn die Polizei wegen illegaler Einreise.
       Einen Monat lang war er im Gefängnis. Eines Tages aber konnte er fliehen.
       Für 600 Euro bekam er einen Platz auf einem Flüchtlingsboot über das
       Mittelmeer. „Ich habe gesehen, wie viele Menschen nach Europa wollen, die
       alle den gleichen Traum haben wie ich“, sagt Abdou Bah. „Ich dachte mir: Es
       sind so viele Menschen. Nicht alle werden eine Chance bekommen.“
       
       Im Januar 2016 kam der Gambier auf Sizilien an, in der Hafenstadt Pozzallo.
       Einen Asylantrag stellte er nicht, er wusste, Gambia gilt zwar als eines
       der ärmsten Länder der Welt, ist aber friedlich. Da er noch minderjährig
       war, durfte Bah dennoch in Italien bleiben, zumindest vorübergehend. Er kam
       in eine Casa-famiglia, eine WG mit zwölf anderen Jugendlichen. Er ging zur
       Schule, lernte Italienisch, belegte Kurse in Gastronomie.
       
       Als er 18 wurde, gab es vom Staat keine Unterstützung mehr. Abdou Bah
       musste die Wohngemeinschaft verlassen. Er packte seinen Rucksack und zog
       weiter nach Syrakus. Einen Monat lebte er auf der Straße, bevor er von
       Padre Carlo erfuhr. Der gab ihm Unterschlupf, kaufte ihm Kleidung,
       vermittelte Anwälte, um eine Arbeitsgenehmigung zu bekommen. Mittlerweile
       hat der Flüchtling gültige Dokumente.
       
       Doch auch damit ist es nicht einfach, eine Arbeit zu finden. Die
       Jugendarbeitslosigkeit liegt in Italien bei 37 Prozent, im Süden ist die
       Quote noch höher. Derzeit jobbt Bah in einem Coffeeshop. Sechs Tage die
       Woche steht er nachts in der Küche, von drei bis neun Uhr morgens. Ohne
       Vertrag. Für 600 Euro im Monat, gerade mal vier Euro die Stunde. Den
       Großteil schickt er an seine Familie. Sie soll glauben, dass es ihm gut
       geht.
       
       ## Eine Frage des Anstands
       
       „Ich muss ständig daran denken, dass meine Familie so viel für meine Reise
       gespart hat“, sagt Bah. „Ich will es ihnen zurückzahlen. Deshalb versuche
       ich alles, um Erfolg zu haben.“
       
       Nach dem Abendgottesdienst setzt sich Padre D'Antoni hinter seinen
       Schreibtisch im Erdgeschoss des Pfarrhauses und steckt sich eine Zigarette
       an. 1987 ging es los mit den Flüchtlingen, erinnert sich der 63-Jährige. Er
       nahm zwei junge Männer aus Vietnam bei sich auf. Seitdem sind es jedes Jahr
       mehr geworden. „Es ist eine Frage des Anstands, den Ärmsten zu helfen und
       ihnen ein Stück Würde wiederzugeben“, sagt er.
       
       Das sehen in seiner Gemeinde nicht alle so. Seit die Flüchtlinge aus Afrika
       kommen, haben sich viele von ihm abgewandt. „Früher waren 300 Kinder im
       Kommunionsunterricht, jetzt sind es nur noch zehn“, sagt der Padre. Die
       Eltern wollen nicht, dass ihre Kinder mit den schwarzen Jugendlichen
       Kontakt haben. Entmutigt hat das den Padre aber nicht. „Papst Franziskus
       und ich denken genau gleich, was die Flüchtlinge angeht“, meint er.
       
       Zwei Tage später. Wie jede Woche fährt Padre Carlo mit seinem weißen
       Kleinwagen in ein Camp vor Cassibile, 20 Kilometer südlich von Syrakus.
       Hier leben 200 Flüchtlinge, sie jobben als Erntehelfer auf Kartoffel- und
       Tomatenfeldern. Illegal.
       
       Hinter der Autobahnausfahrt biegt der Padre auf eine staubige Piste voller
       Schlaglöcher, ein trockenes Flussbett. Im Kofferraum klappern Gläser und
       Dosen mit Vorräten: Reis, Tomatensaft, Zucker, Öl und andere Lebensmittel.
       
       Das Camp liegt in den Ruinen eines verfallenen Bauernhofs, umgeben von
       einem Fichtenwald. Die Zelte sind gammelig, bestehen manchmal nur aus alten
       Plastikplanen, die über eine Leine gespannt wurden. Der Padre drückt einige
       der Männer herzlich an seine Brust, als hätte er sie seit Wochen nicht
       gesehen. Der Padre steckt sich eine Zigarette an, während die Lebensmittel
       aus dem Wagen geladen werden. Zwischen den Zelten liegt ein Kühlschrank. Er
       dient als Vorratskammer.
       
       ## Den Profit machen andere
       
       Viele Flüchtlinge scheuen die Öffentlichkeit. Erst vor zwei Tagen sind
       einige in eine Polizeikontrolle geraten. Es gab Festnahmen. Nach dem
       Abendessen ist ein Mann bereit zu reden, zu seinem Schutz vereinbaren wir,
       dass er hier Ibrahim Diarra heißen soll. Er ist 30 und kommt aus dem
       Senegal, seit zwei Jahren arbeitet er illegal als Wanderarbeiter.
       
       „Wir wachen um fünf Uhr morgens auf, dann holt uns ein Auto ab“, sagt
       Diarra. „Die Kartoffelfelder, auf denen wir arbeiten, liegen oft weit
       entfernt, manchmal 150 Kilometer.“ Acht bis zwölf Stunden verbringt er
       unter der glühenden Sonne. Am Tag verdient er selten mehr als 45 Euro. Ein
       italienischer Feldarbeiter würde für weniger Stunden mehr als doppelt so
       viel bekommen. Doch wer sich beschwert, hat am nächsten Tag keine Arbeit
       mehr.
       
       Den Profit machen andere: die Landwirte und Obstbauern, aber auch illegale
       Arbeitsvermittler, Caporale genannt. „Das Caporalato ist wie ein
       Mafiasystem“, sagt Diarra. „Der Caporale vermittelt dich an einen Landwirt
       und nimmt dein Geld – mehr nicht.“ Der Caporale behält einen Euro pro
       Stunde von jedem Arbeiter ein. Für den Transport zum Feld und zurück müssen
       die Flüchtlinge pro Tag weitere fünf Euro zahlen. So bleibt von etwa sechs
       Euro Stundenlohn nur wenig übrig.
       
       Das Caporalato ist in Italien verboten, aber auf Sizilien kümmert sich
       scheinbar keiner darum. Ohne die Vermittler haben Arbeiter wie Diarra keine
       Chance auf einen Job. Die Kommunikation läuft über sie. Auch die Caporale
       sind Fremde, die sich in der Illegalität hochgearbeitet haben. Hier kommen
       sie meist aus dem Maghreb.
       
       Einen Teil seines schmalen Verdienstes legt Diarra für den Notfall zurück.
       Wenn er krank wird, will er einen Arzt bezahlen können, sagt er. Mit dem
       Anwalt einer Hilfsorganisation versucht er, doch noch eine
       Aufenthaltsgenehmigung zu bekommen. Es gibt viele Schlupflöcher im
       italienischen Asylrecht – wer findig ist, nutzt sie. Wenn es gelingt, kann
       der Senegalese an so etwas wie eine Zukunft hier in Europa denken.
       
       ## Enttäuscht von Europa
       
       „Wenn ich eine Aufenthaltsgenehmigung und einen festen Job habe, möchte ich
       meine Familie nachholen“, sagt Diarra. „Ich würde gern als Schreiner
       arbeiten. Oder als Mechaniker. Das würde ich gerne machen.“
       
       Jetzt aber muss er sich darauf vorbereiten, weiterzuziehen. Wenn die
       Kartoffeln im Sommer abgeerntet sind, reisen er und die anderen
       Wanderarbeiter aufs Festland. Nach Puglia und Kalabrien, wo sie Oliven
       pflücken.
       
       Zurück in Syrakus, in der Gemeinde des Padre. Auf einem eingezäunten
       Fußballfeld neben dem Pfarrhaus kicken einige der jungen Flüchtlinge, die
       beim Padre wohnen. Fast jeden Abend kommen sie zusammen, wenn die Sonne
       tief steht und die Luft sich abgekühlt hat. Auch Abdou Bah, der 19-Jährige
       aus Gambia, ist dabei.
       
       Es gibt Nachrichten, erzählt er nach dem Spiel. Eigentlich könnte er sich
       freuen. In zwei Monaten werde eine feste Stelle für die Nachtschichten in
       einem Schnellrestaurant frei – mit Vertrag, für 1.500 Euro im Monat.
       Bekommt er sie, könnte Bah bei Padre D'Antoni ausziehen, sich ein eigenes
       Zimmer suchen. Doch eigentlich will er noch immer studieren. Etwas aus sich
       machen. Auch wenn er daran längst nicht mehr glaubt.
       
       „Ich bin enttäuscht von Europa“, sagt Bah. „Ich habe nur nicht den Mut,
       nach Gambia zurückzukehren.“ Käme er mit leeren Händen, würde ihn seine
       Familie verachten. „Das ist das Einzige, was mich hier hält“, sagt er. „Ich
       möchte nicht, dass jemand schlecht über mich denkt.“
       
       12 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Philipp Eins
       
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