# taz.de -- Debatte Medienkritik: Lust am Dogma
       
       > Journalisten als eifernde Frontkämpfer? Warum es zu einer Vertrauenskrise
       > zwischen dem Schreiber und dem Leser gekommen ist.
       
 (IMG) Bild: Der Schreiber dürfte sich erst über eine Sache auslassen, wenn er sie gründlich verstanden hat
       
       Journalisten sind Geschichtenerzähler. Es liegt in der Natur der Sache,
       dass diese Geschichten oft in der Wolle gefärbte Selbsterfahrungsberichte
       sind. Der Journalist bedient sich aus den Regalen der Wirklichkeit, er
       greift aber auch in die Grabbelkiste seiner konstruierten Wirklichkeit. Er
       ist Surfer zwischen Objektivität und Subjektivität.
       
       Es ist ein erkenntnistheoretischer Balanceakt, der oft schiefgeht, zumal
       der Journalist heute ein Getriebener ist. Er inszeniert sich nicht nur auf
       der Bühne seiner Arbeit, sondern auch in den sozialen Medien, wo er zum
       Rollenspieler in seiner Peergroup wird.
       
       Die Gruppe hat klare Ansichten, ein Innen und Außen. Sie weiß meist, was
       richtig und falsch, wer böse und gut, wer links und rechts ist. Die
       Vergemeinschaftung des Journalisten im Digitalen hat zu einer neuen Lust am
       Dogma geführt, das heißt, es werden gern Lehrmeinungen gehandelt, die als
       unumstößlich gelten.
       
       Der im Netz verkumpelte Journalist läuft Gefahr, weniger abzuwägen. Er
       verzichtet schon mal auf Differenzierung und schlägt sich allzu schnell auf
       eine Seite. Meist ist es die Seite, auf der Gleichgesinnte die
       Demarkationslinie zu ihrer Wahrheit verteidigen wie eine Front, die
       unbedingt zu halten ist.
       
       ## Wir gegen die
       
       Der Journalist als Frontkämpfer einer bestimmten Wahrheit? Der Spiegel
       hatte sich immer schon recht martialisch als das „Sturmgeschütz der
       Demokratie“ inszeniert. Das sollte aber bedeuten: Wer da oben Scheiße baut,
       den nehmen wir uns vor.
       
       Die heutigen Frontkämpfer des Journalismus verschießen ihre Munition
       dagegen gern gegen „die Anderen“. Es kommt nicht selten zu Scharmützeln
       zwischen Journalisten-Peergroups und solchen, die sich als Journalisten
       selbst ermächtigen in Blogs, alternativen Medien, auf Twitter und Facebook.
       
       Wir gegen die, das ist der Slogan, der die eigentliche journalistische
       Arbeit oft überlagert. Dabei schwingt die Entrüstung darüber mit, dass die
       klassischen Medien nicht mehr so dominant auftreten, sondern sich in einem
       wirtschaftlich prekären Umfeld behaupten müssen. Der Hegemon hüstelt, ist
       angekränkelt von einer Krise, die sich zu verschärfen droht und als
       Menetekel den Untergang der gedruckten Zeitung an die Wand malt. Es geht
       also auch ums Überleben. Und umgekehrt um die Eroberung neuer
       publizistischer Räume.
       
       Der Zweck scheint bei der Selbstbehauptung der Alten und der
       Selbstermächtigung der Neuen oftmals die Mittel zu heiligen: Es wird in
       sozialen Medien mit Unterstellungen, Anfeindungen und auch Lügen
       gearbeitet. Im Zentrum des Scharmützels der Wahrheitskämpfer steht: die
       Deutungshoheit. Kurzum: Wer macht den anderen am besten klein? Das
       Privileg, dabei auch mal rücksichtslos vorzugehen, haben nicht nur
       Hass-Twitterer.
       
       ## Verbündet im Netz
       
       Im Zeitalter des Digitalen – und somit der digitalen Rüpelei – muss mehr
       denn je über das Selbstverständnis des Journalisten gesprochen werden. Ist
       er tatsächlich noch vierte Gewalt und damit Träger einer besonderen
       Verantwortung? Oder ist das nicht alles irgendwie obsolet? Darf er auch
       Aktivist, Pädagoge und ein Schreiber sein, dessen Agenda den Leser zwischen
       den Zeilen quasi anspringt? Und wie ist der Leser zu behandeln? Als jemand,
       dem man zeigt, wie es in den Hinterzimmern der Politik bisweilen zugeht –
       oder dem man erklärt, wie er die Welt zu sehen hat? Wo beginnt die
       Bevormundung, wo endet die Aufklärung? Hat der Journalist Gesinnungs- oder
       Verantwortungsethiker zu sein? Oder vielleicht beides?
       
       In den vergangenen Jahren ist es zu einer Drift gekommen. Der unabhängige
       Journalist – und damit ist jener Typus gemeint, der sich nicht unter den
       schützenden Baldachin einer Gruppe flüchtet und dort an der zum Teil
       aggressiven Vermarktung der Gruppendogmen beteiligt – ist scheinbar in der
       Minderzahl. Wer sich nicht verbündet im Netz, der geht unter, wird nun oft
       geraunt. Aber heißt das nicht auch, dass der unabhängige Journalismus
       untergeht?
       
       Journalismus, wie er im klassischen Sinne gelehrt wurde, besagt, dass der
       Schreiber sich erst über eine Sache auslassen darf, wenn er sie gründlich
       verstanden und wenn er sie von allen Seiten beleuchtet hat. Wenn er trotz
       des tiefen Eindringens in eine Themenwelt Beobachter geblieben ist. Wenn er
       sich bei der Recherche vom Einzelnen zum Allgemeinen vorantastet und erst
       dann mit relativ sicherem Wissen Aussagen über größere Zusammenhänge
       trifft.
       
       Der Journalist muss ein sorgfältiger und genauer Arbeiter sein, ein
       Differenzierer und Abwäger, auch weil sein Beruf kein geschützter ist und
       seine Arbeit von zwei Instanzen beglaubigt werden muss: dem Arbeitgeber und
       – viel wichtiger – dem Leser. Der erstarkende Peergroup-Journalismus aber
       läuft dieser Methodik der Sorgfalt zuwider, denn seine Mitglieder wissen
       oft schon vorher, was sie eigentlich erst hinterher hätten wissen können.
       
       ## Aufkeimende Skepsis
       
       Dieser Journalismus ist nicht selten belehrend, rechthaberisch und
       selbstgefällig. Sein Maßstab ist die Zustimmung der Peergroup. Nicht der
       Leser wird zum Adressaten, sondern andere, mit dem Schreiber verkumpelte
       Journalisten. Um nicht ausgeschlossen zu werden von der Peergroup, grüßt
       man lieber den Gesslerhut.
       
       Der Leser ist freilich nicht so doof, wie sich das manch ein Journalist
       vorstellen mag. Er gibt nicht mehr regelmäßig sein Plazet zu dem, was ihm
       vorgesetzt wird. Er beglaubigt vieles nicht mehr. Der Leser ist skeptisch
       geworden, weil er über ein gutes Sensorium im Erspüren eines
       selbstbezüglichen Journalismus verfügt, einer Presse, die ihre Grundsätze
       bisweilen fahrlässig außer Acht lässt – wie auch eine Studie der
       Otto-Brenner-Stiftung über die nahezu gleichgeschaltete Berichterstattung
       in der Flüchtlingskrise gezeigt hat. Wenn nicht mehr gesagt wird, was ist,
       sondern vielmehr, was sein sollte, dann haben die Medien ein
       Glaubwürdigkeitsproblem.
       
       Fakt ist: Es gibt eine Vertrauenskrise zwischen dem Leser und dem
       Journalisten. Nein, es sind nicht die „Lügenpresse“-Krakeeler, die
       sinnbildlich für diese Enttäuschung stehen, es sind eher bürgerliche
       Kreise, es sind Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die sich nach
       einem Journalismus sehnen, der im besten Sinne unabhängig ist. Der offen
       ist, vielgestaltig, überraschend, diskursfreudig – und auch demütig.
       
       10 Aug 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Markus Völker
       
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