# taz.de -- Rassismus und Islamismus: Dschihad gegen den Dschihadismus
       
       > Was ist Extremismus und was kann man dagegen tun? In Leipzig gehen
       > Geflüchtete in einer Workshopreihe diesen und anderen Fragen nach.
       
 (IMG) Bild: Wer gegen Dschihadismus argumentieren will, sollte besser auch mal in den Koran gucken
       
       Leipzig taz | In den Vereinsräumen, in die das Unabhängige Komitee für
       Sozialentwicklung und selbstorganisierte Demokratie (UKSSD) geladen hat,
       liegt eine Postkarte aus: „Jemand ist ein Arschloch, weil er ein Arschloch
       ist, nicht weil er Muslim ist“, steht darauf geschrieben. Seit Anfang des
       Jahres treffen sich an verschiedenen Orten in Leipzig junge Menschen, um
       über Extremismus zu diskutieren. Thema an diesem Samstag ist der
       Dschihadismus in Europa.
       
       Das Projekt „Extremismus in Leipzig? Nein, danke!“ haben junge Geflüchtete
       und Deutsche des UKSSD entwickelt. Ein Dutzend Menschen sind zum heutigen
       Workshop gekommen. Die meisten von ihnen leben selbst noch nicht länger als
       fünf Jahre in Deutschland, sind teils als Geflüchtete anerkannt – so auch
       die beiden Referenten: der Forscher und Autor Tarek Aziza und der
       Filmemacher Shirwan Qasim.
       
       „Was ist eure erste Assoziation, wenn ihr ‚Dschihad‘ hört?“, fragt Aziza
       und notiert die Antworten auf einem Flipchart: Zerstörung, Terrorismus, der
       Krieg in Syrien sind einige Stichworte. „Der Große Dschihad“, sagt eine
       Teilnehmerin. Die deutsche Konvertitin, die ihr Kopftuch modisch wie einen
       Turban trägt, spielt auf das theologische Konzept an.
       
       Der Große Dschihad bezieht sich auf die eigene Person: sich anstrengen,
       besonders hilfsbereit sein, gute Leistungen in der Schule, der Universität
       oder bei der Arbeit bringen. Es ist der Kampf gegen den inneren
       Schweinehund. Lediglich der Kleine Dschihad schließt Waffengewalt ein –
       allerdings nur im Verteidigungsfall. So steht es in den wichtigsten
       islamischen Quellen.
       
       Generationen von Theologen haben sich mit der genauen Auslegung dieses
       Konzepts von Dschihad beschäftigt. In jüngerer Zeit konstruieren manche
       islamistische Strömungen eine Aggression europäischer Staaten oder der USA
       auf die Gemeinschaft der Muslime und versuchen damit, Terrorakte als
       Selbstverteidigung zu rechtfertigen. Ein großer Denkfehler, darin sind sich
       die Workshop-Teilnehmer*innen einig. Anschläge haben nichts mit
       Selbstverteidigung zu tun, betont ein Teilnehmer: „Wir sind als
       Geflüchtete, als Gäste hierher gekommen und müssen dankbar sein.“
       
       ## Terrorist oder Einzeltäter
       
       Shirwan Qasim, der sich selbst kritisch zum Islam positioniert, stellt eine
       Frage in den Raum: Warum wird bei Geflüchteten von Terroristen gesprochen,
       bei Deutschen aber von Einzeltätern? Das Thema kommt häufig vor in
       Gesprächen mit Personen, die sich aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit als
       Muslim*innen, Geflüchtete oder Araber*innen unter einen Generalverdacht
       gestellt sehen.
       
       Ein Workshop-Teilnehmer erzählt etwa, wie er auf seiner Flucht an der
       ungarischen Grenze von Rechtsextremen festgenommen wurde. „Orbán und seine
       Leute sehen alle Flüchtlinge als Terroristen“, klagt er. Noch heftiger traf
       es Hussein. Der junge Syrer wurde im April 2015 im Leipziger Osten
       angeschossen und erlitt lebensgefährliche Verletzungen.
       
       Damals war er gerade erst ein Jahr in Deutschland. Er wollte mit Freunden
       auf eine Studentenparty gehen, erzählt Hussein. Unterwegs trafen sie auf
       eine Gruppe von Leuten, die besoffen und ziemlich verrückt gewesen sei.
       „Plötzlich bin ich auf dem Boden gelandet. Ich war ganz wach, aber hatte
       starke Schmerzen am Hals.“
       
       Erst in der Uniklinik habe er erfahren, dass ihm eine Kugel im Hals
       steckte. Der Schuss erfolgte durch eine selbstgebaute Waffe, haben ihm die
       Ermittler später gesagt. Hussein überstand die Operation gut. Aber er hat
       manchmal immer noch Angst und ist vorsichtiger geworden. Handelten die
       Täter aus Fremdenhass? Bis heute ist der Fall nicht aufgeklärt.
       
       Für Tarek Aziza haben dschihadistische und rechtsextreme Bewegungen eins
       gemeinsam: Sie nutzen die jeweils andere Seite strategisch, um eigene
       Positionen zu bestärken und mehr Anhänger zu rekrutieren. Einzelne
       Ereignisse würden so für bestimmte Interessen instrumentalisiert. Ein
       Workshop-Teilnehmer ist überzeugt: „Jede Form von Extremismus begründet
       sich mit Unterdrückung, rechtfertigt sich mit Ungerechtigkeit durch
       andere.“
       
       ## Der Weg in den Extremismus
       
       Warum sich jemand einer extremistischen Strömung zuwendet, hängt im
       Einzelnen aber von vielfältigen Faktoren ab. Mehrere Rückschläge sollen
       etwa zur Radikalisierung des syrischen Geflüchteten Jaber Albakr
       beigetragen haben. Vergangenen Herbst gelang es dem wegen Terrorverdacht
       Gesuchten, trotz eines Großeinsatzes der Polizei, von Chemnitz nach Leipzig
       zu entkommen . Hier waren es schließlich Landsleute Albakrs, die ihn
       überwältigten und der Polizei übergaben. Kurz nach seiner Festnahme
       erhängte sich das mutmaßliche IS-Mitglied jedoch in seiner Zelle der JVA
       Leipzig.
       
       Seine Familie in Syrien und Weggefährten in Deutschland gaben später
       Hinweise auf den Weg seiner Radikalisierung. Von einem in Syrien noch
       unpolitischen Mann war da die Rede, von Misserfolgen des jungen
       Geflüchteten in Deutschland, von einer Türkeireise, die ihn stark
       veränderte, und von einem oder mehreren Imamen in Berlin, die seine
       Veränderung begleitet und vorangetrieben haben sollen. „Wenn sich hier
       jemand radikalisiert, dann liegt der Grund seiner Radikalisierung
       zweifellos auch hier. Also müssen wir schauen, was hier schiefgelaufen
       ist“, sagt Aziza.
       
       Auch wenn er den modernen Dschihadismus keineswegs als rein religiöses
       Phänomen versteht, ist ihm die Auseinandersetzung mit den religiösen
       Quellen wichtig. Erst so ließen sich friedliche, pluralistische Lesarten
       erkennen, um aggressive Interpretationen argumentativ zu schwächen. Die
       Workshopteilnehmer*innen haben sehr unterschiedliche politische und
       religiöse Anschauungen. Als neu Zugezogene sind sie sich aber einig: Sie
       wollen nicht zum Problem erklärt werden, sondern sehen sich selbst als Teil
       einer möglichen Lösung.
       
       13 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Rebecca Nordin Mencke
       
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