# taz.de -- Finanzmärkte und Klimaschutz: Finanzhai rettet Eisbären
       
       > Kapitalismus und Klimaschutz: Geht das zusammen? Wie ein Berliner
       > Start-up Banken per Software grün machen will.
       
 (IMG) Bild: Weg vom Ökokollaps, hin zu einer Erde mit Zukunft: Philippinischer Junge in verdrecktem Wasser (Archivbild September 2014)
       
       Klaus Hagedorn fragt sich manchmal, wie das sein kann: Da sitzen in den
       Finanzmetropolen der Welt hunderttausende von Analysten, Programmierern und
       Entwickler in ihren Bankentürmen und keiner ist auf eine eigentlich simple
       Idee gekommen.
       
       In Berlin, gegenüber der Museumsinseln, arbeitet Hagedorn in einem kleinen
       Büro im Hinterhof eines Gründerzeithauses für den Thinktank „2° Investment
       Initiative“ an einer Software, die bald Billionen von Dollar bewegen
       könnte. Weg von schmutzigen Energien, weg vom Öl, von der Kohle, vom
       Verbrennungsmotor, weg vom Ökokollaps, hin zu einer Erde mit Zukunft.
       
       „Vor fünf Jahren haben viele aus dem Finanzsektor gesagt: Ihr seid doch
       bescheuert, das geht nicht“, sagt Hagedorn, klickt an seinem Rechner
       zwischen Datenbanken, Code und einem Aktienportfolio hin- und her. Der
       30-jährige Physiker trägt Start-up-Look: Bart, kurze Hose, Festivalbändchen
       am Handgelenk. Die Software, die sie hier entwickeln, ist eine Art Big Data
       zum Weltretten: Man füttert das Programm mit den Daten eines beliebigen
       Aktienportfolios – und es rechnet aus, ob die Firmen, die dahinterstecken,
       dazu beitragen, dass die Welt sich um mehr als 2 Grad erwärmt.
       
       Falls ja – nun, dann eben verkaufen, nennt sich im Fachjargon Divestment.
       Oder Investoren bleiben Aktionäre und nutzen ihr Wissen, um die
       Klimarisiken, um Druck auf die Firmen auszuüben.
       
       Um die Macht dieser Idee zu verstehen, muss man auf den Dezember 2015 in
       Paris zurückblicken: Die Staaten der Welt einigten sich auf einen
       Klimaschutzvertrag. Der Planet soll sich im Vergleich zur Zeit vor der
       industriellen Revolution um deutlich weniger als 2 Grad erwärmen. Bedeutet
       theoretisch, dass die ganze Welt binnen 40 Jahren fast komplett auf Kohle,
       Öl und Gas verzichten muss. Wie der Umbau gehen soll? Weiß niemand.
       
       Eine Idee gibt es schon, gleich in Artikel 2 des Paris-Abkommens:
       Finanzmittelflüsse müssten in Einklang gebracht werden „mit einem Weg hin
       zu einer hinsichtlich der Treibhausgase emissionsarmen und gegenüber
       Klimaänderungen widerstandsfähigen Entwicklung“. Heißt übersetzt, dass der
       Kapitalismus, der den Planeten zerstört, selbigen retten soll. In
       Ermangelung von Alternativen sollen es die Märkte machen.
       
       ## Schlips statt Protest
       
       Das klingt beknackt, aber mittlerweile nehmen ziemlich viele Leute aus dem
       Finanzsektor die Sache ernst. Wer heute Klimaschutz machen will, der sollte
       keine Bohrinseln mehr blockieren, sondern einen Schlips anlegen und Banker
       werden. Es gibt viel Arbeit: Der Finanzstabilitätsrat der G20-Staaten
       schätzt, dass bis zu 43 Billionen Dollar neu angelegt werden müssten. Also
       alles Geld, das weltweit in Tankschiffen, Pipelines, Öl- und
       Gasbohrlöchern, Kohleminen, Pkws, Lkws, Autofabriken, Motorenwerken,
       Zapfsäulen, Förderbändern, Kraftwerken, Raffinerien steckt, mit den
       Millionen Arbeitsplätzen, abhängigen Regierungen und fetten Lobbygruppen.
       
       Wie das gehen soll, darüber zerbricht sich Christian Thimann den Kopf. Er
       beschäftigt sich beim Versicherungskonzern Axa in Paris mit Fragen der
       Regulierung und Nachhaltigkeit und sitzt einer Gruppe von Experten vor, die
       im Auftrag der EU-Kommission Reformvorschläge erarbeiten sollen. In der
       Gruppe sitzen Thinktanks wie die 2° Investing Initiative, der WWF, aber
       auch Banken, Versicherer, Investoren und Wissenschaftler. „Wir sind
       losgegangen, aber der Weg vor uns ist weit“, sagt Thimann.
       
       Diese Woche stellte die Gruppe einen Zwischenbericht vor – Thimann spricht
       von einem „technisch rigorosen Ansatz“. Für ihn gibt es nicht die eine
       große Idee, die eine große Maßnahme. Die Gruppe habe rund 20 Richtlinien
       identifiziert, die geändert werden müssten, also viele kleine Schrauben im
       Maschinenraum das Kapitalismus.
       
       „Ich halte das für eine bedeutende Initiative der Kommission. Es geht nicht
       einfach um das Finanzsystem an sich, sondern darum, wie es geändert werden
       muss, um eine nachhaltige Wirtschaftsordnung zu erreichen“, sagt Thimann.
       Als ersten Schritt soll es bis Ende 2018 „Green Bonds“ geben, ein
       EU-Ökosiegel für Wertpapiere aller Art.
       
       Große Unternehmen in der EU müssen seit dem Geschäftsjahr 2017
       Nachhaltigkeitsberichte abgeben. Aber nicht die üblichen bunten
       PR-Broschüren. Die Angaben etwa über CO2-Ausstoß von Unternehmen, ihre
       Energieeffizienz, ihren Wasserverbrauch, über Korruptionsbekämpfung oder
       die Einhaltung von Menschenrechten in den Lieferketten müssen korrekt sein.
       
       Wenn nicht, können Vorstände und Aufsichtsräte für falsche Angaben wie bei
       einer Bilanzfälschung verklagt werden. Noch hat kaum ein Unternehmen
       verstanden, was das wirklich bedeutet: ein Transparenzzwang, der anzeigt,
       wie ökologisch und sozial die Unternehmen sind. Die Standards können
       jederzeit verschärft werden. Auch das fordert Thimanns Expertengruppe.
       
       ## Neue Transparenz
       
       Zurück nach Berlin, in Hagedorn Büro. Hier wird deutlich, wie wichtig diese
       neue Transparenz ist – und was für ein Ökopotenzial in den Datenbergen der
       Finanzmärkte schlummert. Die Software der 2° Investing Initiative
       durchleuchtet die komplizierten Firmengeflechte dieser Welt, verknüpft sie
       mit sämtlichen Kohleminen, Ölquellen, Autofabriken, Kraftwerken, Pipelines
       und kann am Ende sagen, wie viel Geld ein Fonds, ein Versicherer, eine
       Bank, ein Investor, eine Firma in der ganzen globalen Industrie der
       fossilen Rohstoffe stecken hat.
       
       Die Software zeigt, wie ein Investor sein Portfolio ändern müsste, damit
       sein angelegtes Geld das 2-Grad-Ziel nicht gefährdet. Wer Tesla oder Toyota
       kauft, ist besser dran als mit Daimler und Ford. Das Wissen von Hagedorns
       Gruppe steht jeden kostenlos zur Verfügung. 2012 in Paris gegründet,
       arbeitet die Gruppe mit EU-Fördermitteln und Gelder von Stiftungen.
       
       „Die meisten großen Player der Finanzbranche haben bei uns schon mal
       angeklopft“, sagt Hagedorn. Die Niederländische Zentralbank benutzt die
       Software zur Aufsicht von Pensionskassen und Versicherern. Die müssen ihr
       Geld langfristig stabil anlegen und wären durch zu viel Investitionen in
       fossile Energien gefährdet. Standard & Poor’s, eine jener umstrittenen
       Ratingagenturen, plant die Kreditwürdigkeit von Unternehmen auch daran zu
       koppeln, wie viel klimagefährdende Investments sie haben. Wer die Umwelt
       weniger belastet, könnte also bald niedrigere Zinsen zahlen und hat einen
       Wettbewerbsvorteil.
       
       Noch sind all das zarte Pflänzchen auf einem ziemlich großen Misthaufen und
       die Frage ist: Was, wenn die Politik Paris nicht umsetzt? Reicht ein Donald
       Trump und schon wackelt die ganze Klimafront?
       
       „Was Trump macht, ist keine große Herausforderung“, sagt Mark Campanale
       dazu am Telefon. Der Brite hat 25 Jahre als Anlagemanager gearbeitet und
       hatte dann mit einem Kollegen die Idee, das System ökologisch zu
       unterwandern: Seine Organisation Carbon Tracker überzeugt Investoren davon,
       dass es viel lukrativere Geschäfte gibt als Kohle, Öl und Gas. Er liefert
       das, was im angloamerikanischen success story heißt: „Neue Technologien
       werden ganz einfach das Geschäftsmodell der Öl- und Gaskonzerne zerstören“,
       sagt er.
       
       ## Dynamik der technologischen Revolution
       
       Mit der Sicht der Dinge ist er nicht allein. Ausgerechnet die Opec, die
       Organisation erdölexportierender Staaten, hat in dieser Woche ihre
       Schätzungen für den Verkauf von Elektroautos im Jahr 2040 glatt
       verfünffacht, auf 266 Millionen im Jahr. Und das sind die Pessimisten. Der
       Finanznachrichtendienst Bloomberg geht von 530 Millionen aus – ein
       Drittel der weltweiten Produktion, andere Szenarien gehen sogar von 85
       Prozent der Produktion aus.
       
       Campanale kombiniert das mit dem explosionshaften Wachstum der
       Solarindustrie und einem rapiden Preisverfall bei Batterien und glaubt: Die
       Dynamik dieser technologischen Revolution wird einfach alle, die den Schuss
       nicht gehört haben, wegfegen. Wer rechtzeitig sein Geld umschichtet, der
       gewinnt, wer zu lange auf Öl, Kohle, Verbrennungsmotor und Gas setzt, der
       verliert. Schlechte Politik kann das verzögern, aber nicht aufhalten.
       
       Klaus Hagedorn in Berlin glaubt, dass ziemlich viele den Schuss gehört
       haben. „Es gibt wohl kaum einen großes Investmenthaus, das nicht damit
       beginnt, seine Anlagen nach Klimarisiken zu durchforsten. Aber manchmal
       kriegt das die Nachbarabteilung im eigenen Haus nicht mit.“
       
       28 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ingo Arzt
       
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