# taz.de -- Die Wahrheit: Marodierende Brexit-Möwen
       
       > Irgendwie fällt es mir immer schwerer zu erklären, warum ich die Briten
       > nach dem Brexit vermissen werde. Ist aber so …
       
       Das Konzept der britischen „Pleasure Piers“ war von Anfang an ein
       dialektisches. Eigentlich erfand man sie einst, damit die Leute trotz Ebbe
       raus ans Wasser kamen und frische Seeluft atmen konnten. Dann aber stellte
       man fest, dass es am Ende des Piers doch zu gesund und langweilig war und
       man baute dort Varietétheater und Pavillons, in denen die Menschen in Ruhe
       und vom Wind geschützt Alkohol trinken und Zigaretten rauchen konnten.
       
       „Und wozu sind die heute da?“, wird man gefragt, während man von der
       Promenade in Brighton auf den über einen halben Kilometer ins Meer ragenden
       „Palace Pier“ schaut. „Also man kann was essen, und es steht so ’ne große
       Spiel-Halle drauf und …“ – „Ah verstehe, Casino, Roulette, mondänes
       Fin-de-siècle-Seebadvergnügen, Retro-Entertainment.“ – „Nee, eher
       Spielothek, Fußgängerzone, Salzgitter, Peine. Mit so Automaten, in die man
       von oben Zwei-Pence-Münzen reinwirft, und wenn man ungefähr 50 reingeworfen
       hat, fallen unten vielleicht sieben wieder raus.“ Zu Recht schaut man in
       verständnislose Gesichter.
       
       Wir betreten den Pier und werden gleich von einer Gruppe angetrunkener
       „Hens“ angerempelt. Nur so viel: Wen deutsche Junggesellinnenabschiede
       nerven, der hat noch nie eine „Hen Night“ in einem englischen Seebad
       erlebt. Mit dem Briten eigenen Hang zum kompletten Kontrollverlust unter
       Alkoholeinwirkung zeigen die „Hennen“ zu gegebenem Zeitpunkt und ohne
       Aufforderung alles, was niemand sehen will. Und mehr. Man ist froh, dass
       die Mehrzahl der Briten inzwischen von oben bis unten volltätowiert ist.
       Weil das zumindest kurzzeitig von schlimmeren Körperdetails ablenkt.
       
       Glücklicherweise befinden sich unsere „Hens“ noch im beschwipsten
       Feier-Foyer des vermutlich penibel durchgeplanten Komawochenendes. Sie
       begnügen sich damit, einen überdimensionalen Aufblaspenis herumzureichen
       und pantomimisch klar zu machen, dass der ja viel zu groß sei und nirgendwo
       reinpasse, nicht in den Mund und auch sonst in keine Körperöffnung …
       
       Wir schlendern weiter den Pier entlang, werfen auch mal zwei
       Zwei-Pence-Stücke in einen Automaten, ignorieren die jämmerliche
       Geisterbahn, um uns schließlich eine Portion Fish & Chips mit „Mushy Peas“
       zu kaufen. „Mushy Peas“ sind … wie soll man das an mitteleuropäische
       Kulinarik gewöhnten Menschen erklären … zerdrückte Erbsen? Erbsenbrei?
       Nasennebenhöhlengrüne Matschepampe?
       
       Wir haben gerade zwei Bissen zu uns genommen, da werden wir von Möwen so
       groß wie Cessnas attackiert. Die marodierenden Vögel fliegen uns von hinten
       an, mindestens fünfzehn an der Zahl. Ihr Anführer hackt mir die
       Styroporschale aus der Hand, schubst mich zur Seite und schon stürzen sich
       die Gang-Mitglieder auf unser Abendessen. Jemand lacht. So doof können wohl
       nur „Europäer“ sein.
       
       Irgendwie fällt es mir immer schwerer, zu erklären, warum ich die Briten
       nach dem Brexit vermissen werde. Ist aber so.
       
       26 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Hartmut El Kurdi
       
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