# taz.de -- Das Plissee ist zurück: Das Chaos und die Ordnung
       
       > Neue Serie: taz.couture. Verlogenheit, Langeweile, Freiheit – die
       > Modewelt kennt ja viele Widersprüche. Das Plissee ist einer ihrer
       > interessantesten.
       
 (IMG) Bild: Das Laszive zwischen Versteck und Triumph: Valentinos Herbst-/Winterkollektion 2017/2018
       
       Auf dem Tennisplatz in Wimbledon könnte man anfangen oder im Casino auf der
       französischen Seite des Ärmelkanals. Einen gepflegt bürgerlichen
       Sonntagsspaziergang im Park von Versailles könnte man machen oder eine der
       Lunchpartys der Fotografenlegende Cecil Beaton im Jahr 1968 besuchen und
       bei dieser Gelegenheit hören, wie die US-amerikanische Schauspielerin Irene
       Worth darüber plaudert, dass sie zu Solo-Performances persönlich nie etwas
       anderes trage als die plissierten Kleider des Spaniers Mariano Fortuny.
       
       Eine Reise wäre nett, um über das Plissee zu sprechen, um seinem Zauber und
       seiner Langeweile, seiner Verlogenheit und seiner Freiheit auf die Spur zu
       kommen. Man muss sich nur bald entscheiden, die Zeit drängt. Schon länger
       sieht man das Plissee auf den Laufstegen der großen Fashion Weeks, auch auf
       der Straße oder im Café, und in wenigen Wochen wird es überall zu
       beobachten sein.
       
       Wer sich also einen Plisseerock kauft, der dürfte auf gar keinen Fall etwas
       falsch machen. So eindeutig muss man es wohl sagen. Ein Kleid könnte es
       ebenfalls sein, am besten geschlitzt und mit asymmetrisch verlaufendem Saum
       über Beine und Knie. Bei Christopher Kane findet man für den Frühling
       ziemlich aufregende Kombinationen aus plissiertem Lamé und Tüll. Bei Stella
       McCartney und Dion Lee trifft man das Plissee, bei Chloé und Adam Selman.
       Das Problem ist nicht, wo man es herbekommen, sondern eher, wie man diese
       plissierte Wirklichkeit überhaupt verstehen soll.
       
       Auf den ersten Blick könnte man meinen, die Sache wäre klar. Woran lässt
       ein in Falten gezwungener Stoff denken, wenn nicht an Macht und Prestige.
       An Königsgewänder und Tudor-Kragen. An bürgerliche Wohnzimmer an einem
       Sonntagnachmittag. In der französischen Zeitung Libération war vor einigen
       Jahren eine Reportage zu lesen, wonach der Plisseerock (kniebedeckend und
       von blauer Farbe) neben einer Perlenkette und einem breiten Haarreifen zu
       den unverzichtbaren Ausstattungsstücken der konservativen, katholischen
       Versailler Bourgeoisie gehört.
       
       Die Ehefrau geht neben dem Ehemann und den fünf Kindern von der
       sonntäglichen Messe nach Haus. Ihr Plissee ist ohne jeden Tadel. Es sagt,
       „ich bin kultiviert“, „ich mache keine Fehler, und wenn es Streit gibt in
       der Familie oder so, wird davon niemand etwas wissen“.
       
       ## Trost der schönen Fassade
       
       In diesem Sinne hätte die nicht abreißende Schwärmerei für das Plissee
       etwas Neobürgerliches. In Zeiten der Krise würde sie an den Glanz der
       glatten Oberflächen appellieren, an den Trost der schönen Fassade. Doch die
       Mode wäre nicht die Mode, wenn es so einfach wäre. Das Plissee selbst trägt
       die Widersprüche in sich.
       
       Gierig verschluckt es Unmengen an Stoff, ohne davon dick zu werden, und
       wenn es nicht gerade als dekoratives Element an Hals oder Handgelenk
       funktioniert, kann es sich gehen lassen. Regelrecht exzessiv kann es werden
       und danach sofort wieder zurückkehren zur Form.
       
       Wie ein Heuchler, der nach fremdgegangener Nacht in strahlender Laune am
       Frühstückstisch der Familie sitzt, kann es die repräsentative Ruhe wahren.
       Das Chaos und die Ordnung. Die Anpassung und die Überschreitung. An der
       Kante des Plissees stoßen beide aneinander.
       
       Das ist trickreich und elegant, der Stoff wird mit dem Plissee
       gewissermaßen vieldeutig. Das Prinzip Plissee – das übrigens bereits den
       Altbabyloniern und im ägyptischen Altertum bekannt war – findet sich
       überall in der Geschichte: Im 18. Jahrhundert an höfischen Roben à la
       française, an Schuluniformen und den unglaublich schicken,
       bürgererschreckenden Kostümen Yves Saint Laurents in den 1970ern.
       
       Ein It-Girl wie Alexa Chung trägt ihren Plisseerock heute mit Stiefeletten
       und einem jadefarbenen Angorapulli. Die Falten kombinieren sich mit dem
       Flauschigen, dem Sanften. Ist das nun exzessiv oder brav? Oder heißt es,
       dass sich das Styling des Plissees immer besser, sprich: lässiger dem
       allgegenwärtigen Wettbewerb anpasst?
       
       ## Geld und Verlust
       
       Ein berühmtes Foto Richard Avedons führt aus dieser Ambivalenz hinaus. Es
       führt zum Spieltisch, also dorthin, wo der Zufall regiert, und zeigt das
       sagenhafte Model Sunny Harnett in einem schulterfreien Plisseekleid der
       Madame Grès. Alles, was das bürgerliche Plissee sorgsam versteckt,
       triumphiert in diesem Bild: der Sex. Das Geld. Der Verlust.
       
       Es ist, als blicke die Verführung selbst auf das Geschehen, in Gestalt
       dieser platinblonden und mit einem, ja man muss wohl sagen: göttlichen
       Körper lebenden Frau. Das Kleid verbündet sich mit ihrer Fremdheit, ihrer
       Kraft. Der Kunsthistoriker und ehemalige Direktor des Victoria & Albert
       Museum in London, Roy Strong, hat einmal eine wunderbar treffende
       Formulierung für diese Ausstrahlung gefunden.
       
       Als Gast der eingangs erwähnten Party hatte er von den Plissee-Kleidern
       Mariano Fortunys erfahren und sehr viel später über deren zugleich nahes
       und entspanntes Verhältnis gegenüber dem Körper geschrieben. Der Körper
       erscheine in diesem Plissee implizit als ein perfekter Körper, sagte
       Strong. Zu ergänzen wäre: als ein Körper, der sicher ist vor jedem
       Vergleich.
       
       Von hier aus ließe sich sicher lange nachdenken. Über das Heroische in der
       Mode, über deren Sinn für die Bühne und das Drama. Zu einem kleinen Knoten
       gebündelt, passte das Kleid jedenfalls in den Reisekoffer der großen Diven
       des beginnenden 20. Jahrhunderts und zwischen die Romanseiten der Belle
       Epoche.
       
       Die Duse und Sarah Bernhardt, Luisa Casati, die spanische Mezzosopranistin
       Mercedes de Córdoba, die künstlerische Mehrfachbegabung und erotische
       Großtäterin Natacha Rambova, sie alle führten die „Robe Delphos“ wie den
       Beweis der eigenen Abenteuerlust bei sich.
       
       ## Wohin will ich reisen?
       
       Die Silhouette verschlankt sich in diesem Plissee. Sie erscheint
       ebenmäßiger. Der Körper gewinnt an Größe. Man muss sich vor ihm in Acht
       nehmen wie vor dem Schicksal. Ganz plötzlich kann er sich ausdehnen, kann
       springen, um sich schlagen, tanzen – was an den letzten Schauplatz dieser
       kleinen Reise führt.
       
       Auf den Tennisplatz nach Wimbledon, ins Jahr 1921. Die Siegerin Suzanne
       Lenglen trägt den ersten Plisseerock des Sports, dazu eine ärmellose Bluse
       und ein Stirnband in leuchtendem Orange. Es muss ein erhaben skandalöser
       Augenblick gewesen sein. Im plissierten und von Modeschöpfer Jean Patou
       persönlich erfundenen Outfit hechtet Lenglen nach dem Ball. „Action
       pleats“.
       
       In diesem Begriff, der eigentlich das Plissee einer kurzärmeligen Golfbluse
       aus den USA der 30er meint, schwingt die Freude über das Risiko mit. Es
       klingt wie ein Zuruf, eine Aufmunterung. Die Frau im Plissee trifft den
       Ball. Sie hat Hunger nach Lebendigkeit und nimmt sich, so lässt es sich in
       der 1959 erschienen „Story of Tennis“ des Lord Aberdare nachlesen, „die
       Freiheit der Bewegung, die sie für ein männliches Spiel braucht“. Von hier
       aus führt kein Weg zurück.
       
       Oder doch? Da wäre ja noch das Plissee der Schicklichkeit, das Plissee der
       Ehefrauen von Versailles, das versucht, unter allen Umständen eine gute
       Schülerin zu sein. Der Sprung soll unterbleiben oder höchstens heimlich
       unterlaufen. Dieser Widerspruch bleibt. Ein Sprung ist ein Sprung ist ein
       Sprung …, weshalb es wie jedes Mal in der Mode eine Entscheidung ist.
       
       Auch dieser Trend, nein, besonders dieser Trend zum Plissee gibt sie auf:
       Was will ich selbst damit sagen? Wohin will ich reisen?
       
       7 Mar 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Elisabeth Wagner
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Mode
 (DIR) Fashion
 (DIR) taz.couture
 (DIR) Museen
 (DIR) taz.couture
 (DIR) Influencer
 (DIR) Yves Saint Laurent
 (DIR) Fashion
 (DIR) Mode
 (DIR) Fashion Week
 (DIR) Fashion Week
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Kulturmanager Martin Roth gestorben: Gier nach Welt und Gegenwärtigkeit
       
       Martin Roth erfand jedes Museum, dem er vorstand, neu. Er verteidigte die
       Kunst unarrogant gegen Bürokraten und Banausen. Jetzt ist er gestorben.
       
 (DIR) Nachdenken über Mode: Was ist Eleganz?
       
       Elegant ist man nie, wenn man es sein soll. Nie auf Kommando. Eleganz ist
       flüchtig und ungehorsam. Gedanken zu einem großen Begriff.
       
 (DIR) Influencer auf Youtube und Instagram: Die Ich-Ich-Ich-AG
       
       Sogenannte Influencer kriegen Geld, indem sie Produkte in den sozialen
       Medien präsentieren. Ihr Erfolg steht für einen Wandel der Werbebranche.
       
 (DIR) Kolumne Air de Paris: Féminisme grotesque
       
       Über die Modemarke Yves Saint Laurent und die von der Firma in Szene
       gesetzten dünnen, jungen Models gab es jede Menge Empörung. Zu Recht?
       
 (DIR) The renaissance of socks: Hand-knitted by the Queen
       
       Gucci socks at 190 euro, Alexander McQueen socks for 245 euro – the sock
       inflation brought us socks for the 1%. Or actually, they're accessoires.
       
 (DIR) Nicolas Winding Refns neuer Kinofilm: Bin ich schön?
       
       Glitz und Glam und ein trauriges Märchen: Selten hat sich ein Kinofilm den
       Fetischen der Modewelt so hingegeben wie „Neon Demon“.
       
 (DIR) Fashion Week in Berlin: Patchwork Deutsche Mode
       
       Die Deutsche Mode muss nicht international werden. Sie ist es schon, denn
       ihre Protagonisten kommen aus aller Herren Länder.
       
 (DIR) Fashion Week in Berlin: Strumpfband und Ziegelstein
       
       Avantgarde, Idiotie und Baumarktcharme: Bei der „18. Mercedes-Benz Fashion
       Week“ zeigten Designer Entwürfe ihrer neuen Kollektionen.