# taz.de -- TV-Moderator über Wissenschaftsshow: „Sinnloses merkt man sich besser“
       
       > William Cohn erklärt in „Callin’ Mr. Brain“, wie lang Fingernägel wachsen
       > können und wie sich Kontinentalplatten verschieben.
       
 (IMG) Bild: Hat ein Herz für Kurioses und Paradoxes: William Cohn
       
       taz.am wochenende: Herr Cohn, Ihre neue Sendung „Callin’ Mr. Brain“ ist
       eine Show, die Wissen auf ihre ganz eigene Art und Weise aufarbeitet. Am
       Ende wissen die Zuschauer beispielsweise, dass Fingernägel zwei Zentimeter
       im Jahr wachsen und sich die Kontinentalplatten jährlich um genau dieselbe
       Länge verschieben. 
       
       William Cohn: Das ist vollkommen korrekt, das ist eine tiefschürfende
       Erkenntnis!
       
       Warum merken wir uns ausgerechnet dieses „unnütze“ Wissen so gut? 
       
       Mr. Brain hat da wohl dieselbe Erkenntnis wie andere Menschen auch: Man
       merkt sich scheinbar sinnlose, aber unterhaltende Dinge besser als Wissen
       aus Enzyklopädien, in denen in einem unerträglich öden Ton die Welt
       erklärt wird.
       
       Aber was fängt man mit diesem Wissen an? 
       
       Haben Sie schon einmal mit irgendeinem erworbenen Wissen etwas anfangen
       können? Wir wissen ja heute, dass die Halbwertszeit des Schulwissens
       ungefähr sechs Jahre beträgt, vielleicht auch nur vier.
       
       Also lernen wir am Ende dann immer umsonst? 
       
       Na ja, jetzt geraten wir in etwas Philosophisches hinein. Aber es stellt
       sich natürlich die Frage, ob der berühmte Satz „Weniger ist mehr“ nicht
       vielleicht auch auf das Wissen zutreffen könnte. Man muss die Frage mal im
       Raum stehen lassen.
       
       Provokante These. 
       
       Man merkt sich die Dinge, die einem Spaß machen. An was in ihrem Leben
       erinnern Sie sich? An die Schulstunde, in der sie lernen durften, wie die
       dritte Ableitung einer quadratischen Gleichung geht? Wissen Sie das noch?
       
       Sie können sich die Antwort wahrscheinlich denken. 
       
       Interessant ist die Frage danach, was sich ein Mensch merkt und warum. Der
       britische Zoologe Gerald Durrell konnte sich als kleines Kind die Schlacht
       von Trafalgar nur merken, weil ihm sein Privatlehrer erzählt hatte, dass
       Lord Nelson dabei seine Vogeleierkollektion neu beschriftet hat. Durrell
       wurde zum Grzimek Englands. Er war besessen von Viechern, alles andere hat
       ihn in seinem Leben nicht interessiert, und er konnte es sich auch nicht
       merken.
       
       Kritik am derzeitigen Bildungssystem geht ja momentan in die Richtung der
       Wissensvermittlung. Könnten sich mehr SchülerInnen die Ableitungen merken,
       wenn das in einem ansprechenden Kontext präsentiert würde? 
       
       D’accord! Gerade auch in der Mathematik; die erwähnte Ableitung – das ist
       ja ganz simpel. Und vor allem auch witzig, wenn es richtig vermittelt wird.
       Ich habe die Grundrechenarten gelernt, weil unser Lehrer ein Bild an die
       Wand malte. Da saß auf der einen Seite ein dicker, reicher Kaufmann auf
       vielen Geldsäcken, auf dessen Jacke ein Plus zu sehen war. Auf der anderen
       Seite saß ein Schneider mit einem Minus auf dem Rücken – hatte nix, konnte
       nix, war alles weg. Dann gab es das Malzeichen: ein Jongleur, der mit den
       Zahlen jongliert, die immer etwas anderes ergeben. Als Letztes ein König,
       der auf einem Thron saß und die Dinge gerecht verteilte. Das habe ich mir
       bis heute gemerkt, auch wenn es schon ein paar Jahre zurückliegt.
       
       Wer ist die Zielgruppe für Ihre Sendung? 
       
       Leute unterhalten und jemandem Spaß und Freude bereiten, das ist eigentlich
       generationenübergreifend, hofft man zumindest.
       
       Ein bisschen erinnert die Figur Mr. Brain da an einen anderen alten
       Bekannten aus den Öffentlich-Rechtlichen: Peter Lustig aus „Löwenzahn“.
       Sehen Sie da Verwandtschaften zwischen Ihnen beiden? 
       
       Von seiner Zielsetzung her setzt sich Mr. Brain vollkommen von Peter Lustig
       ab. Es ist eine ganz andere Welt, auch eine ganz andere Weltsicht. Peter
       Lustig saß nicht tief unter der Erde. Es ist eine andere Attitüde und von
       daher auch eine ganz andere Perspektive auf die Welt, deswegen ist das
       nicht wirklich vergleichbar.
       
       Sie sind relativ spät in die Entertainmentwelt eingestiegen. Bevor Sie
       Schauspiel studiert haben, haben Sie als Ingenieur gearbeitet. Sind Sie
       denn überrascht von Ihrer enorm gestiegenen Präsenz und Popularität in den
       letzten fünf Jahren seit Ihrem Mitwirken in „Roche und Böhmermann“ und „Neo
       Magazin Royale“? 
       
       Natürlich nicht! Nein, Spaß beiseite, ich liebe diesen meinen Beruf, und
       ich bin absolut glücklich darin. Vielleicht spürt man das ja ein wenig? Als
       Schauspieler habe ich Method Acting gelernt, da ist es wichtig, dass man
       irgendwo aus seinem eigenen Leben Erlebnisse verwenden kann, die mit der
       Figur zu tun haben oder dem Leben der Figur.
       
       Was ist Ihr Hintergrund für diese Rolle? 
       
       Durch meinen naturwissenschaftlichen Hintergrund bin ich dazu in der Lage,
       das, was ich sage, wirklich zu sagen – weil ich es weiß. Mr. Brain und ich
       haben da eine gewisse Verwandtschaft. Eben habe ich zwar gesagt, dass
       Wissen eine kurze Halbwertszeit hat, aber hier hat es sich mal gelohnt,
       dass ich das studiert habe. Dass ich gelernt habe, naturwissenschaftlich zu
       denken und zu handeln.
       
       Sie sind in der Rolle plausibel. 
       
       Um noch einmal auf das Method Acting zurückzukommen: Es ist im Prinzip das
       Bemühen darum, in der Figur wirklich authentisch und glaubhaft zu werden
       und nicht einfach nur etwas zu behaupten. Darum geht es eigentlich – um
       Glaubwürdigkeit. Besonders wenn sie lustig herüberkommt und unterhaltend.
       Wir werden uns vielleicht mal mit der Frage beschäftigen, warum ein
       trägerloses Abendkleid hält, obwohl es physikalisch absolut unmöglich ist,
       dass es dort bleibt, wo es gerade ist. Ein gelebtes Paradoxon. Ich beziehe
       mich da auf eine Untersuchung, die die zwei Ingenieure vor Jahrzehnten
       gemacht haben. Das ist entzückend und absolut wissenschaftlich. Die beiden
       haben hieb- und stichfest gerechnet und festgestellt: Es muss
       herunterrutschen, aber das tut es nicht. Warum?
       
       Gute Frage. 
       
       Wenn man hier wieder den Bogen zur Schule schlagen will: Man kann
       SchülerInnen anhand dieses Beispiels alles erklären. Die Fragestellung
       steht fest, und nun muss herausgefunden werden, welche physikalischen
       Kräfte da beteiligt sind. Im Grunde genommen geht es nur darum: Man kann
       Wissen so vermitteln, wie es in den sogenannten Bildungsanstalten
       praktiziert wird – das kennen Sie, das kenne ich. Oder man kann es
       vermitteln, indem man Fragen stellt, die abwegig sind, damit aber genau die
       Antworten provozieren, um die es eigentlich geht.
       
       16 Jul 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jens Mayer
       
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