# taz.de -- Kulturmanager Martin Roth gestorben: Gier nach Welt und Gegenwärtigkeit
       
       > Martin Roth erfand jedes Museum, dem er vorstand, neu. Er verteidigte die
       > Kunst unarrogant gegen Bürokraten und Banausen. Jetzt ist er gestorben.
       
 (IMG) Bild: Martin Roth stellte sich immer schützend vor die Kunst
       
       Als vor Kurzem noch in der Sächsischen Zeitung ein Interview mit Martin
       Roth erschien, weigerte ich mich, dieses traurige Gespräch über seine
       Krankheit und den nahen Tod als letzte Botschaft dieses großartigen
       Museumsmannes zu akzeptieren. Ich las es, beschloss an ein Wunder zu
       glauben und warf den Artikel in den Papierkorb. Es konnte nicht sein, dass
       sich das Energiebündel Roth gegen irgendeine Herausforderung nicht zu
       wehren gewusst hätte.
       
       In meinen Notizbüchern stoße ich auf Aufzeichnungen von Anfang August 2002.
       Während Wassermassen die Stadt Dresden mit ihren Kunstsammlungen in eine
       Art Belagerungszustand zwangen, hielt der damalige Generaldirektor eine
       improvisierte Pressekonferenz ab, die weniger an die anwesenden Publizisten
       gerichtet schien, als dass sie seinen Mitarbeiter_innen, denen gerade die
       Kunstwerke davonschwammen, Mut machen wollte. Es waren immer die
       Extremsituationen, seien sie meteorologischer, finanzieller oder
       struktureller Art gewesen, die Martin Roth zur Hochform auflaufen ließen.
       
       Er, der meist fantasievolle Manschettenknöpfe trug, war stets bereit, die
       Ärmel aufzukrempeln und sich Widrigkeiten zu stellen. Das hatte für die
       Kulturlandschaft, weit über Sachsen hinaus, etwas überaus Tröstliches –
       hier verteidigte einer die Schätze der Menschheit gegen Fluten, Bürokraten
       und Banausen, ohne auch nur einen Moment elitär oder arrogant zu wirken.
       Man hat ihm diese Hemdsärmeligkeit öfters vorgeworfen und dabei übersehen,
       dass er sehr genau wusste, was er da lostrat.
       
       Als er 2011 Dresden verließ, um das Londoner [1][Victoria & Albert Museum]
       zu leiten, verfasste er einen klugen Rundumschlag, in dem er an die
       Verantwortung von Kunstinstitutionen und deren Leiter appellierte. Er rief
       seine Kolleg_innen vehement dazu auf, ihre Sammlungen gegen „zu starke
       politische und wirtschaftliche Einflussnahme“ zu schützen und zwar „um
       einen Verlust an Glaubwürdigkeit zu vermeiden“. Er hasste „permanente
       Evaluierungen und dauerhafte Kontrollen durch verschiedene Berater und
       Aufsichtsgremien“, denn diese führten nur zur „Eingrenzung der
       wissenschaftlichen Arbeit.“ Man hat Roth intern immer wieder mal
       vorgeworfen, sein auf Außenwirkung gepolter Führungsstil stelle den
       Forschungsauftrag (s)eines Museums hintan. Doch dieser Eindruck täuschte.
       
       ## Respektvoller, behutsamer Westler
       
       Als er 1991 nach Dresden kam und die Leitung des Hygiene-Museums übernahm,
       tat er das mit aller gebotenen Behutsamkeit, die einem Westler zukam, mit
       Respekt vor der lokalen Situation, aber gleichzeitig mit dem Bewusstsein.
       als Aufbauhelfer alle unsichtbar vorhandenen Ressourcen heben zu wollen.
       Mit Erfolg, denn unter seiner Ägide wurde das Haus zu einem der wichtigsten
       kulturhistorischen Museen Europas, das Vergangenheit und Gegenwartskultur
       auf Augenhöhe verhandelte.
       
       Roth agierte immer in einem Präsens, in dem sich Vergangenheit und Zukunft
       zu verschränken hatten. Für ein bis dato traditionell geführtes Haus wie
       die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und für dessen ebenso gestimmtes
       Publikum war ein solcher radikaler Zugriff natürlich gewöhnungsbedürftig.
       Für die öffentliche Rechtfertigung der Reformen unter dem neuen „General“
       stellten die Sanierungen und spektakulären Neueröffnungen, des Albertinums,
       des Residenzschlosses mit dem Grünen Gewölbe und der Türkischen Kammer oder
       der Porzellansammlung einen großen Glücksfall dar. Hinter den Kulissen aber
       rang er derweil mit Ministerien um bedrohte Wissenschaftlerstellen und
       Mittel für die lange vernachlässigte Provenienzforschung.
       
       Für Martin Roth, den gebürtigen Stuttgarter, war Dresden die Welt und
       niemals Provinz. Diese Auffassung hat er vor Ort und auf internationalem
       Parkett mit Charme, Nahbarkeit und Sendungsbewusstsein vertreten. Als er
       die Stadt gen London verließ, war das ein großer Verlust, doch welche
       Herausforderung hätte sich ihm hier noch gestellt? Im Grunde war das
       Victoria & Albert Museum der ideale Platz, um seinen grenzenlosen Hunger
       nach Welt und Gegenwärtigkeit zu befriedigen.
       
       Denn dort stehen schon von jeher die Tore weit offen für Alltag, Mode,
       Popkultur und für den beherzten Transfer zwischen diesen Themen. Dass diese
       Institution unter dem ersten Deutschen am Schalthebel 2016 zum „Museum des
       Jahres“ wurde, überraschte dann nicht. Wohl aber die Entscheidung Martin
       Roths, den Direktorenposten als Antwort auf den Brexit niederzulegen. Aber
       stimmte das? Hatte dieser kämpferische Weltmensch je vor irgendetwas
       kapituliert? Nun ist es zu spät, ihn danach zu fragen. Adieu, Herr General
       und Danke für Ihre Wahrhaftigkeit und Leidenschaft.
       
       7 Aug 2017
       
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